Francesco Biamonte: «Beim Singen bin ich selbst das Medium»

Francesco Biamonte: «Beim Singen bin ich selbst das Medium»

08.09.2017, 09:00

Francesco Biamonte, 1971 in Genf geboren, hat in Lausanne und Tübingen Kunstgeschichte, Latein und deutsche Literatur studiert. Heute arbeitet er als Redaktor bei Radio Espace 2 und als Sänger in freien Opernprojekten. Er lebt in Tartegnin oberhalb von Rolle VD.

Ein Brummen kommt über den Himmel. Es rührt von der Autobahn her, die unterhalb des Dorfes die Weinberge durchschneidet. Ein leises Brummen zieht auch durch das Haus von Francesco Biamonte, der in der Küche beschäftigt ist. Ein padovanischer Tomatensugo köchelt auf dem Herd.

Francesco Biamonte ist ein Naturtalent in vielerlei Hinsicht. Er kennt sich in fünf Sprachen aus, hat sich mit Kunst beschäftigt und mit 25 Jahren als Spätberufener schliesslich zur Musik gefunden.

Er hat früher schon Chansons oder Lieder der Beatles gesungen, im «boyscout style», wie er sagt. Nach Abschluss des Studiums aber begann er immer leidenschaftlicher zu singen und hatte «irgendwann einfach Lust, das ernster zu betreiben». Deshalb schrieb er sich am Konservatorium Lausanne für ein Gesangsstudium ein, das er zwei Jahre später abschloss.

Noch während der Ausbildung eröffnete sich ihm die Chance, die Paraderolle des Don Giovanni zu singen. «Eine unglaubliche Erfahrung», die zwar viel zu früh kam, doch Francesco Biamonte bestand sie «auf den Flügeln der Freude». Zum Bariton auf den grossen Bühnen der Welt würde es ihm aber nicht reichen, da machte er sich keine Illusionen.

Es ging ihm um etwas anderes. «Ich liebe den Operngesang», diese Verbindung von Singen und Spielen. «Ich bin dabei selbst das Medium, das den Widerstand erzeugt.» Jenen Widerstand, der mit einer guten Technik überwunden werden kann. Gerade die Technik ist ihm wichtig. Sie ist «das Bindeglied zwischen den Ideen und der Welt. Das wahre Verstehen liegt in dieser Verbindung».

Was aber sollte nach dem Don Giovanni kommen? Francesco Biamonte begann eigene Wege zu sondieren. Heute ist er in Personalunion Impresario, Maestro und Sänger in einer kleinen beweglichen Truppe, die sich «Les Farceurs Lyriques» nennt. Sie verwandeln die ernsthafte Oper in ein lustvolles Spektakel zwischen Belcanto, Commedia dell'arte und Slapstick.

Eine weit verzweigte Familie

Wer in Francesco Biamontes Leben nach Grenzen sucht, kann sie an allen Ecken und Enden finden. Die familiären Wurzeln führen ebenso ins italienische Kampanien wie in die jüdische Kultur Österreichs, in die belgische Kolonie Kongo oder nach Kalifornien. Der Name rührt womöglich von einem Fehler der ehemals spanischen Administration in Neapel her, die aus Via Monte ein Biamonte machte.

So kommt es auch, dass er italienisch-amerikanischer Doppelbürger ist und von Haus aus Italienisch, Französisch und Englisch spricht. Durch das Studium an der Universität Lausanne hat er diesen Sprachen, nebst Kunstgeschichte, noch Latein und Deutsch hinzugefügt.

Francesco Biamonte hat sein Leben am Arc lémanique zwischen Genf und Lausanne verbracht. Er wohnt heute in der Mitte zwischen den beiden Städten. «Es ist kurios», meint er, «vom Kopf her müsste ich Schweizer werden». Der Gemeinschaftssinn, die gelebte Demokratie, alles sei hier bestens, «mais je ne le fais pas.» Umso leidenschaftlicher nimmt er Anteil am Schweizer Kulturleben, das er seit Jahren mit seinen Aktivitäten und Projekten bereichert.

Francesco Biamonte arbeitete zuerst als Assistent, danach als Direktor für den Service de presse Suisse (SPS). In dieser Funktion hat er die literarische Revue Feuxcroisés (1999-2006) redigiert und den Zusammenschluss des SPS mit der Literaturplattform culturactif betreut. 2007 erschien erstmals das dreisprachige Jahrbuch «Viceversa Literatur».

Das Ziel all dessen war es, das gegenseitige Wissen über die Schweizer Literatur dies- und jenseits von Röstigraben und Gotthard zu verbessern. Mit seiner impulsiven Herzlichkeit und kommunikativen Offenheit hat Francesco Biamonte daran gewichtigen Anteil.

2010 reifte in ihm der Entschluss, diese stark administrative Tätigkeit aufzugeben. «Ich kannte alle in der Schweizer Literatur, aber ich habe selbst nur noch ganz wenig geschrieben.» Vor allem aber wollte er mehr singen.

Deshalb hat er 2011 eine neue 50-Prozent-Stelle als Redaktor beim welschen Kulturradio Espace 2 angetreten. Schon in einer der ersten Sendungen demonstrierte er, wie er seinen Auftrag verstand, indem er sich dem Belcanto von Freddy Mercury von der Rockgruppe Queen widmete. Diese Stelle erlaubt es ihm, dass er nebenher Zeit für seine Opernprojekte findet; und dass er auch mal ein paar Tage für eine Tournee frei machen kann.

Mit der Oper auf die Strasse

Francesco Biamonte liebt den Operngesang, aber er misstraut der «Welt der grossen Oper». Es ist nicht allein ihre hierarchische Struktur und die kulturelle Steifheit, die ihn stört und oft langweilt. Hier regiert eine harte Zweiteilung: «Alle haben das Gefühl zu wissen, was richtig ist, und was falsch.» Diese geradezu unkreative Haltung missfällt ihm. Da wollte er nicht dazugehören, denn die Liebe zum Gesang benötigt Spass, Spontaneität und Freiraum.

Solchen gab ihm die internationale Produktion «Pendulum Choir», mit der er 2012 bis 2015 in Tokyo, New York oder auf Malta gastierte. Das experimentelle Musikspektakel beinhaltete viel Improvisation, und es wandte sich an ein neues Publikum, das eher mit Medienkunst und elektronischer Musik vertraut war.

So bombastisch und teuer dürfen die eigenen Projekte nicht werden. Deshalb verlässt er sich seit ein paar Jahren auf eine kleine Gruppe von Sängern und Musikern, die für originelle Projekte eng miteinander zusammenarbeitet. «Eine Strassenoper», erklärt er, «muss man anders spielen. Man muss eine direkte Beziehung zum Publikum schaffen, damit es nicht davonläuft.» Mit Techniken der Commedia dell'Arte oder eines rappenden Slapsticks kann dies gelingen.

Beispielsweise Mitte Mai in einem Zelt auf der Place de la Gare in Echallens oberhalb von Lausanne. Hier spielen «Les Farceurs Lyriques» in der Besetzung mit zwei Sängern, einer Schauspielerin sowie mit Cembalo und Streichquartett die Strassenoper «La Fausse polonaise» - frei interpretiert nach Pergolesi. Während sich Musik und Gesang ans Operngenre halten, signalisieren Kostüme und Gesten einen frechen, verspielten Zugang.

Neben Kostproben aus der faszinierenden Schattenoper «Gulliver» gibt Francesco Biamonte auf seiner Webseite auch eine ergreifende Arie aus «Figaros Hochzeit» zum besten: «Aprite un po' quegli occhi». Genau darum geht es ihm: «Ach öffnet eure Augen» und schaut euch um.

Verfasser: Beat Mazenauer, sfd (sda)

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