In die Ukraine durfte Julia Samoilowa wegen politischer Querelen nicht einreisen. Nun bekommt die Sängerin noch einmal die Chance: In Lissabon will die Russin die ESC-Trophäe für ihr Land holen. Wie sehr haben sie die Ereignisse des vergangenen Jahres geprägt?
Unruhe und Ungeduld beschleichen Julia Samoilowa. In nur wenigen Wochen soll der Lebenstraum der Russin in Erfüllung gehen: einmal auf der grossen Bühne des Eurovision Song Contests zu singen. Millionen Menschen werden der Frau im Rollstuhl dabei zusehen. Beim 2. Halbfinale (10. Mai) will die Russin in Lissabon ihr emotionales Lied «I Won't Break» präsentieren - ausgerechnet die Ukraine wird dabei einer ihrer direkten Konkurrenten sein.
Doch Samoilowa will zumindest nach Aussen keine Nervosität zeigen. «Ich bin jetzt viel stärker, vielleicht sogar selbstbewusster als früher», sagte die 29-Jährige der Deutschen Presse-Agentur. Ihre Ballade handelt auch davon: Nicht unterkriegen lassen, niemals aufgeben.
Im offiziellen Video wird die zerbrechlich wirkende Frau von kitschigen Bergaufnahmen und Bildern von Lava speienden Vulkanen begleitet. Auf der ESC-Bühne in Lissabon wird sie ganz alleine sein. Vielleicht werden sich dann einige der rund 200 Millionen Zuschauer an Samoilowas Gesicht und an ihre Vorgeschichte erinnern.
Lissabon will «Alle an Bord» lassen
Denn Samoilowa, bei der als Kleinkind eine schwere Muskelerkrankung diagnostiziert wurde, hielt schon einmal das ESC-Ticket in ihren Händen: Das russische Staatsfernsehen hatte sich bereits im vergangenen Jahr für die Sängerin aus der russischen Provinz entschieden; damals sollte sie im Nachbarland Ukraine den ESC-Sieg für Moskau holen. Doch Samoilowa war zwischen die Fronten eines hochexplosiven internationalen Konflikts geraten.
Der ukrainische Geheimdienst SBU verweigerte Samoilowa die Einreise, weil sie zuvor auf der von Russland annektierten Halbinsel Krim aufgetreten war. Kiew wertet solche Reisen als Grenzverletzung. Die Folge: Samoilowa musste zu Hause bleiben.
«Ich bemühe mich sehr, das in der Vergangenheit zu lassen», sagt Samoilowa. Dennoch steht sie dazu, dass die Ereignisse auch persönlich Spuren bei ihr hinterlassen haben. «Die ganze Geschichte und der Hype um meine Person haben meinen Charakter schwer geprägt.» Als Trost hatte ihr das russische Fernsehen das Ticket nach Lissabon versprochen, wo der ESC unter dem Motto «All Aboard» ausgetragen wird.
Symbolischer Akt ohne Siegchancen?
Seitdem habe sie viel geprobt, ihr Englisch verbessert und ihr Leben auf den 10. Mai ausgerichtet. Ihr Ziel ist: «Der ESC soll es mir ermöglichen, mich als Sängerin auf ein neues Niveau zu heben.»
Für viele Kritiker ist das selbst in ihrer Heimat nicht genug, viele spötteln über ihre schwache Performance. Echte Siegeschancen rechnen ihr nur wenige aus. «Das Lied ist beim ersten Mal schrecklich, beim zweiten Mal kann man schon darüber hinweghören», schreibt etwa das Moskauer Boulevard-Blatt «Komsomolskaja Prawda».
Beobachter sind sich auch sicher, dass Samoilowa nicht wegen ihres Talents nach Lissabon geschickt wird. Moskau wolle der Welt zeigen, wie unfair Kiew im vergangenen Jahr gehandelt habe, hiess es in zahlreichen Kommentaren. Gleichzeitig sitze die Schmach tief, dass Russland 2016 der Ukraine unterlegen war oder die russischen Kandidaten in den Jahren zuvor brutal ausgebuht wurden.
Dass ihr etwas Ähnliches passieren könnte, glaubt Samoilowa nicht. Sie habe keine Angst, schlimmer als im vergangenen Jahr könne es nicht mehr werden. Beim ESC teilzunehmen sei die Erfüllung ihres Kindheitstraumes. «Das lasse ich mir nicht nehmen.» (sda/dpa)