Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat eine mögliche Wiedereinführung der Todesstrafe infolge des Putschversuches mit dem Volkswillen begründet. Er müsse das Volk anhören, und dieses wolle die Todesstrafe, sagte er in einem Interview.
«Wenn wir uns in einem demokratischen Rechtsstaat befinden, hat das Volk das Sagen. Und das Volk, was sagt es heute? Sie wollen, dass die Todesstrafe wieder eingeführt wird», sagte er in einem am Montagabend ausgestrahlten ARD-Interview.
Zu möglichen negativen Folgen für die Türkei in ihrem Verhältnis zur EU sagte Erdogan: «Nur in Europa gibt es keine Todesstrafe. Ansonsten gibt es sie fast überall.»
Der Moderator hakte nach: Er sei doch bekannt dafür, dass er «entscheidungsstark» die Dinge durchsetze. Warum berufe er sich bei der Todesstrafe auf den Willen des Volkes? Warum schliesse er die Todesstrafe nicht aus? Hier kam der Höhepunkt der Märchenstunde: «Wer sagt das? Ich habe doch diese Befugnis gar nicht! Ich bin kein König! Ich bin nur ein Staatspräsident.» Einer, der gewählt worden sei mit 52 Prozent, eine Zahl, die Erdogan ständig erwähnt als Rechtfertigung für seinen unversöhnlichen Regierungsstil. «In der Türkei gibt es kein Königreich und kein Königtum. Wir leben in einem demokratischen Rechtsstaat, und in einem solchen Staat müssen Sie die Forderungen des Volkes hören.» Fazit: kein Demokratie- und Rechtsstaatsdefizit.
EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker hatte Erdogan am Montag erneut gewarnt, die Beitrittsverhandlungen zur Europäischen Union würden sofort gestoppt, falls die Türkei die Todesstrafe wieder einführe.
Der EU warf Erdogan überdies Wortbruch beim Flüchtlingspakt vorgeworfen. Sie habe ihre finanziellen Versprechen zur Unterstützung der rund drei Millionen syrischen Flüchtlinge in der Türkei bisher nicht gehalten. «Drei Milliarden waren zugesagt», sagte Erdogan. Doch seien bisher nur symbolische Summen eingetroffen. Erdogan sprach von ein bis zwei Millionen.
«Wir stehen zu unserem Versprechen. Aber haben die Europäer ihr Versprechen gehalten?», fragte Erdogan. «Die europäischen Regierenden sind nicht aufrichtig.» Erneut forderte er auch die Umsetzung der Visa-Freiheit für Türken.
Das im März geschlossene Abkommen sieht vor, dass die Türkei alle auf den griechischen Ägäis-Inseln ankommenden Flüchtlinge zurücknimmt, deren Asylantrag in Griechenland abgelehnt worden ist.
Im Gegenzug sagte die EU zu, für jeden zurückgenommenen Syrer auf legalem Weg einen anderen syrischen Flüchtling aus der Türkei aufzunehmen. Zudem versprach die EU Hilfszahlungen von drei Milliarden Euro zur Versorgung syrischen Flüchtlinge in der Türkei zu.
Bei Menschenrechtlern stiess der Flüchtlingspakt auf scharfe Kritik. Seit dem gescheiterten Militärputsch brandete die Debatte neu auf, ob das Abkommen weitergeführt werden könne.
#Erdogan sitzt exklusiv im #ARD-Interview, mir brennen tausend Fragen auf der Seele und Gottlieb grinst nur... pic.twitter.com/RcIwjDTgzo
— Sara Jasmin (@sara_jasmin) 25. Juli 2016
@jalenz wie deprimierend muss es erst sein für die vielen, vielen fähigen Türkei-Journalisten bei der #ARD, das mit anzusehen. #Erdogan
— Lenz Jacobsen (@jalenz) 25. Juli 2016
Muss man erstmal hinbekommen: Als Journalist 40 Min #Erdogan interviewen, nicht nach inhaftierten Journalisten fragen #ard #pressefreiheit
— Frank Überall (@ueberalltv) 25. Juli 2016
Oh, #ARD bringt eine #Erdogan Homestory? Ist das die neue Reihe "Europa, Deine beliebtesten Diktatoren"? Kommt Orban als nächstes?
— SunTsu (@SunTsu) 25. Juli 2016
(cma/sda/dpa/afp)