Die Schweiz ist kein Land, das Rücksicht nimmt auf die Gesundheit. Käse, Schoggi und – wenn man der Band Plüsch glaubt – «Wii» sorgen fürs Heimweh-Potenzial. Alles macht dick. Auch eine weitere Ingredienz Schweizerischen Nationalgefühls macht fett: das Bankgeheimnis. So fett, dass manche Banker noch am Bankgeheimnis festhalten wollten, als es eigentlich doch gar nicht mehr zu halten war. So kommt es, dass wir heute Dienstag einerseits das bevorstehende offizielle Ende des Bankgeheimnisses mitteilen können – und uns gleichzeitig noch einmal mit einem möglichen Bruch des Bankgeheimnisses und den juristischen Konsequenzen herumschlagen müssen.
Wie dem auch sei: Das Bankgeheimnis erst machte aus der Schweiz das Paradies, das die Mehrzahl ihrer Bewohner so gern in ihr sehen möchte. Allerdings ist es ein «Steuerparadies», und das zeigt, dass die Bezeichnung nur diesseits der Mauern positiv bewertet wird. Von aussen sieht man es anders.
Geschäftsbanken hatten, seit es sie gibt, mit dem Verdacht zu kämpfen, sie würden Vermögen nicht nur verwalten, sondern auch verstecken. Eigentlich ist ja das Bankgeheimnis – oder besser: das Bankkundengeheimnis – eine Selbstverständlichkeit. Niemand möchte, dass alle Welt seine Vermögensverhältnisse kennt. Und eine Bank, welche die Privatsphäre ihrer Kunden nicht achtet, muss gar nicht erst aufmachen. Diskretion ist allerdings eine Tugend, die nicht absolut geübt werden kann. Es kommt schon drauf an, wem gegenüber und für wen sie ausgeübt wird.
Schweizer Banken waren als «safe haven» bereits bekannt, bevor das Bankkundengeheimnis gesetzlich verankert wurde. Motive, sein Geld in Sicherheit zu bringen, gibt es viele. Schutz vor der Inflation, vor Konfiszierung – die sind indiskutabel; Schutz vor Besteuerung weniger. Das Argument: Bei einem «gerechten» Steuersystem, gäbe es keine Steuerflucht, greift leider nicht. «Was ist gerecht?», ist nur die eine Lücke. Dass es, solange es Möglichkeiten gibt, Steuern zu vermeiden, auch getan wird – Steuersystem hin oder her –, macht den Fehlschluss deutlich.
Dass Steuerschwindler nicht gedeckt werden sollten, da war man sich einig. Der Paragraf 47 des Bankengesetzes von 1934/35, wo das Bankkundengeheimnis kodifiziert wurde, rutschte beiläufig mit, als das vom katholisch-konservativen Finanzminister Jean-Marie Musy geschaffene Gesetz am 8. November 1934 vom Nationalrat mit 119:1 Stimmen und vom Ständerat einstimmig verabschiedet wurde. Der Zweck des Gesetzes war nämlich nicht die Errichtung eines Steuerparadieses, sondern die Stabilisierung des Finanzplatzes.
Denn im Dezember 1933 musste der Bund die Schweizerische Volksbank retten. Mit 100 Millionen Volksvermögen – damals eine ziemlich hohe Summe, fast ein Viertel des Bundesbudgets von 450 Millionen – da war Widerstand gegen eine Bankenregulierung schwierig zu rechtfertigen. Das Paradox des Bankengesetzes inklusive Bankkundengeheimnis von 1934, eingeführt wurde es 1935, besteht denn auch darin, dass man sich verzweifelt wehrte vor der Einführung und sich ebenso engagiert wehrte, als «die Linken» (einmal war allerdings auch der Republikaner James Schwarzenbach mit im Boot) es abschaffen wollten.
Gegen Käse, Schoggi und Wii hat international niemand etwas. Dass aber Bürger ausländischer Staaten, mehr oder weniger Ehrbare und Schurken gleichermassen, ihr Geld zwecks Steuerersparnis in die Schweiz brachten, schuf international immer mehr Unmut. Die Hypothese, das Bankengeschäft hätte sich vom Verwalten auf das Investmentbanking verlagert und wäre deshalb auch beim «Anbaggern» von reichen Ausländern aggressiver betrieben worden, hat etwas für sich. Auf jeden Fall wuchsen die Vermögen in der Schweiz und der Frust über die Steuerausstände im Ausland gleichermassen.
Das Bankgeheimnis war endgültig zum Verteidigungsobjekt geworden. Die etwas spitzfindige Unterscheidung zwischen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung war ein Befreiungsschlag. Aber die Erleichterung währte nur kurz. Der frustrierte Ex-UBS-Banker Bradley Birkenfeld brach 2008 die «omertà». Danach gab's kein Halten mehr. Die US-Behörden hatten nun jede Menge Indizien, wie die Schweizer Banken Kunden akquirierten, und sie wollten nun auch die Kundeninformationen. Unter allerlei Ausflüchten wurden sie übergeben. Das war der Anfang vom Ende und Birkenfeld der Mörder des Bankengeheimnisses. Oder der Metzger – denn fällig war es schon lange.