Der Ständerat berät heute Dienstag über die Selbstbestimmungsinitiative der SVP. Auf diese Debatte dürften viele weitere folgen: Die Initiative sorgte schon bei der Ankündigung für Aufregung. Die Gegner sehen die Menschenrechte in Gefahr.
Die SVP will mit der Initiative «Schweizer Recht statt fremde Richter» (Selbstbestimmungsinitiative) festlegen, dass die Bundesverfassung gegenüber dem Völkerrecht Vorrang hat. Dies unter Vorbehalt von zwingenden Bestimmungen wie dem Folterverbot.
Völkerrechtliche Verträge, die der Verfassung widersprechen, müsste die Schweiz neu verhandeln und nötigenfalls kündigen. Für das Bundesgericht sollen zudem nur noch jene Verträge massgebend sein, die dem Referendum unterstanden.
Das trifft zum Beispiel auf die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) nicht zu. Dass diese deshalb nicht mehr massgebend wäre, steht allerdings nicht fest, weil die materiellen Garantien der EMRK in die Bundesverfassung übernommen wurden und Zusatzprotokolle dem Referendum unterstanden.
Keine echte Klärung
Aus Sicht des Bundesrates wäre bei einem Ja zur Initiative vieles unklar. Das Volksbegehren verspreche eine Klärung des Verhältnisses zwischen Schweizer Recht und völkerrechtlichen Verträgen, könne diesen Anspruch jedoch nicht einlösen, schrieb der Bundesrat in seiner Botschaft ans Parlament.
Fest steht für den Bundesrat, dass die Schweiz sich mit der Annahme der Initiative gewissermassen zum Vertragsbruch ermächtigen würde. Die Gegnerinnen und Gegner sprechen deshalb auch von der «Vertragsbruch-Initiative». Ein Ja würde die Verlässlichkeit und Stabilität der Schweiz gefährden, argumentieren sie.
Kündigung der EMRK
Eine Annahme der Initiative könnte aus Sicht der Gegner ferner dazu führen, dass die Schweiz Bestimmungen der EMRK nicht mehr anwenden könnte. Mittelfristig würde ihr der Ausschluss aus dem Europarat drohen, was einer Kündigung der EMRK gleichkäme.
Aus diesem Grund wird das Volksbegehren auch «Anti-Menschenrechtsinitiative» genannt. Die Initianten wollten die Hürden für die Umsetzung von Volksbegehren senken, die gegen Grundrechte verstiessen, sagen die Gegner. Und sie seien bereit, dafür den Menschen in der Schweiz die EMRK als wichtigsten Schutz ihrer Grundrecht zu nehmen.
Reaktion auf Ausschaffungsurteil
Auslöser für die Selbstbestimmungsinitiative war ein Urteil des Bundesgerichts zur Wegweisung eines Ausländers. Das Bundesgericht hielt darin fest, es sei in der Beurteilung von Ausschaffungsfällen trotz Annahme der Ausschaffungsinitiative an die EMRK und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) gebunden.
Die SVP wolle eine rote Linie ziehen, sagten Parteivertreter bei der Einreichung der Unterschriften. Die rote Linie sei dort, wo der EGMR ein Urteil fälle, das einem Volksentscheid widerspreche.
Umstrittener Gegenvorschlag
Im Ständerat wird die Initiative nicht viel Unterstützung erhalten. Die Rechtskommission empfiehlt dem Rat mit 12 zu 1 Stimmen, sie abzulehnen. Eine Minderheit der Kommission setzt sich jedoch für einen Gegenvorschlag ein. Zur Diskussion steht eine Klausel, die das Verhältnis von Verfassungs- und Völkerrecht regeln soll.
Bei einem Widerspruch zwischen dem Völkerrecht und der Bundesverfassung oder einem Bundesgesetz soll demnach Schweizer Recht angewendet werden, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind: Erstens muss der Verfassungs- oder Gesetzgeber «ausnahmsweise und ausdrücklich» vom Völkerrecht abgewichen sein, und zweitens darf die völkerrechtliche Bestimmung nicht dem Schutz der Menschenrechte dienen. Das entspricht ungefähr der heutigen Praxis des Bundesgerichts.
Die Mehrheit der Kommission kam zum Schluss, dass eine solche Verfassungsnorm die Schweiz nicht von ihren internationalen Verpflichtungen entbinden würde. Sie wies auch auf die Vorteile des heutigen pragmatischen Umgangs mit Normkonflikten hin. Der bestehende Handlungsspielraum erlaube es, im Einzelfall ein Spannungsverhältnis zwischen völker- und landesrechtlichen Normen zugunsten des Landesrechts zu lösen. (sda)