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Wie Google als Autobauer zum Staatsfeind werden kann

Mit dem selbstfahrenden Auto von Google könnte der Verkehrs-Überwachungsstaat überflüssig werden: Blick aus dem Cockpit.
Mit dem selbstfahrenden Auto von Google könnte der Verkehrs-Überwachungsstaat überflüssig werden: Blick aus dem Cockpit.Bild: AFP
Überwachung mal positiv

Wie Google als Autobauer zum Staatsfeind werden kann

Der IT-Konzern macht mit seinem selbst gelenkten Auto den Verkehrs-Überwachungsstaat überflüssig.
04.06.2014, 10:4023.06.2014, 13:54
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Dave Eggers’ Roman «Circles» ist ein typisches Beispiel für die grassierende Angst vor Big Data: Ein IT-Konzern mit sehr vielen Ähnlichkeiten zu Google dehnt seine Macht über seine Mitarbeiter und Kunden so weit aus, dass der gläserne Mensch Tatsache wird und eine Art freundlicher Faschismus entsteht, der jegliche Privatsphäre und Individualität vernichtet. Auf diese Weise wird der Big-Brother-Staat schleichend eine Realität, auch wenn er sich als Kuschelstaat tarnt, der nur das Beste für alle will.

Im Zeitalter von NSA-Abhörskandalen und Edward-Snowden-Enthüllungen muss man keineswegs paranoid sein, um sich vor einem Techno-Faschismus zu fürchten. Die Gefahr ist real, der Kampf für die Privatsphäre ein legitimes und bedeutendes Anliegen der Menschen im digitalen Zeitalter. Doch IT und Big Data müssen nicht zwangsläufig Gehilfen beim Aufbau eines Techno-Faschismus werden. Als Autobauer könnte Google im Gegenteil zu einem Staatsfeind werden. 

Keine Kindersitze, keine Sicherheitsgurten

Wer zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und Mitte der Fünfzigerjahre geboren wurde, gehört zur Babyboomer-Generation.  Sie oder er können sich an Zustände erinnern, die uns heute die Haare zu Berge stehen lassen. Der Schreibende beispielsweise war als Kind mit seinem Vater in einem Opel Kapitän unterwegs – unter Umständen, die heute als kriminell gelten würden. 

So entspannt fährt sich's im Google Car

Er sass nicht in einem Kindersitz, ja er war nicht einmal angegurtet, sondern er stand auf einer Mittelkonsole zwischen den Vordersitzen und schaute dem oft rauchenden Vater beim Lenken über die Schultern. Ein abruptes Bremsmanöver hätte fatale Folgen gehabt: Das Kind wäre wie ein Geschoss durch die Fensterscheibe geflogen und wäre schwer, vielleicht tödlich verletzt gewesen. 

Die Todesstrecken mussten entschärft werden

Viele Kinder waren so in den Sechzigerjahren unterwegs mit ihren Vätern, und nicht alle haben dies unversehrt überstanden. Der Autoboom der Nachkriegszeit forderte auch in der Schweiz einen hohen Blutzoll, die Zahl der Unfalltoten und Verletzten stieg bedrohlich an, der Staat musste eingreifen. Tempobeschränkungen, Entschärfung von «Todesstrecken», Gurtenzwang, obligatorische Kindersitze, Airbag und Radarüberwachung haben inzwischen die Zahl der Verkehrstoten drastisch sinken lassen.

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Wer heute noch «Freude am Fahren» haben will, muss auf eine Rennstrecke in Tschechien oder ein Schneefeld in Finnland ausweichen. Auf Schweizer Strassen ist die Überwachung fast total geworden. Jedes Rotlicht und jede hundert Meter gerade Strecke wird heute mit einem Radar gesichert. «Freie Fahrt für freie Bürger» ist definitiv zur Illusion geworden, nicht weil das eine bösartige Classe politique so will, sondern weil die Stimmbürgerinnen dies zum Schutz ihrer Kinder so verlangen. 

«Macht aus dem Staat Gurkensalat!»

Der Siegeszug des Überwachungsstaates hat auch Folgen für das politische Bewusstsein der Menschen. Die Babyboomer-Generation kritisierte einst den Staat von links. Gestützt auf die Hegemonie-Theorien des italienischen Politologen Antonio Gramsci waren Polizisten, Soldaten und Beamte Helfeshelfer von kapitalistischen Ausbeutern. Um die Arbeiter zu befreien, mussten sie daher bekämpft werden. «Macht aus dem Staat Gurkensalat», lautete die legendäre Parole der Aktivisten zu Beginn der Achtzigerjahre. 

Heute kommen die Staatsfeinde von rechts. SVP-Vertreter und Organisationen wie die IG Freiheit prangern die Übermacht des Staates an und verweisen dabei auf die unzähligen Verbote im Verkehr. «Mehr Freiheit, weniger Staat» fordern neoliberale Freisinnige und hoffen, den Frust über die eingeschränkte Freiheit auf den Strassen in politisches Kapital ummünzen zu können. Dass diese Freiheit realistisch betrachtet höchstens noch morgens um drei Uhr auf einer abgelegenen Landstrasse im Thurgau existiert, wird dabei geflissentlich unterschlagen. 

Freie Fahrt für freie Bürger wird Realität

Sollte sich Google dereinst tatsächlich mit seinem Software gesteuerten Auto durchsetzen, können wir uns den gesamten Verkehrsüberwachungs-Staat schenken. Niemand rast, niemand überfährt ein Rotlicht, es gibt keine Unfalltote und Verletzte. Es gibt auch keinen Stress und Frust mehr. Autofahrer quälen sich nicht mehr durch Stau und ärgern sich nicht mehr über Radar. 

Stattdessen schauen sie sich einen Film an, erledigen auf ihrem Laptop ihre E-Mails oder geniessen die Fahrt, trinken dabei auch alkoholische Getränke und telefonieren nach Herzenslust. Es gäbe wieder eine viel sinnvollere Art von freie «Fahrt für freie Bürger». Der Staat wäre dabei vollkommen überflüssig – zumindest im Verkehr. 

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