«Gut 60 Verfahren» gegen mutmassliche Dschihadisten in der Schweiz führt die Bundesanwaltschaft nach Angaben ihres Chefs Michael Lauber. Das ist beinahe eine Verdoppelung seit dem vergangenen November, als Lauber die Zahl der Verfahren auf 33 bezifferte.
Danach gefragt, ob es weitere «IS-Zellen» in der Schweiz gebe neben den kürzlich verurteilten Irakern, sagte Lauber im Interview mit den Zeitungen «Der Bund» und «Tages-Anzeiger» vom Donnerstag: «Wir haben gut sechzig Verfahren im Bereich des dschihadistisch geprägten Terrorismus offen.»
Die meisten Verfahren drehten sich um Propaganda und Unterstützung von Terrororganisation wie dem sogenannten Islamischen Staat (IS) oder Al-Kaida. «Einen Fall, der so gefährlich ist wie jener der Iraker, haben wir im Moment nicht», sagte Lauber. Es gebe aber «verschiedene Massierungen von mutmasslich problematischen Personen in der Schweiz.»
Grundsatzurteil angestrebt
Da es bei einem Grossteil dieser Fälle um Internetpropaganda geht, strebt Lauber einen Grundsatzentscheid eines Gerichts an: Die Bundesanwaltschaft will abgeklärt haben, was «tatsächlich Propaganda im Sinne unseres Strafgesetzes ist». «Wir wollen mit Musterfällen herausfinden, ob unsere heutigen Gesetze ausreichen oder ob wir sie anpassen müssen.»
Lauber erwähnt als solches Beispielverfahren jenes gegen ein Vorstandsmitglied des umstrittenen Islamischen Zentralrats, das ein Videointerview mit einem Führungsmitglied einer dschihadistischen Organisation veröffentlichte und deswegen strafrechtlich verfolgt wird.
Als Leitverfahren zum Thema «Unterstützung des IS» bezeichnet Lauber die Anklage gegen den jungen Mann, der am Flughafen Zürich festgenommen wurde, als er sich Richtung Syrien mutmasslich zur Teilnahme an Kämpfen absetzen wollte. Er sei der Meinung, dass dies für eine Verurteilung ausreichen sollte, sagt Lauber.
Syrien-Rückkehrer im Blick
Zu Dschihad-Rückkehrern in der Schweiz gibt sich Lauber bedeckt: «Im Rahmen der gemeinsamen Anstrengungen mit Fedpol und dem Nachrichtendienst des Bundes gehen wir davon aus, dass wir den Überblick haben über sogenannte Rückkehrer in die Schweiz.» Konkrete Gefährdungen würden im Einzelfall geprüft. Er bekräftigte auch erneut, dass er sich nicht scheue, bei Gefährdungen einzugreifen.
Bei den jüngsten Anschlägen in Brüssel sieht Lauber derzeit keinen Hinweis auf einen Schweizer Bezug. Die Bedrohungslage bleibt in der Schweiz aus Laubers Sicht aber «hoch». «Allerdings gibt es zurzeit keinerlei Hinweise auf eine direkte Bedrohung der Schweiz und ihrer Interessen.» Von einer unveränderten Bedrohungslage sprachen nach den Anschlägen auch andere Schweizer Behörden. (sda)