«Guten Tag, Frau Muster» oder «Entschuldigung, Herr Müller?» – so tönt es in vielen Schulzimmern in der Schweiz. Schülerinnen und Schüler sprechen ihre Lehrerinnen und Lehrer meist per Sie an.
Doch bei einigen der 21 Berufsschulen im Kanton Bern zeichnet sich ein Wandel ab. Beispielsweise in Bern am Bildungszentrum für Wirtschaft und Dienstleistung: Bis anhin siezte man sich am bwd, doch seit Beginn des Schuljahres im August gilt eine offiziell deklarierte Du-Kultur.
Und die Möglichkeit wird rege genutzt: «Eine grosse Mehrheit der Lehrkräfte, Schulleitungsmitglieder und Verwaltungsmitarbeitenden haben sich für das Du entschieden», sagt Raymond Anliker, Direktor der bwd.
Den Auslöser für die Umstellung kann Anliker klar benennen. Im Sommer startete der erste Jahrgang, der die neue kaufmännische Lehre absolviert. «Die KV-Reform beinhaltet einen markanten Rollenwechsel für die Lehrpersonen – weg von der reinen Wissensvermittlung hin zum Begleiten und Coachen von Lernprozessen. Das Du unterstützt diese Veränderung», erklärt Anliker.
Die Du-Kultur werde von allen geschätzt, sagt Anliker. «Viele Lehrkräfte äussern sich sehr positiv über die ersten Erfahrungen: Der Zugang zu Lernenden sei einfacher, man könne auch mal informelle Gespräche über andere Themen führen.» Er höre von seiner Lehrerschaft zudem, dass das Du keinen Einfluss auf Autorität oder Respekt habe. Die Schülerinnen und Schüler schätzen die Umstellung ebenfalls. «Auch von ihnen höre ich, dass das Du geschätzt wird, dass man auf Augenhöhe mit Lehrpersonen sprechen könne und man sich wertgeschätzt fühlt.»
Auch bei der Schule für Holzbildhauerei gilt das Du. Markus Flück, Direktor der Schule in Brienz, erklärt, warum: «Wir sind ein Kleinstberuf und arbeiten in verschiedensten Funktionen mit den Lernenden zusammen.» Durch das Du herrsche in der Schule eine andere Atmosphäre, die aber allen zugutekomme. «Es hat keinen negativen Einfluss auf den Respekt. Im Gegenteil: Es wirkt sich positiv aus, wenn man auf Augenhöhe kommunizieren kann.»
Bei der Gartenbauschule in Hünibach sagt man sich seit 2016 Du. «Wir erleben das Duzen positiv und es gibt keinen Grund, dies zu ändern», sagt Susanne Grossenbacher, Leiterin der Berufsbildung.
In der Schule für Gestaltung Bern und Biel werde der respektvolle Umgang auf Augenhöhe gefördert, schreibt die Kommunikationsverantwortliche Juliane Wolski. «Das Du gilt in gegenseitiger Absprache und wird von den Lehrpersonen und Lernenden gerne gepflegt. In unserem kreativen Umfeld ist das Duzen kein neues Phänomen, sondern Teil einer Kultur, in der Ideen offen und wertfrei ausgetauscht, diskutiert und geteilt werden.»
Bisher wird an der gibb Berufsschule Bern gesiezt, Erfahrungen mit Duzen habe die Schule noch nicht. Doch das könnte sich ändern: Laut dem stellvertretenden Direktor Hans Hofer befasse sich die gibb aktuell mit der Thematik.
An der Technischen Fachschule Bern wurden die Lernenden seit 1888 grundsätzlich gesiezt, so der stellvertretende Direktor Mauro Abbühl. «Da sich unsere Gesellschaft in der Entwicklung von einer Sie- zu einer Du-Kultur befindet und wir uns gewissermassen in einer Übergangsphase befinden, leben wir seit August 2023 eine flexible Regel.»
«Sollten wir feststellen, dass sich Lehrpersonen und Lernende zukünftig grossmehrheitlich duzen, könnte die aktuelle Regelung zu einer grundsätzlichen Du-Kultur weiterentwickelt werden», zeigt sich Abbühl offen für einen Wandel.