Der Bundesrat will die Armut in der Schweiz weiterhin bekämpfen - allerdings mit weniger Geld als in den letzten Jahren. Das hat er am Mittwoch beschlossen.
Aktuell sind in der Schweiz 7.5 Prozent der ständigen Wohnbevölkerung oder 615'000 Personen von Armut betroffen, davon 108'000 Kinder. Im Vergleich zu den Vorjahren sei die Armutsquote stabil, wenn auch mit leicht steigender Tendenz, schreibt der Bundesrat.
In den letzten fünf Jahren hatte der Bund gemeinsam mit den Kantonen, Städten und Gemeinden sowie Nicht-Regierungsorganisationen ein Programm zur Prävention und Bekämpfung von Armut umgesetzt. Der Bund stellte dafür zwischen 2014 und 2018 insgesamt 9 Millionen Franken zur Verfügung.
Weniger Ressourcen
In einem Bericht kommt der Bundesrat nun zum Schluss, dass sich das Programm bewährt hat. Er will sein Engagement deshalb weiterführen. In den nächsten fünf Jahren stellt der Bund aber nur noch 2.5 Millionen Franken zur Verfügung. Er sei der Meinung, dass die Arbeiten nach dem Initialaufwand mit weniger Ressourcen erfolgen könnten, schreibt der Bundesrat.
Die Steuergruppe des Programms ist dagegen der Auffassung, dass verstärkte Anstrengungen nötig sind, damit es zu keiner Zunahme der Armut kommt, wie es im Bericht heisst. Auch Caritas fordert mehr Ressourcen. Der Bundesrat mache einen Rückschritt in der Armutspolitik, kritisiert das Hilfswerk in einer Mitteilung.
Kein Armutsmonitoring
Die Steuergruppe und Caritas empfehlen ferner ein gesamtschweizerisches Armutsmonitoring, damit die Massnahmen laufend den Entwicklungen angepasst werden können. Die bisherigen Arbeiten zeigten, dass es in der Schweiz kein systematisches und umfassendes Bild über Armut in ihren verschiedenen Dimensionen gebe, schreiben sie.
Der Bundesrat hat jedoch beschlossen, auf ein Armutsmonitoring zu verzichten. Das Bundesamt für Statistik führe bereits Untersuchungen zur Entwicklung der Armut durch, argumentiert er.
Frühe Förderung
Zu den vergangenen Jahren schreibt der Bundesrat, die Zusammenarbeit sei verbessert worden. Die verschiedenen Akteure hätten gemeinsam Grundlagen und Praxishilfen erarbeitet. Der Schwerpunkt lag auf drei Handlungsfeldern: Bildungschancen vom Kindes- bis zum Erwachsenenalter, soziale und berufliche Integration sowie allgemeine Lebensbedingungen.
Bei den Bildungschancen lag der Fokus auf der frühen Kindheit. Dabei ging es vor allem darum, das Potenzial von verschiedenen Angeboten der frühen Förderung für sozial benachteiligte Kinder und Familien zu identifizieren. Am 7. September findet in Bern eine nationale Konferenz statt, an der über die Ergebnisse des Programms und den künftigen Handlungsbedarf diskutiert wird.
Zentrales Verfassungsziel
Der Bundesrat hält fest, die soziale Absicherung der Bevölkerung sei eines der zentralen Verfassungsziele und damit gemeinsame Aufgabe aller staatlichen Akteure. Das heutige System der sozialen Sicherheit sei bisher in der Lage gewesen, einen Anstieg von Armut zu verhindern.
Gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen stellten das System der sozialen Sicherheit aber vor neue Herausforderungen. Diesen müsse mit der Förderung von Bildungschancen sowie der sozialen und beruflichen Integration begegnet werden.
Grenze bei 2247 Franken
Armut wird am Betrag gemessen, der als Einkommensminimum für ein gesellschaftlich integriertes Leben im jeweiligen Land gilt. In der Schweiz leitet sich das soziale Existenzminimum von den Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) ab, die als Referenz für die Beurteilung des Sozialhilfeanspruchs dienen.
Es ergibt sich aus der Summe der Wohnkosten, Gesundheitskosten, Grundbedarf und situationsbedingte Leistungen. Im Jahr 2016 betrug die Armutsgrenze durchschnittlich 2247 Franken pro Monat für eine Einzelperson und 3981 Franken pro Monat für einen Haushalt mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern unter 14 Jahren. Eine Person, deren verfügbares Einkommen die Grenze unterschreitet, gilt als arm.
Mangelnde Bildung
Überdurchschnittlich von Armut betroffen sind Personen mit aussereuropäischer Staatsbürgerschaft, ohne nachobligatorische Schulbildung, Alleinlebende sowie Personen in Haushalten mit nur einer erwerbstätigen Person. Ohne Sozialtransfers wäre die Armutsquote mehr als doppelt so hoch.
Im Jahr 2015 haben 3.2 Prozent der Bevölkerung Sozialhilfe bezogen. Alleinerziehende Eltern, kinderreiche Familien, Einpersonenhaushalte und Niedrigqualifizierte sind besonders häufig auf Sozialhilfe angewiesen. Die Anzahl Sozialhilfeempfänger ist zwischen 2005 und 2015 um rund 12 Prozent gestiegen. Allerdings ist die Sozialhilfequote stabil geblieben, da die Schweizer Bevölkerung gewachsen ist. (sda)