Ein Deutscher nach dem anderen wurde in den vergangenen Monaten in der Türkei inhaftiert. Jetzt gibt es eine Freilassung. Eine Entspannung in den deutsch-türkischen Beziehungen zeichnet sich aber nicht ab.
Die Ankündigung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz, in der Europäischen Union für einen Abbruch der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei eintreten zu wollen, sorgte in Ankara für Empörung.
«Im Moment kehrt Europa zu den Werten von vor dem Zweiten Weltkrieg zurück», sagte Aussenminister Mevlüt Cavusoglu. Dabei handle es sich um «Brutalität, ebenso Faschismus und Gewalt, Intoleranz und gegenseitige Vernichtung».
Frau freigelassen
Am Donnerstag war ein deutsches Ehepaar mit türkischen Wurzeln am Flughafen von Antalya festgenommen worden. Ihr Rechtsanwalt teilte dem Auswärtigen Amt am Montag mit, dass die Frau ohne Auflagen wieder auf freiem Fuss sei. Zu dem Mann hat die deutsche Botschaft in Ankara nach wie vor keinen Kontakt.
Den beiden werden Verbindungen zur Gülen-Bewegung vorgeworfen, die von der türkischen Regierung für den gescheiterten Putschversuch vor einem Jahr verantwortlich gemacht wird.
Die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu meldete, dass gegen die Frau trotz der Freilassung weiter ermittelt werde. Auch nach der Freilassung vom Montag sitzen noch elf Deutsche in türkischen Gefängnissen, denen politische Vorwürfe gemacht werden - unter anderem Unterstützung von Terroristen.
Schärferer Kurs
In Deutschland hat der Fall aus der vergangenen Woche eine Diskussion über eine weitere Verschärfung des Kurses gegenüber der Türkei ausgelöst. Im Fernsehduell mit Merkel forderte Schulz am Sonntagabend überraschend den Abbruch der seit 2005 laufenden EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Merkel kündigte am Montag an, einen solchen Schritt beim EU-Gipfel in Brüssel im Oktober zu thematisieren.
Schulz legte noch einmal nach und warf dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan einen «Gegenputsch» und «eine Art Säuberungswelle» vor. «Irgendwann muss man dem auch mal sagen: Genug ist genug.»
Die Bundesregierung hatte bereits nach der Inhaftierung des Menschenrechtlers Peter Steudtner Mitte Juli einen Kurswechsel in der Türkei-Politik vorgenommen und die Reisehinweise für das Ferienziel vieler Deutscher verschärft.
Türkei: «Populismus»
Das türkische Aussenministerium kritisierte, dass «politische Führer in Deutschland und Österreich ihren Wahlkampf auf Türkeifeindlichkeit und auf der Grundlage aufbauen, den EU-Beitrittsprozess unseres Landes zu verhindern».
Das Ministerium warnte vor Populismus jener Politiker, «die uns während der Flüchtlingskrise nachgerannt sind, damit wir die EU vor einem grossen Chaos retten». Merkel gilt als Architektin des EU-Türkei-Flüchtlingsabkommens.
Auch der Sprecher von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, Ibrahim Kalin, sprach von Populismus und Ausgrenzung. Damit würden «Diskriminierung und Rassismus» geschürt. Deutschland verteidige nicht die Demokratie, sondern «Terroristen und Putschisten», hiess es in einer von insgesamt neun Twitter-Nachrichten Kalins.
EU zurückhaltend
Die EU-Kommission reagierte zurückhaltend auf den deutschen Vorstoss für einen Abbruch der Beitrittsverhandlungen. Eine Sprecherin bekräftigte lediglich, dass auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker die Entwicklungen in der Türkei mit grosser Besorgnis verfolge.
Er habe erst in der vergangenen Woche gesagt, dass sich die Türkei seiner Meinung nach «in Riesenschritten» von Europa entferne. Juncker hat sich bislang aber gegen einen einseitigen Abbruch der Verhandlungen ausgesprochen. (sda/dpa)