Am Ende reichte ein Pass von Lionel Messi, und für die Schweiz war die WM 2014 zu Ende. Das Paradoxe daran: Einer wie Messi hätte es in den meisten Ländern im Profifussball nicht weit gebracht.
Der Grund dafür: Die Selektion von Fussballtalenten findet in der Regel sehr früh und nach Jahrgang statt. Das ist vor allem für die kleinen und spät im Jahr Geborenen ein Nachteil.
Wenn die kleinen Kicker für die ersten intensiveren Trainings ausgewählt werden, sind sie zwischen fünf und sieben Jahre alt. In dieser Lebensphase ist die körperliche Entwicklung von Kindern aber sehr unterschiedlich.
Was Grösse, Gewicht und Muskelmasse angeht, können grosse Differenzen bestehen. Die jüngsten Kinder eines Jahrgangs sind zum Zeitpunkt der Selektion körperlich oft weniger weit entwickelt als ihre um wenige Monate älteren Kollegen.
Dieser Umstand hat Auswirkungen auf ihr Weiterkommen im Sport: Weil die Jüngeren auf Grund ihres normalen Entwicklungsrückstands schlechtere Leistungen zeigen als ihre um wenige Monate älteren Kollegen, kommen sie seltener in den Genuss von speziellen Talentfördermassnahmen.
Dieser Effekt nennt sich relative age effect. Er ist auch bei den WM-Spielern festzustellen. Die Verteilung der Geburtstage der Spieler über die zwölf Monate eines Jahres ist nicht gleichmässig wie bei der Normalbevölkerung.
So wurden drei von zehn WM-Spielern im ersten Quartal des Jahres geboren, Ende Jahr feiert nur noch einer von fünf Geburtstag. Für die Spieler der Schweizer Nationalmannschaft sieht die Verteilung genau gleich aus.
Forscher der eidgenössischen Hochschule für Sport in Magglingen haben sich mit dem relativen Alterseffekt, der in vielen Sportarten auftritt, befasst. Sie stellten fest, dass im Schweizer Fussball bereits die jüngsten Spieler mehrheitlich im ersten Halbjahr geboren wurden. Insbesondere bei den Verteidigern ist der Effekt sehr stark ausgeprägt. Sie müssen kopfballstark sein, darum sind Grösse und körperliche Entwicklung meist die ausschlaggebenden Faktoren für die Aufnahme in ein Juniorkader.
Der Alterseffekt, der in der Nationalmannschaft heute zu beobachten ist, ist die Folge der Selektion, wie sie im Schweizerischen Fussballverband lange Zeit stattgefunden hat.
Die früh im Jahr Geborenen hatten eine bis zu fünfmal grössere Chance, in die U-15-Auswahl aufgenommen zu werden. Die Spätgeborenen wurden dabei doppelt vernachlässigt. Weil sie häufig schwächere Leistungen zeigten, wurden sie seltener selektioniert und erhielten dadurch auch keine Förderung, was sich wiederum negativ auf ihre Leistungen auswirkte.
Michael Romann befasst sich in Magglingen wissenschaftlich mit der Talentselektion im Sport. Er ist der Ansicht, dass der relative Alterseffekt und der aktuelle körperliche Entwicklungsstand eines Nachwuchssportlers bei der Selektion zu wenig Beachtung erhalten. Er geht davon aus, dass dadurch bis zu 20 Prozent potenzieller Talente verloren gehen.
Seiner Meinung nach wäre es am sinnvollsten, vor Abschluss der Pubertät gar keine starre Selektion vorzunehmen.
In der Praxis ist dies aber nur schwer durchführbar, zudem gibt es auch keine Garantie dafür, dass kleinere und schwächere Spieler, wenn man sie nur fördert, ihre Defizite in jedem Fall aufholen.
Aus diesem Grund hat das Bundesamt für Sport 2010 gemeinsam mit Swiss Olympic, dem Dachverband des Schweizer Sports, das Projekt PISTE ins Leben gerufen. Mit klar definierten Kriterien will man versuchen, den Nachwuchs so zu selektionieren, dass nicht vor allem die körperlichen Merkmale den Ausschlag geben.
Auch der Schweizer Fussballverband nimmt sich die Verbesserung der Talentselektion bei den Junioren sehr zu Herzen: Vor zwei Jahren wurde das Projekt Footeco eingeführt.
Footeco ist eine Ausbildungskultur für den Elitefussball der Kategorien U-12, U-13 und U-14. Sie zielt auf die Entwicklung des Potenzials der Spieler ab und hat zum Ziel, die jungen Spieler nicht zu früh zu selektionieren.
In Zukunft soll die körperliche Stärke nicht mehr so stark gewichtet, dafür auch technische und spielerische Elemente verstärkt für die Selektion berücksichtigt werden.
Der Fussballverband liegt damit im internationalen Trend. Kürzlich haben die beiden französischen Ökonomen Bastien Drut und Richard Duhautois in ihrem Buch «20 questions improbables sur le foot» aufgezeigt, wie Spitzenclubs und Verbände vor einigen Jahren angefangen haben, einen Wechsel im Ausbildungs- und Auswahlsystem einzuführen. Vielerorts werden Technik, Spielfreude, Spielintelligenz und Ehrgeiz inzwischen als Selektionskriterien stärker gewichtet als noch vor wenigen Jahren.
Das beste Beispiel dafür ist Lionel Messi. Er litt als Kind unter einer hormonell bedingten Wachstumsstörung, wurde aber trotz seiner körperlichen Defizite früh gefördert. Er bewegte sich in einem Umfeld, das in erster Linie das grosse Potenzial, das in ihm lag, sah. Der Talentscout, der im Film vorkommt, war sich auf alle Fälle sofort sicher: «Wo auch immer er hingehen wird, er wird der Beste sein.»