Partei der Bauern und Grünen erhebt Regierungsanspruch in Litauen

Partei der Bauern und Grünen erhebt Regierungsanspruch in Litauen

24.10.2016, 06:40

Bei der zweiten Runde der Parlamentswahlen in Litauen haben sich die Wähler für einen Machtwechsel ausgesprochen. Sie straften ihre Regierung ab und machten eine Kleinpartei zur stärksten Kraft im künftigen Parlament.

Die Partei der Bauern und Grünen (LGPU), die im scheidenden Parlament nur einen einzigen Sitz hatte, ging aus der Wahl am Sonntag überraschend als Siegerin hervor. Ihr Spitzenkandidat, der frühere Polizeichef Saulius Skvernelis, wertete das Ergebnis als Signal für den Wandel und erhob Anspruch auf die Bildung einer Regierung.

In dem 141 Abgeordnete umfassenden Parlament wird die LGPU laut endgültigen Auszählungsergebnissen 54 Mandate besetzen. Die als Wahlfavoriten gehandelten Konservativen kommen nur auf 31 Sitze. Die Sozialdemokraten von Regierungschef Algirdas Butkevicius wurden erwartungsgemäss abgestraft und gewannen nur 17 Sitze. Butkevicius verlor sein Mandat.

Auch dessen zwei populistische Bündnispartner - die Partei für Ordnung und Gerechtigkeit (8 Sitze) und die Arbeitspartei (2 Sitze) - wurden abgestraft.

Von der Polizei in die Politik

LGPU-Spitzenkandidat Skvernelis kündigte einen Neustart in der Politik an. «Wir werden für eine transparente und vernünftige Politik sorgen», sagte er in der Wahlnacht. «Wir werden eine rationale Koalitionsregierung bilden, und wir werden Persönlichkeiten aufstellen, die den Wandel wollen.» Die LGPU sieht sich selbst als Partei der Mitte.

Der frühere Polizeichef Skvernelis ist kein Mitglied der Partei, wurde aber als deren Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten aufgestellt. Er ist wegen seines Kampfes gegen Korruption in der Bevölkerung äusserst beliebt. Der 46-Jährige war erst vor zwei Jahren in die Politik gekommen: Als Innenminister tauschte er seine Polizeiuniform gegen Anzug und Krawatte aus.

Offizieller Chef der Partei der Bauern und Grünen ist der Milliardär Ramunas Karbauskis, ein Grundbesitzer und Industrieller. Er hatte im Wahlkampf versprochen, sich für höhere Gehälter und ein Wirtschaftswachstum einzusetzen, um die Abwanderung junger Litauer zu verhindern. Um dieses Ziel zu erreichen, hatte er im Wahlkampf eine «grosse Koalition» aus allen Parteien ins Spiel gebracht, die eine Expertenregierung tragen solle.

Offen für Bündnisse

Karbauskis zeigte sich nach der Wahl offen für ein Mitte-Links- oder Mitte-Rechts-Bündnis. «Ich denke, die Sozialdemokraten und die Konservativen sind potenzielle Partner», sagte der Agrar-Grossunternehmer. Gesprächen mit der Liberalen Bewegung (14 Sitze) erteilte er zunächst eine Absage.

Als Favorit für das Amt des Ministerpräsidenten hatte vor der Wahl der Chef der Konservativen gegolten: Der 34-jährige Gabrielius Landsbergis ist ein Enkel von Vytautas Landsbergis - dem «Vater» der litauischen Unabhängigkeit von der Sowjetunion und Staatspräsident von 1990 bis 1992.

Kampf der Abwanderung

Im Mittelpunkt des Wahlkampfs standen die Wirtschafts- und Sozialpolitik der ehemaligen Sowjetrepublik. Angesichts anhaltend hoher Armut und sozialer Ungleichheit zieht es viele junge Menschen ins Ausland. Rund 370'000 haben seit Litauens EU-Beitritt im Jahr 2004 ihre Heimat verlassen, etwa die Hälfte davon zog es nach Grossbritannien. Alle Spitzenkandidaten traten denn auch mit dem Versprechen an, die Löhne zu erhöhen und mehr Arbeitsplätze zu schaffen.

Der Urnengang in dem 2.9 Einwohner zählenden baltischen EU-Mitgliedstaat war als Protestwahl gegen die bislang regierende Linkskoalition gewertet worden. Beobachtern zufolge hat vor allem die jüngste Novellierung des Arbeitsrechts, die Entlassungen vereinfacht, Butkevicius und seiner Regierung Stimmen gekostet.

Überraschung

Dennoch «überrascht» von dem Wahlausgang äusserte sich Ramunas Vilpisauskas vom Institut für internationale Beziehungen und Politikwissenschaft in Vilnius. «Das bedeutet wirklich, dass die Leute neue Gesichter in der Politik wollen.» Die Erwartungen der Menschen seien aber schwer einzuschätzen, die LGPU-Politiker seien weitgehend unbekannt.

Die Wahlbeteiligung unter den 2.5 Millionen Stimmberechtigten lag nach Angaben der Wahlkommission bei 38 Prozent. (sda/afp/dpa)

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