Grossbritanniens neue Premierministerin Theresa May hat am Donnerstag ihr Kabinett weiter komplettiert und weitere wichtige Posten besetzt. Vor allem die Ernennung von Brexit-Befürworter Boris Johnson zum Aussenminister stiess in einigen Hauptstädten auf Befremden.
Frankreichs Aussenminister Jean-Marc Ayrault etwa wertete die Ernennung von Johnson zum Minister als ein «Zeichen für die politische Krise» in Grossbritannien. Er brauche einen verlässlichen Partner in London, Johnson habe in der Kampagne für den Austritt aus der EU aber «viel gelogen».
Dennoch sei er «überhaupt nicht in Sorge, was Boris Johnson angeht», sagte Ayrault am Donnerstag dem Radiosender Europe 1. «Sie kennen ja seinen Stil und seine Methode.» US-Aussenminister John Kerry forderte Johnson zu einem «vernünftigen und massvollen Vorgehen» im Brexit-Prozess auf.
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz erklärte in Brüssel, offensichtlich sei es May bei der Vergabe der Ministerposten mehr um die Befriedung ihrer Partei gegangen als um die Zukunft des Landes.
Im Mittelpunkt der politischen Weichenstellungen stehe bei May nicht «das Wohl des Landes», sondern «parteipolitisches Kalkül», so Schulz. Grossbritannien müsse «diesen gefährlichen Teufelskreis» durchbrechen, der direkte Auswirkungen auf den Rest Europas habe.
May hatte am Mittwoch die Regierungsgeschäfte in London übernommen und überraschend den früheren Londoner Bürgermeister Johnson zum Aussenminister gemacht. Als Brexit-Vorkämpfer hatte Johnson zur Niederlage seines Parteifreundes, des konservativen Premierministers David Cameron, beigetragen.
Enfant terrible
Der im Volk beliebte frühere Bürgermeister von London ist bekannt für derbe Sprüche - auch über ausländische Politiker. Den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan hatte er im Zuge der deutschen Böhmermann-Affäre in einem eigenen Schmähgedicht als «Wichser von Ankara» bezeichnet.
Über die US-Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton hatte er 2007 gesagt: «Sie hat gefärbtes blondes Haar, Schmoll-Lippen und einen stählernen blauen Blick wie eine sadistische Pflegerin in der Psychiatrie.»
Bei den wegweisenden Verhandlungen über den Ausstieg aus der Europäischen Union dürfte der Londoner Ex-Bürgermeister indes eher eine Nebenrolle spielen. Denn May schuf dafür eigens den Posten des «Brexit-Ministers», den der langjährige Ausstiegs-Befürworter David Davis bekleiden wird.
Ebenfalls am Mittwochabend ernannte sie den bisherigen Aussenminister Philipp Hammond zum Finanzminister. Amtsinhaber George Osborne, ein vehementer Befürworter eines EU-Verbleibs, trat zurück. Mays früheren Chefposten im Innenressort übernimmt Amber Rudd.
Weitere Änderungen
Am Donnerstag wurden neue Änderungen in der Regierungsmannschaft bekannt: Bildungsministerin Nicky Morgan, die Nordirland-Ministerin Theresa Villiers, Kulturminister John Whittingdale und Justizminister Michael Gove verloren ihre Posten.
Die britische Ministerin für Internationale Entwicklung, Justine Greening, ist künftig für Bildung zuständig. Umweltministerin Liza Truss wechselt in die Justiz. Gesundheitsminister Jeremy Hunt bleibe in seinem Amt, meldete die britsche Agentur PA.
In ersten Telefonaten nach ihrem Amtsantritt am Mittwochabend sprach May mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Staatschef François Hollande und dem irischen Regierungschef Enda Kenny.
«Die Premierministerin hat erklärt, dass wir einige Zeit brauchen, um uns auf diese Verhandlungen vorzubereiten», sagte eine Regierungssprecherin in London nach den Telefonaten. Damit erteilte sie Erwartungen in vielen EU-Staaten nach raschen Trennungsverhandlungen eine Absage.
Kein Notfallbudget
Der neue Finanzminister Philip Hammond schloss derweil ein Notfallbudget wegen des anstehenden Brexit aus. Die Haushaltsplanungen würden «wie immer» Ende des Jahres vorgelegt, sagte Hammond auf Sky News. Dem Sender ITV sagte er, die Regierung werde alles tun, «um die Wirtschaft auf dem richtigen Weg zu halten».
In ihrer ersten Leitzinsentscheidung liess die britische Notenbank den Leitzins trotz des Brexit-Votums unverändert bei 0.5 Prozent. Einige Analysten hatten mit der ersten Zinssenkung seit mehr als sieben Jahren gerechnet, weil die Zentralbank damit hätte versuchen können, die wirtschaftlichen Folgen des Votums abzumildern. (sda/afp/dpa/reu)