Kirchtürme werben für Gott. Sie recken sich in den Himmel, ihre Glocken machen akustisch auf das mächtige Glaubenssymbol aufmerksam. Das war vor hundert Jahren so und verhält sich heute nicht anders.
Seit ein paar Wochen erleben wir aber eine Revolution. Die Kirchtürme sind zur Litfasssäule mutiert, hängen doch riesige Plakate und lange Banderolen an unzähligen Türmen und Gemeindehäusern. Die uniforme Aufschrift: «Konzernverantwortungsinitiative Ja!»
Sagenhafte 650 Kirchgemeinden und Pfarreien zeigen Flagge und proben den politischen Aufstand. Katholische, reformierte und freikirchliche. Ein religiöses Erdbeben, das zu Erschütterungen und Verwerfungen geführt hat. Denn nicht alle sind begeistert von der politischen Aktion der christlichen Kirchen.
Auch Gläubige nicht. Schon gar nicht konservative Politiker, die es sonst eher noch mit den Kirchen haben. Was ist da passiert?
Wenden wir uns zuerst den kirchlichen Aktivisten zu. Ihr Komitee ist hochkarätig besetzt. Der St. Galler Bischof Markus Büchel wirbt mit dem Slogan «Ich unterstütze die Konzerninitiative, weil der Schutz der Menschenrechte und der Schöpfung weltweit gelten muss.»
Weitere Aushängeschilder sind Christoph Sigrist, der bekannte Pfarrer vom Grossmünster Zürich, Patrick Streiff, Bischof der Evangelisch-methodistischen Kirche, der Ethik-Professor Peter Kirchschläger usw. Der vielleicht prominenteste Befürworter ist aber der Basler Bischof Felix Gmür.
Den vielen geistlichen Aktivisten weht allerdings ein kalter Wind ins Gesicht. So hat sich schon 2018 eine Arbeitsgruppe formiert, die die Kirchen politisch zähmen will. Initiiert wurde sie ausgerechnet von CVP-Parteichef Gerhard Pfister, Vorsitzender einer christlichen Partei. Ihm war schon das kirchliche Engagement bei der Selbstbestimmungs-Initiative und der Unternehmenssteuerreform III sauer aufgestossen.
Zu dieser Gruppe gehören neben Theologinnen und Theologen auch der reformierte Theologieprofessor Ralph Kunz und die Nationalräte Eric Nussbaumer (SP), Claudio Zanetti (SVP, 2019 nicht wiedergewählt) und Maja Ingold (EVP, 2017 zurückgetreten). Sie behaupten, die Einmischung der Kirchen in die Politik sei ein «tiefer Rückfall ins Mittelalter».
Im Zusammenhang mit der Konzernverantwortungs-Initiative bekommt die Arbeitsgruppe Unterstützung von der hochkarätigen Aktion «christliche Frauen». Pikant dabei: An vorderster Front agiert Andrea Gmür, die Schwägerin des Basler Bischofs. Sie ist Ständerätin und Fraktionschefin der CVP, die die christliche DNA (noch) im Parteinamen trägt. Zu den Erstunterzeichnerinnen ihres offenen Briefes an die Kirchen gehören auch FDP-Präsidentin Petra Gössi, CVP-Nationalrätin Marianne Binder-Keller und ihre Kolleginnen Esther Friedli (SVP) und Isabelle Chevalley (GLP).
Sie schreiben in einem offenen Brief von einer einseitigen Parteinahme und einer Mission von der Kanzel. Eine Einteilung in gute und schlechte Christen sei unstatthaft. Sie verwahren sich ausserdem, unsere Unternehmen in Generalverdacht zu stellen.
Da fragt man sich, ob die «christlichen Frauen» ebenfalls das christliche Etikett für eine politische Aktion zu Gunsten internationaler Konzerne (miss-)brauchen. Ethische Argumente können sie – im Gegensatz zu den kirchlichen Initiativbefürwortern – nicht ins Feld führen.
Das politische Engagement vieler Kirchgemeinden ist für die katholische und reformierte Kirche zu einer Zerreissprobe geworden. Den Exponenten, die von den Kanzeln für die Initiative werben, bläst oft ein eisiger Wind aus den eigenen Reihen entgegen. Die Initiative spaltet viele kirchliche Institutionen, die Emotionen gehen hinter der Kulisse oft hoch.
Was ist vom politischen Engagement der Geistlichen zu halten? Grundsätzlich dürfen sie sich politisch einmischen, schliesslich haben sie dieselben Bürgerrechte wie wir alle. Dass sie sich zu Fragen äussern, in denen es um Menschenrechte und Menschenwürde geht, gehört zu ihrem Kerngeschäft.
Wenn sie aber ganze Predigten einem Abstimmungskampf widmen, darf sie der Vorwurf nicht erstaunen, sich wie eine Partei zu verhalten. Es kommt auch der Verdacht auf, dass manche Pfarrerinnen und Pfarrer mit ihren Politaktionen die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit suchen, weil viele in ihren Kirchen recht einsam geworden sind.
Die allermeisten werden wohl dem Thema ein paar Sätze widmen und dann vielleicht allgemeiner auf die Achtung der Würde und Rechte aller Menschen zuwenden.