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Du willst nur das Beste? Voilà:
Das Schlüsselbein muss hervorstechen, die Wirbelsäule, jede einzelne Rippe soll hervortreten, die Bauchdecke muss konkav sein, bei geschlossenen Füssen dürfen sich die Oberschenkel nicht berühren. Feenhaft ätherisch wollen die Mädchen sein. In einem morbiden Ornament aus Knochen verschwinden. Einem Manga-Wesen gleich. Der menschliche Körper nur noch als tragendes Gerüst für Hauch einer Fantasie, mehr nicht.
Nur die Haare sind dabei ein ewiges Problem, die Haare werden bei alledem stumpf und struppig, nicht zuletzt, weil sie im Idealfall blond sein sollten. Wasserstoffblond. Lichtblond. Ein Heiligenschein. Und wer nicht nur eine Anorektikerin, sondern auch eine Bulimikerin ist, weiss auch, dass Magensäure die Zähne angreift.
Ihre Hashtags lauten zum Beispiel #thinspiration oder #bonespiration, abgekürzt #thinspo und #bonespo. Dünn und knochig als Religion. Ihre Heiligen: «Ana» und «Mia». Anorexie und Bulimie. Das klingt nicht nach Krankheiten oder Essstörungen, sondern nach Freundinnen. Die sie nicht zum Fressen, sondern zum Verhungern gern haben. Das heisst dann «Pro-Ana» und «Pro-Mia».
"@cut_wrists: I want to have a beautiful back like this😍😍😍😍😍 #thinspiration #thinspo pic.twitter.com/I1EpsAVhYE" me too 🙆🙆🙆🙆
— Pro Ana (@proana_thinxo) 19. April 2015
Viele vergleichen sich mit einer Feder. Leicht und makellos. Diszipliniert. Und vor allem: nicht Frau geworden. Frauen sind eklig, sind «fat bitches». Ein Frauenkörper ist ein Zeichen der Disziplinlosigkeit. Die Vorbilder der mageren Mädchen sind entsprechend alle sehr jung. Jennifer Lawrence (24) geht noch knapp, wegen ihrer hervortretenden Wangenknochen. Abgesehen davon ist sie natürlich dick. Cara Delevingne (22) besteht einzig wegen ihrer dünnen Arme.
The size of my stomach is NOT OK.
The size of my thighs is NOT OK.
The size of my arms is NOT OK.
The size of my whole body is NOT OK.
— ☾ (@disintegrxting) 13. Mai 2015
Frankreich hat vor Kurzem nicht nur magersüchtige Models, sondern auch das Betreiben von Pro-Ana-Blogs und -Webseiten verboten. Wer erwischt wird, muss mit einem Jahr Gefängnis rechnen. Holland überlegt sich aktuell die gleiche Massnahme. Es wird nichts nützen. Denn die Pro-Ana-Community ist nicht nur radikal gegen sich selbst (und Mitläuferinnen, die «nur» eine Diät machen wollen, sogenannte «Wannarexiscs»), sondern auch rasend schnell darin, sich epidemisch in allerlei Nischen und Lücken breit zu machen.
Gerade auf den Social-Media-Kanälen sind sie derart präsent, dass die Betreiber mit dem Löschen der Seiten – Facebook ist am erfolgreichsten, die andern haben kapituliert – gar nicht mehr nachkommen. Denn die Guerilla-Truppen der mageren Mädchen sind klein, gut versteckt und äusserst beweglich.
Die Betreiberinnen der Seiten sind meist Teenager. Unter ihren Fans finden sich im Schnitt Fünf- bis Siebzehnjährige. Ihr Antrieb ist eine Überidentifikation mit photogeshoppten oder zurecht operierten Prominenten. Die ihnen vorgaukeln, dass Menschen, die sich aus eigener Kraft ausmergeln, mehr Liebe und Respekt zufliessen. Die mageren Mädchen bringen jeden Medientheoriker zur Verzweiflung mit ihrer unreflektierten, undistanzierten, unironischen Adaption von Vorbildern.
She's perfect. #thinspiration #thinspo #bones #bonespo #goals #want #ana #mia #Anorexia #EDprobs pic.twitter.com/TYA4Btczab
— wasted youth✖️✖️ (@rainbows_vodka) 15. Mai 2015
Angelina Jolie tätowierte sich einst «Quod me nutrit me destruit» auf den Bauch. Was mich nährt, zerstört mich. Sie meinte damit die verquere Beziehung zu ihrem Vater. Die Pro-Ana-Gemeinde meint damit Nahrungsmittel. Mehrere Mädchen laufen seither mit Angelina Jolies Tattoo herum. Magersüchtige Promis wiederum geben sich ihren stillen Fans durch feine Armbänder aus roten (Ana) oder pinken (Mia) Glasperlen zu erkennen. Etwa Nicole Richie oder Lindsay Lohan.
Am Ende ist ihre Geschichte eine traurige Geschichte. Eine von fehlendem Selbstwert. Am Ende geht es ihnen um Liebe. Um Männer. Um ein Geschlechterbild, das geradezu fabelhaft altbacken ist. Um Backlash pur. Starksein heisst Dünnsein, sonst nichts. Immer wieder äussern die Mädchen, dass sie von Männern erst im Zustand der totalen Zerbrechlichkeit und Schwäche so richtig beschützt und auf Händen getragen würden. Dass bei einem leichten Mädchen die Liebe umso gewichtiger ausfällt. Wahrscheinlich fotografieren sie sich genau deshalb am liebsten in Unterwäsche. Und am allerliebsten ohne Kopf.