Tecoripa ist ein kleines, verschlafenes Kaff in der nordmexikanischen Wüste. Meine Freundin Lea und ich trotten an farbigen, einstöckigen Häuschen vorbei und schütteln den Kopf über eine Mülldeponie, die mitten im Dorf unter einer Brücke entstanden ist. Auf der anderen Strassenseite lehnen drei Typen an einer Hauswand. Sie beäugen uns mit neugierigen, misstrauischen Blicken – oder zumindest nehmen wir es so wahr.
Am Dorfende setzen wir uns auf unsere Rucksäcke und warten auf eine Mitfahrgelegenheit. Nach einer Viertelstunde fährt ein Pick-up-Truck der Polizei an uns vorbei ins Dorf. Es ist jedoch kein gewöhnlicher Streifenwagen: Auf der Ladefläche sitzt ein Polizist mit kugelsicherer Weste und Maschinengewehr.
Wir fühlen uns etwas unwohl bei dem Anblick, völlig geschockt sind wir aber nicht. Freunde in der Grossstadt Hermosillo, wo wir einen Monat lang Spanisch gebüffelt haben, hatten uns gewarnt: Unsere Route zur wunderschönen Kupferschlucht ist eine wichtige Verkehrsachse für den Drogenschmuggel in Richtung USA.
In Mexiko tobt ein blutiger Drogenkrieg. Beim Kampf der mexikanischen Behörden gegen Drogenkartelle und in den Auseinandersetzungen zwischen den Kartellen sind in den vergangenen zehn Jahren rund 100'000 Menschen ums Leben gekommen.
Auch wenn man die Dörfer googelt, die wir in der vergangenen Woche passiert haben, stösst man auf Morde und Leichen. Die ganz grosse Mehrheit der Opfer sind jedoch Mitglieder eines Clans. Dass völlig Unbeteiligten etwas zustösst, kommt selten vor.
Die Menschen versuchen, ein möglichst normales Leben zu führen. Das zeigt auch eine Szene in Tecoripa: Als der vollbewaffnete Polizeiwagen das Dorf wieder verlässt, nimmt er eine ältere Frau und ein Kleinkind mit. Die beiden haben ebenfalls auf eine Mitfahrgelegenheit gewartet.
Wenig später geht die Reise auch für uns weiter, dank Lastwagenfahrer Joel. Als wir bei der Frohnatur in der Fahrerkabine sitzen, scheinen Drogenschmuggel und Maschinengewehre sofort weit weg. Joel kann alle traditionellen mexikanischen Lieder auswendig, die aus den Boxen trällern. Er singt mit, trommelt auf dem Lenkrad und scheint die kurvenreiche Fahrt völlig unbeschwert zu geniessen.
Hat der vierfache Familienvater keine Angst, wenn er Woche für Woche in einer Gegend unterwegs ist, in der immer wieder Menschen ermordet werden? «Nein, mir passiert nichts. Ich weiss, welche Plätze ungefährlich sind und welche ich meiden muss.» Auch vom Autostöppeln rät er uns nicht ab – solange wir nur am Tag trampen und folgende Regel beachten: Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen.
Bei Einbruch der Dunkelheit erreichen wir Yecora, ein anderes kleines Kaff im Nirgendwo, das schon Schlagzeilen machte wegen Drogenleichen. Joel bringt uns direkt zu einem Hotel, das er kennt. Nachdem wir die Zimmernummer wissen und bezahlt haben, fragen wir die Hotelinhaberin nach dem Schlüssel. Ihre Antwort: «Oh, wir haben keine Zimmerschlüssel.» Im Sinne von: Das ist hier nicht nötig. Verwundert gehen wir in unser Zimmer – vorbei an drei kleinen Kindern, die vergnügt auf einem Trampolin herumspringen.
In den folgenden Tagen geht das Wechselbad der Gefühle weiter: Uns wird etwas mulmig, als ein Militärfahrzeug mit fest installiertem Maschinengewehr unseren Weg kreuzt. Wenige Stunden später rennen wir mit den Kindern unserer Fahrerin Diana lachend im Huckepack um das kleine Dorfmuseum.
Wir laufen schüchtern an den auffällig vielen Männern vorbei, die scheinbar gelangweilt an einer Hauswand lehnen. Am Silvesterabend stossen wir im touristischen Creel mit einem jungen mexikanischen Pärchen aufs neue Jahr an.
Tags darauf kommt uns ein Pick-up-Truck mit bewaffneten, zivil gekleideten Männern auf der Ladefläche entgegen. Danach lädt uns ein älteres Ehepaar in ihre Berghütte zum Mittagessen ein.
Die Erlebnisse auf dem Drogenpfad haben mich zum Nachdenken gebracht.
Drei Fragen lassen mich nicht mehr los:
1. Für wen würde ich arbeiten, wenn ich ohne Perspektive in einem dieser kleinen mexikanischen Dörfchen aufgewachsen wäre?
2. Hat ein Amerikaner, der sich eine Ladung Koks die Nase hochzieht, weniger Blut an den Händen als ein Mexikaner, der diese Drogen in die USA schmuggelt?
3. Was würde passieren, wenn man die Drogen legalisieren würde, anstatt einen Krieg zu führen, der nicht zu gewinnen ist, aber Jahr für Jahr tausende Menschenleben kostet?
Zu Frage 2: Das meiste Blut an den Händen haben all jene, die stur an der längst gescheiterten Prohibitionspolitik festhalten.
Lese deinen Blog nun schon seit einiger Zeit und finds echt geil was du machst!
Bin diesen Frühling/Sommer selbst durch Mexico getrampt, allerdings 'nur' von San Luis Potosì runter bis nach Acapulco mit allgemein langer Aufenthaltsdauer im Staat Guerrero (Da gibts die meisten Drogentote). Bis auf ein kleiner Überfall gabs kein Zwischenfall und habe oft Fotos gemacht, auch von der lokalen Bevölkerung oder bei Einladungen von den Inneneinrichtungen der Häuser Wenn du Bedenken hast, einfach fragen, die meisten Mexikaner findens toll wenn du was fötelen willst :).
Geniesst es noch!