Die Mieten in der Schweiz steigen stetig. Seit der ersten nationalen Erhebung im Jahr 1996 bis 2023 ist die Durchschnittsmiete von 1036 auf 1451 Franken pro Monat angestiegen. Um rund 40 Prozent, und das bei gleichzeitig stagnierenden Löhnen.
Jetzt fordert der Mieterinnen- und Mieterverband in einer im Juli lancierten Initiative die Einführung einer staatlichen Mietzinskontrolle. Gegenwehr gibt es vom Hauseigentümerverband. Dieser bezeichnet die Initiative indes als «kafkaeske Kontrollmaschinerie». So abwegig ist die Einführung der Mietzinskontrolle in der Schweiz aber nicht. Denn es gab sie schon mal.
Wir schreiben das Jahr 1911. Europa steht kurz vor dem Ersten Weltkrieg. Und die Schweiz erhält ihren ersten Gesetzesartikel im Obligationenrecht zum Schutz von Mietenden. Dieser sieht vor: Mieterinnen und Mieter dürfen von einem Mietvertrag zurücktreten, wenn die Wohnung gesundheitsgefährdende Mängel aufweist.
Dann bricht der Krieg aus. Das noch junge Mietrecht wird ausgehebelt und das Mietnotrecht tritt in Kraft. Mit Auflagen wie einem Kündigungsschutz für Mietende im Militärdienst, die ihre Mietzinse nicht rechtzeitig bezahlen konnten. Mit ein paar Ausnahmen blieb dieses in seinen Grundsätzen bis 1971 bestehen. Im Kern des Notrechts stand die Linderung der durch den Krieg hervorgerufenen Krisen auf dem Wohnungsmarkt.
Der Staat regulierte den Wohnungsmarkt während dieser Zeit rigoros. 1941 ging eine Massnahme im Mietnotrecht so weit, die Freizügigkeit der Niederlassung in der Schweiz einzuschränken und den Aufenthalt bestimmter Personen zu verweigern. Von 1946 bis 1970 oblag dem Bund dann erstmals die Aufgabe der staatlichen Mietzinskontrolle. Der Staat legte eine Höchstmiete fest und prüfte Mietzinserhöhungen durch Bewilligungen auf ihre Rechtlichkeit. Doch war die Nachkriegszeit auch vor allem vom Beginn der Deregulierung und der Liberalisierung des Wohnungsmarkts beeinflusst.
Der Krieg ist vorbei, aber der Wohnungsmangel bleibt. Zwar werden die Einschränkungen der Personenfreizügigkeit wieder aufgehoben, doch bleibt die Mietzinskontrolle als Instrument zur Bewältigung der Wohnungskrise bestehen. Der Wohnungsbau wird ab 1945 zu einer der treibenden Kräfte des Wirtschaftsaufschwungs. Mit neuen Produktionsmethoden können plötzlich standardisierte Bauteile gefertigt werden. Der Massenwohnungsbau setzt ein. Und läutet die Hochkonjunktur auf dem Schweizer Wohnungsmarkt ein.
Beflügelt wurde dieser Bauboom auch im Jahr 1954 durch die Aufhebung der Mietzinskontrolle auf Neubauten. Wohnungen, die nach dem 31. Dezember 1948 bezugsbereit waren, durften ohne Mietpreisregulierung auf dem Markt angeboten werden. Die Bauwirtschaft in der Schweiz erlebte während dieser Zeit fast ungebrochenes Wachstum. 1939 waren 110'000 Menschen im Bau beschäftigt. Bis 1965 verdreifachte sich diese Zahl durch den Zuzug von Arbeiterinnen und Arbeitern, vor allem aus Italien, bis schliesslich knapp 320'000 Menschen auf dem Bau arbeiteten.
Die Deregulierung zeigt Wirkung. Zwischen 1954 und 1972 steigt der Mietpreisindex um mehr als 200 Prozent. Die Löhne steigen mit und trotz des Massenwohnungsbaus übersteigt die Leerwohnungsziffer während dieser Zeitspanne nie 1 Prozent.
Die Liberalisierung des Wohnungsmarkts scheint zu funktionieren und die Krise der Nachkriegszeit schon fast vergessen. In den 1960er-Jahren gerät die allgemeine Mietzinskontrolle in den Fokus. Schrittweise wird die Kontrolle zugunsten einer Überwachung abgebaut. Letztendlich mündet diese Liberalisierungswelle im Dezember 1970 in der Abschaffung jeglicher Überwachung. Damit sind die direkten Kontrollinstanzen der Mietzinse in der Schweiz passé.
Nur 18 Monate später schiebt das Volk dem Treiben bereits wieder einen Riegel vor. Am 5. März 1972 stimmt es klar «Ja» zur Initiative, die eine Anpassung des Artikels 34 der Bundesverfassung «zur Verhinderung von Missbräuchen im Gebiete des Miet- und Wohnungswesens» vorsieht.
Der rasante Abbau des Mietrechts und die Deregulierung des Wohnungsmarkts in den 1960er- und 1970er-Jahren haben ihre Spuren hinterlassen. Zwar enthält die Revision des Mietrechts von 1990 umfassende Massnahmen zur Stärkung des Kündigungsschutzes – das Recht, den Anfangsmietzins anzufechten und Mängelrechte nebst weiteren. Zudem gibt es nun eine Definition der Missbräuchlichkeit. Doch schaffte es die staatliche Mietzinskontrolle nicht in die neue, liberale Gesetzgebung. Das Mietrecht wurde zwar umfassend ausgebaut, doch liegt die Durchsetzung des Mietrechts per Gesetz in der Verantwortung der individuellen Mietenden und nicht mehr in der des Staats.
Dieses Recht durchzusetzen, ist nicht immer einfach. Gerade die Missbräuchlichkeit der Mietzinse ist oft nur schwer festzustellen, denn das Mietrecht von 1990 enthält auch eine paradoxe Gegenüberstellung der Kosten- und Marktmiete. Im Grundsatz dürfen Mietzinse nur angehoben werden, wenn bei den Vermietenden eine Kostenänderung stattgefunden hat. Doch gilt der Mietzins in der Regel nicht als missbräuchlich, wenn dieser im Rahmen der «Orts- und Quartierüblichen» Mietzinse liegt – sprich im Vergleich zu den Mieten in der Nachbarschaft.
Das Mietrecht von 1990 basiert auf einer Annahme, die damals noch stimmte: Die Mehrheit der Eigentümerinnen und Eigentümer sind Privatpersonen. Der Wohnungsmarkt ist heute aber ein anderer als noch vor 50 Jahren.
Heute geben Versicherungen, Pensionskassen, Banken und Co. den Ton auf dem Wohnungsmarkt an. Institutionelle besitzen seit 2024 mehr Wohnungen als Privatpersonen. Zum ersten Mal in der Immobilien-Geschichte der Schweiz.
Privatpersonen bauen nur noch jede zehnte Mietwohnung selbst. 2004 war es jede fünfte. Gleichzeitig verkaufen Private ihre Immobilien zunehmend an Institutionelle. Als Grund gaben Eigentümerinnen und Eigentümer in einer Umfrage der Raiffeisenbank 2024 an, von der zunehmenden Komplexität von Bauprojekten aufgrund von Regulierungen überfordert zu sein.
Dazu kommt, dass gesetzliche Vorlagen, wie beispielsweise die Revision des Raumplanungsgesetzes von 2013, mehr Verdichtung nach innen vorgeben. Dies wiederum führt dazu, dass tendenziell grössere Gebäude geschaffen werden, in denen viele Wohnungen auf wenig Raum entstehen können. Diese Bauprojekte sind nicht nur komplexer, sondern auch teurer. Bezeichnend dafür ist der Anstieg von Gebäuden mit sechs oder mehr Stockwerken um fast 70 Prozent seit 1970.
Privatpersonen müssen 20 Prozent Eigenkapital stemmen können und gleichzeitig die komplexen Auflagen erfüllen. Ein Eigenheim bleibt damit für viele Privatpersonen ein Traum. Eine Verlangsamung dieser Entwicklung ist nicht in Sicht, wie das Beispiel der bewilligten Bauten in der Stadt Zürich zeigt.
Diese Entwicklung ist in der ganzen Schweiz zu beobachten. Das zeigt ein Blick auf die Eigentümerschaft der Mietwohnungen 2024. Worin sich Private und Institutionelle weiterhin stark unterscheiden, ist im Alter ihrer Liegenschaften. Ein grosser Teil der Wohnungen, die vor 1980 gebaut wurden, gehört mehrheitlich Privatpersonen. Neubauten hingegen sind zu einem grossen Teil im institutionellen Besitz.
Relevant bei der Berechnung der Mietzinse ist das Alter der Bauten. Denn die Bauperiode gibt vor, welche Methode zur Berechnung der Rendite auf Mietzinse angewendet werden darf. Bei Liegenschaften, die vor mehr als 30 Jahren gebaut wurden, kommt die sogenannte «Orts- und Quartierüblichkeit» zum Zug. Dabei handelt es sich um eine Vergleichsmiete und damit um ein Marktinstrument – daher ist diese Art der Berechnung auch schwieriger nachvollziehbar.
Da Institutionelle vor allem Liegenschaften besitzen, die weniger als 30 Jahre alt sind, kommt eine Form der Renditeberechnung zur Anwendung, die kapitalstarke Unternehmen bevorteilt: die Nettorendite.
Die erlaubte Nettorendite berechnet sich aus dem Eigenkapital, das in den Kauf und Bau einer Immobilie investiert wird. Je höher das Eigenkapital, desto mehr Nettomiete darf eine Eigentümerschaft verlangen. Institutionelle Eigentümerinnen und Eigentümer haben tendenziell mehr Eigenkapital zur Verfügung als Private.
In der Agglo entsteht ein Mehrfamilienhaus mit zehn gleichwertigen Wohnungen. Kosten: 5 Millionen Franken. Die zulässige Nettorendite, die jährlich darauf erhoben werden darf, berechnet sich wie folgt auf das Eigenkapital:
Die Privatperson kann also mit einer zulässigen Nettorendite von 35'000 Franken pro Jahr rechnen, während die Institutionelle Eigentümerschaft mit bis zu 140'000 Franken rechnen darf. Also dem vierfachen Gewinn.
Nehmen wir ausserdem an, dass abgesehen von dem Fremdkapital-Eigenkapital-Verhältnis die Ausgangslage genau gleich ist:
In diesem Fall darf die Privatperson maximal 2208 Franken Monatsmiete pro Wohnung verlangen. Der institutionelle Eigentümer hingegen bis zu 2583 Franken pro Wohnung.
Fazit: Für die Mietenden ist es teurer, wenn grosse Player mit viel Eigenkapital Wohnraum schaffen. Private Institutionen dürfen für die genau gleiche Wohnung, mit den genau gleichen Leistungen, mehr Miete verlangen.