Hol dir jetzt die beste News-App der Schweiz!
- watson: 4,5 von 5 Sternchen im App-Store ☺
- Tages-Anzeiger: 3,5 von 5 Sternchen
- Blick: 3 von 5 Sternchen
- 20 Minuten: 3 von 5 Sternchen
Du willst nur das Beste? Voilà:
Als ein gewisser General Somoza 1936 in Nicaragua die Regierung stürzte und eine Diktatur errichtete, soll der damalige US-Präsident Franklin Roosevelt allfällige moralische Bedenken achselzuckend mit folgender Bemerkung aus dem Weg geräumt haben: «Er mag ein Hurensohn sein, aber er ist unser Hurensohn.» (He is a son of a bitch, but he is our son of a bitch.»)
Ähnliche Überlegungen dürfte man sich derzeit wohl wieder im Weissen Haus machen. Der gescheiterte Putsch in der Türkei ist Wasser auf die Mühle von Präsident Erdogan. Er macht aus seinen Machtgelüsten kein Hehl, hat bereits eine gross angelegte Säuberungswelle eingeleitet und spricht von einer Wiedereinführung der Todesstrafe.
All dies passt nicht mehr in das Bild einer «islamischen Demokratie», als welche die Türkei bisher gepriesen wurde. Im besten Fall wird sich das Land in eine «gelenkte Demokratie» im Sinne von Russland entwickeln, im schlimmsten in einen fundamentalistischen Scharia-Staat, wie dies einige Experten bereits befürchten.
Diese Entwicklung widerspricht den Interessen des Westens und der USA diametral. Die Türkei ist der wichtigste Verbündete im Kampf gegen den «IS». Sie ist auch Mitglied der NATO, und die USA unterhalten in Incirlik einen Luftwaffenstützpunkt mit 1500 Soldaten. Von diesem Stützpunkt aus starten die Kampfjets für ihre Einsätze in Syrien und dem Irak.
Die Türkei ist gleichzeitig das Bollwerk gegen die Flüchtlingsströme aus den Kriegsgebieten im Nahen Osten und Afghanistan geworden. Nach dem Brexit kann es sich die EU nicht mehr leisten, wie im letzten Herbst Flüchtlinge im grossen Stil aufzunehmen und ist deshalb auf den Goodwill von Erdogan angewiesen.
Das bedeutet, dass die beiden wichtigsten Pfeiler des westlichen Bündnisses direkt mit dem türkischen Schicksal verknüpft sind. Und das wiederum bedeutet mehr Unsicherheit zu einem Zeitpunkt, in dem die Welt aus westlicher Sicht bereits sehr unsicher geworden ist. Die Führungsmacht USA muss sich nicht nur mit Wladimir Putin herumplagen. Auch das Verhältnis zu China hat sich merklich abgekühlt, zuletzt wegen des Konflikts um die Inseln im Südchinesischen Meer.
Dabei schien zumindest am Bosporus lange alles im grünen Bereich zu sein. Unter Erdogan erbrachte die Türkei nicht nur den Beweis, dass Islam und Demokratie miteinander verträglich sind, auch die Wirtschaft entwickelte sich prächtig. Der ehemalige US-Botschafter in Russland, Michael McFaul, erklärt deshalb im «Wall Street Journal» wehmütig: «Nach dem Kollaps der Sowjetunion war das Momentum auf unserer Seite. In den letzten Jahren hat sich das ins Gegenteil gedreht. Es fühlt sich wie das Ende einer Ära an.»
Nach dem Debakel im Irak möchten sich die USA am liebsten aus dem Nahen Osten zurückziehen. Präsident Barack Obama will auf keinen Fall «boots on the ground», will heissen: Bodentruppen schicken. Auch Donald Trump will bekanntlich die US-Boys möglichst rasch nach Hause holen. Richard Haass, Präsident des amerikanischen Council of Foreign Relations, erklärt deshalb im «Wall Street Journal»: «Wir haben eine Welt, die aus den Fugen gerät, und die Vereinigten Staaten – immer noch das wichtigste Land –, die sich zurückziehen. Das ist eine toxische Kombination.»
Der verstorbene Politologe Samuel Huntington sprach einst von einer «Dritten Welle» der Demokratie. Er meinte damit, dass nach der Nelkenrevolution in Portugal im Jahr 1974 sich die Demokratie weltweit auf einem zuvor kaum für möglich gehaltenen Siegeszug befand. Heute ist das Gegenteil zu beobachten. Die Türkei ist ein Musterbeispiel dafür: Aus dem ehemaligen Musterdemokraten Erdogan ist ein autoritärer Strongman geworden – und die USA müssen sich damit abfinden, erneut mit einem «Hurensohn» zurechtzukommen.