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«Und so macht man den Zirkus mit» – Frauen über psychische Gesundheit

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«Und so macht man den Zirkus halt mit» – 3 Frauen über psychische Gesundheit

Der vorherrschende Leistungsdruck schlägt vor allem jungen Frauen auf die Psyche. Was macht ihnen besonders zu schaffen? Drei Betroffene berichten.
04.10.2022, 12:30
Sidonia Küpfer
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Dieser Blog ist eine Contentpartnerschaft mit der CSS Versicherung.

Im Rahmen dieses Blogs werden verschiedene Aspekte der neuen Studie zum Gesundheitszustand der Schweizer Bevölkerung beleuchtet. Die Resultate werden in insgesamt acht Beiträgen in diesem Format behandelt.

Es handelt sich nicht um bezahlten Inhalt.

Beruflicher Stress und Leistungsdruck machen krank. Gefährdet sind vor allem Frauen zwischen 18 und 30 Jahren. Diese eindeutige Erkenntnis aus der dritten Umfrage im Rahmen der CSS-Gesundheitsstudie lässt aufhorchen. Ganze 84,5 Prozent der jungen Frauen bejahten die Frage, ob sie sich unter Druck fühlen, immer gesund und leistungsfähig zu sein. Bei den gleichaltrigen Männern waren es 49,8 Prozent.

Frauen sehen sich über sämtliche Altersklassen hinweg stärker belastet, mit entsprechenden negativen Folgen für die psychische Gesundheit – bis hin zum Burnout oder sogar zur Depression. Woran liegt das? Eine der Erklärungen liegt in der Pandemie selber und ihren Folgen für den Arbeitsmarkt und die Geschlechterrollen: Das vermehrte Home-Office beispielsweise hat nicht dazu geführt, dass Frauen entlastet sind, im Gegenteil. Traditionelle Rollenbilder haben Auftrieb erhalten, und in der Arbeitswelt dominieren tendenziell wieder Strukturen, die permanente Verfügbarkeit verlangen.

Wir haben mit verschiedenen Frauen gesprochen und ihre Erfahrungen eingeordnet.

Vera (42)

«Als die Pandemie ausbrach und die Home-Office-Pflicht verordnet wurde, habe ich das zuerst als Entlastung empfunden. Allerdings schlichen sich bald seltsame Routinen in meine Partnerschaft ein: Mein Mann half in erster Linie bei den Hausaufgaben unseres achtjährigen Sohnes, aber alles andere blieb tendenziell an mir hängen. Kaum war die Home-Office-Plicht aufgehoben, musste mein Mann – wohl auch aufgrund seiner Führungsfunktion – wieder im Büro präsent sein. Ich hingegen war angehalten, mindestens die Hälfte der Zeit von zu Hause aus zu arbeiten. So war bald klar, dass ich vermehrt die Aufgaben übernehme, die in den eigenen vier Wänden anfallen.

Der Druck, im Job zu liefern, ist aber nicht kleiner geworden. Ich hatte vielmehr das Gefühl, erst recht performen zu müssen. Als Mutter steht man ja permanent unter Verdacht, im Home-Office mehr Zeit mit dem Kind als mit der Arbeit zu verbringen. Jetzt, wo die Schutzmassnahmen längst aufgehoben sind, lässt mein Arbeitgeber Home-Office auch offiziell zu. Aber wer diese Option tatsächlich nutzt, gerät ins Hintertreffen. Für mich war und ist das ein enormer Stressfaktor. Ich werde immer wieder, vor allem in der Nacht, von Ängsten heimgesucht, ob ich das alles auf Dauer bewältigen kann.»

Eine Untersuchung der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen kommt zum eindeutigen Schluss: Frauen waren in dieser Pandemie bedeutend stärker belastet – gerade auch, was die Vereinbarkeitsproblematik im Home-Office betrifft. Internationale Studien wie jene der Hans-Böckler-Stiftung belegen, dass das forcierte Home-Office die tradierte Arbeitsteilung gestärkt anstatt aufgeweicht hat. Doch es greift zu kurz, lediglich die direkten Folgen der Pandemie zu berücksichtigen, wenn es darum geht, der höheren psychischen Belastung von jungen Frauen auf den Grund zu gehen – zumal sich die Vereinbarkeitsfrage nicht zwingend schon in diesen Jahren stellt.

Einen grossen Einfluss auf die Psyche vieler junger Frauen haben Social Media, und dabei besonders bildlastige Apps wie Instagram.

Leonie (23)

«Wenn alle Freundinnen fleissig Fotos posten und einander ‹liken›, will man nicht abseitsstehen. Mir passte es von Anfang an nicht, dass es auf Instagram in erster Linie darum geht, sich selber zu inszenieren. Mir scheint sogar, manche gestalten ihr Leben so, dass es ‹instagramable› wird. Es geht nur noch um die Aussenwirkung.

Ich betrachte das alles mit einer gewissen Distanz, und trotzdem hat es bei mir Spuren hinterlassen. Alle wirken immer so unglaublich happy, stylish und makellos. Obwohl ich doch weiss, dass dies lediglich Momentaufnahmen sind, und dass alles inszeniert ist, zieht es mich manchmal runter, wenn ich so viele Fotos sehe, die scheinbar perfekte Leben abbilden. Ich würde meinen Account besser löschen, aber ich möchte halt auch nichts verpassen.»

Wie sehr vor allem Instagram auf die Psyche junger Frauen schlagen kann, beweist eine geleakte interne Untersuchung von Meta – der Konzern, zu dem neben Facebook auch Instagram gehört. Die Dokumente offenbaren, dass es einem Drittel der jungen Frauen, die sich unwohl in ihrem Körper fühlen, schlechter geht, wenn sie Instagram nutzen. Insbesondere der Körperkult, der von glamourös lebenden Influencerinnen vorangetrieben wird, hat es in sich: Permanent mit straffen Gesässmuskeln und makellosen Bauchpartien konfrontiert zu werden, beeinträchtigt die eigene Selbstwahrnehmung.

Der frühere Facebook-Präsident Sean Parker hat jedenfalls kein gutes Wort mehr für soziale Medien übrig. Diese seien darauf ausgelegt, Schwächen der menschlichen Psyche auszunutzen. So bedienen sie perfekt die Suche nach Aufmerksamkeit.

Die Journalistin Nena Schink (30) schrieb darüber mit «Unfollow – Wie Instagram unser Leben zerstört» sogar ein Buch. Sie befürchtet, dass in ihrem Freundeskreis ein grosser Teil Instagram-süchtig ist. Eindeutige Kennzeichnen: Wenn man sich zum Beispiel 83-Mal fotografieren lasse, um ein perfektes Bild zu haben. Oder wenn man seine Bilder überprüfe und seinen Selbstwert von den erhaltenen Likes abhängig macht. Dieses Verlangen nach digitaler Bestätigung sollte Alarmzeichen genug sein.

Auch der reine Zeitfaktor spielt eine Rolle: «Wer zwei Stunden am Tag auf Instagram verbringt, ist süchtig», so Schink. Für sie waren die realen Begegnungen mit den Influencerinnen sehr heilsam – und die damit verbundene Erkenntnis, dass sie auf Instagram cooler wirken als im echten Leben.

Schon frühere Studien haben gewarnt, welche Risiken soziale Medien für junge Menschen haben. Wenn die eigene Identität noch nicht gefestigt und der Wunsch nach Zugehörigkeit gross ist, besteht eine grosse Suchtgefahr – gerade für jungen Frauen, auf denen ein besonders grosser Druck lastet, äusserlichen Schönheitskriterien zu entsprechen.

Wenn es auf Instagram vor allem darum geht, sich zu inszenieren, so kann auch die «normale» Arbeitswelt einen hohen sozialen Druck auf Frauen ausüben – vor allem, wenn man nicht auch einmal «Nein» sagen kann und sich stark über die eigene Karriere definiert.

Lass dir helfen!
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Die Dargebotene Hand: Tel 143, www.143.ch
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Kathrin (32)

«Ich hatte einen Job, um den mich viele beneidet haben und der mich forderte – und irgendwann eben überforderte. Immer mehr Aufgaben wurden mir zugetragen, aber ‹Nein› sagen war keine Option. Das Umfeld, in dem ich tätig war, ist sehr kompetitiv. Und so machst du diesen Zirkus halt mit und bist stolz darauf, was du alles in deinem Alter schon erreicht hast. Aber irgendwann konnte ich nicht mehr einschlafen und wachte jeweils viel zu früh wieder auf. In meinem Kopf ging ich jeweils die ‹To do Liste›-durch, und ich merkte: Das ist eigentlich gar nicht zu schaffen.

Ich geriet in eine regelrechte Grübel-Spirale: Wenn ich kündige, wird mir das nicht als Versagen ausgelegt? Im Nachhinein weiss ich, wie absurd diese Ängste waren. Aber zur ganzen beruflichen Belastung kamen auch private Sorgen dazu: Ich war mir sicher, mit meinem Freund eine Familie gründen zu wollen, aber diese permanente Auslastung weckte grosse Zweifel in mir, wie das alles unter einen Hut zu bringen ist. Irgendwann schaffte ich es am Morgen nicht mehr, aus dem Bett zu kommen. Wenn ich daran dachte, was mich alles erwartet, machte sich ein dunkler Schleier in mir breit. Da wusste ich: Jetzt ist es höchste Zeit, die Handbremse zu ziehen. Ich habe mir eine dreimonatige Auszeit gegönnt und lasse es seither nicht mehr zu, dass der Beruf mein Leben dermassen dominieren kann.»

Kathrin hat es aus eigener Kraft geschafft, ihrem Leben eine neue Wende zu geben. Aber neben allen sozialen und beruflichen Einflussfaktoren darf nicht ausser Acht gelassen werden, dass auch biologische Ursachen eine Rolle für das höhere Erkrankungsrisiko von jungen Frauen spielen. So ist erwiesen, dass Depressionen und Angsterkrankungen bei Frauen signifikant häufiger vorkommen, «auch weil sie in ihrem Lebenszyklus häufiger als Männer körperlichen Veränderungen unterworfen sind, die mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Rollen und psychischen Belastungen einhergehen», sagt die Psychiaterin und Psychotherapeutin Rosilla Bachmann. «Gerade die Zeiten hormoneller Veränderungen wie Menstruationszyklus, Schwangerschaft, Postpartalzeit und Wechseljahre können bei Frauen das Risiko für psychische Probleme erhöhen.»

In der nächsten Ausgabe des «Check-up»-Blogs widmen wir uns den jungen Männern. Denn auch dort hat die CSS-Gesundheitsstudie zum Teil überraschende Resultate hervorgebracht.

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Psychische Störungen im Film
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Psychische Störungen im Film
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33 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Sarkasmusdetektor
04.10.2022 13:42registriert September 2017
Nein sagen lernen hilft in den meisten dieser Situationen. Müssen auch wir Männer lernen, aber Frauen scheint es noch viel schwerer zu fallen.
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Achillea
04.10.2022 16:03registriert April 2021
Die Situation von Kathrin kenne ich sehr gut. Zusammen mit der Angst vor Veras Situation bin ich an den Punkt gekommen, an dem gar nichts mehr funktioniert hat. Ich war wie gelähmt, konnte mich für nichts mehr motivieren und hatte an nichts mehr Freude. Die Arbeit blieb liegen und meine langjährige Beziehung zerbrach.
Die empfohlene Psychiaterin konnte nicht weiterhelfen. Dank der Unterstützung einer guten Freundin und einem Törchen, dass sich beruflich geöffnet hat, geht es nun wieder bergauf. Seit ich darüber sprechen kann, erfahre ich, dass viele Leute bereits Ähnliches erlebt haben.
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samtauge
04.10.2022 13:39registriert Mai 2022
Vielen Dank für diesen Artikel. Ich hab gerade heute gelesen, dass jede/r vierte Schweizer/in mind. einmal im Leben an einer Depression erkrankt. Jede vierte Person!!
Wieviele in meinem Umfeld selbst betroffen sind, merkte ich auch erst, als ich selbst erkrankte. Plötzlich kamen da ganz andere Gesprächsthemen auf - ich bin dankbar für diese Offenheit.
Wir sollten als Gesellschaft
dringend mehr und offener darüber sprechen.
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