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Freikirche: «Touch The Love Ministries» führt Exorzismen durch

Exorzismus
Dieses Kirchenfenster im französischen Tours zeigt St.Martin, der einen Exorzismus durchführt.Bild: shutterstock.com
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Eingesperrt und eingeschüchtert: Wie Olga Koch in Frauenfeld der Satan ausgetrieben wurde

Die Freikirche «Touch The Love Ministries» zeigt sektenhafte Züge, wie die persönliche Erfahrungen eines Ex-Mitglieds zeigen. Ein Bericht über psychischen Druck, Isolation und die Flucht aus der Gemeinschaft.
24.06.2019, 09:32
Hugo Stamm
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Sie musterte mich bei unserer ersten Begegnung eingehend durch ihre Brille und wirkte ein wenig misstrauisch. Zu oft wurde sie in ihrem Leben in eine Falle gelockt, zu oft missbraucht, verletzt und ausgebeutet. Seelisch, geistig und körperlich. Doch bald fasste sie Vertrauen und erzählte ihre dunkle Geschichte temperamentvoll.

Nennen wir die reifere Frau Olga Koch. Durch den frühen Tod ihrer Mutter erlebte sie schon als kleines Mädchen ein Trauma. Als Jugendliche wurde sie sexuell missbraucht. Auch diese Narbe schmerzt sie heute noch. Religiös erzogen und geprägt wurde sie durch ihre Familie im strengen christlichen Glauben der Heilsarmee. Dort erlebte sie ebenfalls körperlichen Missbrauch.

Seine «Diagnose»: Da muss der Satan seine Finger im Spiel haben.

Vor ein paar Jahren drängte sie eine Freundin zum Besuch eines Gottesdienstes bei der Freikirche «Touch the Love Ministries» Frauenfeld (TLM). Sie gab dem Frieden zuliebe nach, doch sie konnte mit dem enthusiastischen Lobpreis Gottes und der aufgeheizten Stimmung wenig anfangen. Deshalb umgarnten sie ihre Freundin und das Pastoren-Ehepaar Hartmut und Marietta Olschewsky.

In diesem Gebäude in Frauenfeld befinden sich die Räumlichkeiten der Touch the Love Ministries.
In diesem Gebäude in Frauenfeld befinden sich die Räumlichkeiten der Touch the Love Ministries.Bild: Google Street View

Gott habe sie zu ihnen geführt, er er habe Grosses mit ihr vor, und durch sie würden viele neue Leute zum richtigen Glauben bei ihnen finden, sagten sie ihr. Schliesslich gab sie dem moralischen Druck nach und besuchte die Gottesdienste regelmässig.

Der Verrat

Die hohen Ansprüche und der religiöse Eifer des Pastors setzten ihr zu, sie fühlte sich eingeengt und bedrängt. Es kam ihr wie eine Gehirnwäsche vor. Sie vertraute sich nach einem Gottesdienst einer Frau an, die ihr Unbehagen gegen ihren Willen sofort dem Pastor meldete.

Seine «Diagnose»: Da muss der Satan seine Finger im Spiel haben. Die «Therapie» war rasch gefunden: Der Dämon musste ausgetrieben werden.

Das Satansritual dauerte mehrere Stunden. Um erlöst zu werden, behauptete Olga Koch, der Teufel sei von ihr gewichen. Alle riefen «Halleluja!»

Das Pastoren-Ehepaar und ein paar Gläubige des Kernteams bildeten einen Kreis, Olga Koch musste sich in der Mitte postieren. Der Pastor legte ihr die Hand auf und begann in Zungen zu reden.

Sie verstand nichts und fühlte sich zutiefst unwohl. Schliesslich redeten alle durcheinander in Zungen, die Stimmung empfand sie als aufgeheizt, die Situation kam ihr unheimlich und beängstigend vor. Dazwischen schrie der Pastor: «Im Namen Jesus von Nazareth: Satan verlasse diese Frau!»

Wie sie später erfuhr, soll der Heilige Geist durch Visionen und Bilder zu den Gläubigen gesprochen und sie mit seinen Kräften gesegnet haben. «Es war beklemmend, und ich kämpfte gegen die Panik», sagte Olga Koch. Das Satansritual dauerte mehrere Stunden. Um endlich erlöst zu werden, behauptete Olga Koch, der Teufel sei von ihr gewichen. Alle riefen «Halleluja!» Zitternd und erschöpft lag sie am Boden.

Unter dem göttlichen Schutz

Um sicher zu gehen, dass sie gegen weitere Anfechtungen des Satans standhaft bleiben würde, musste sie zwei Wochen lang abwechselnd beim Pastoren-Ehepaar und bei einer Glaubensschwester wohnen. Man nahm ihr das Handy und die Schlüssel ab. Sie schlossen auch die Haustür ab. «Ich war eingesperrt und konnte das Haus nur in Begleitung verlassen», erzählte sie.

Theologe und Religionskritiker Eugen Drewermann über den Exorzismus.Video: YouTube/Anke Keisler

Als Grund für die Isolation gab der Pastor an, es sei wichtig, dass sie weiterhin unter dem göttlichen Schutz bleibe. Bei einem Kontakt mit der ungläubigen Aussenwelt könnte Satan bei ihr wieder ein Einfallstor finden.

Der Pastor führte mit ihr in seiner Wohnung weitere Austreibungen durch, bei denen es laut Olga Koch zu körperlichen Kontakten kam, die sie als bedrängend empfand. Sie hätte längst zur Arbeit gehen müssen, hatte sie doch eine Vollzeitstelle in einem Architekturbüro. Weil sie unentschuldigt fernblieb, verlor sie den Arbeitsplatz.

Der Pastor verlangte von Olga Koch, dass sie sich strikt an seine Abmachungen halte. Diese hielt er schriftlich fest. Dazu gehörte die «Achtung und Wertschätzung gegenüber der Leiterschaft». Diese müssten sich «in Taten und Worten» zeigen.

Und Gott verschenkt Autos

Der Pastor des TLM lehrt das in Freikirchen weit verbreitete Dogma des Wohlstandsevangeliums. Während die meisten Gläubigen früher ein bescheidenes, asketisches Leben führen mussten, soll Gott die Rechtgläubigen heute mit materiellen Gütern beschenken.

In einem Schreiben von TLM mit dem Titel «Papa Gott verschenkt Autos» beschreibt eine Gläubige das Phänomen so: Ein Referent habe bei der Herbstkonferenz von TLM das prophetisches Wort von Gott verkündet, wonach dieser «Autos verschenken würde». Bereits zwei Tage danach habe sich die Verheissung bei ihr erfüllt, erklärte sie. Ein Bekannter habe ihr aus heiterem Himmel ein Auto geschenkt.

«Schreibe deine Erwartungen auf und bring sie schon jetzt im persönlichen Gebet Papa Gott … erwarte Grosses.»
Aussage des Pastoren-Ehepaars

Belastend für Olga Koch waren auch die Heilungsgottesdienste, bei denen Gläubige von Krankheiten und Süchten befreit werden sollten, die der Satan bewirkt habe. Der Pastor habe dabei jeweils in theatralischen Szenen den Teufel beschworen und auf den Boden gestampft.

Wenn er den Gläubigen die Hand aufgelegt habe, seien diese manchmal wie von Sinnen nach hinten auf den Boden gefallen. Zwei Helfer seien bereitgestanden und hätten die Leute aufgefangen, erzählte Olga Koch.

Als Vorbereitung für ein Heilungsseminar empfahl das Pastoren-Ehepaar: «Schreibe deine Erwartungen auf und bring sie schon jetzt im persönlichen Gebet Papa Gott.» Und weiter: «Stell dir jetzt schon bildlich vor, wie Jesus dich liebevoll berührt…Erwarte Grosses.»

Die Flucht

Doch zurück zur persönlichen Situation von Olga Koch, die immer noch von der Aussenwelt abgeschnitten war. Sie verlangte ihr Handy, um ihre Kinder zu benachrichtigen. In einem unbeobachteten Moment rief sie ihre Freundin an und bat sie um Hilfe. Diese holte sie sofort mit dem Auto ab und brachte sie zur Opferhilfe Castagna in Zürich.

Dank der Unterstützung durch die Fachfrauen konnte sie sich von TLM befreien. Das war vor rund vier Jahren. Die Kraft, frei darüber zu sprechen, hat sie erst jetzt gefunden.

Zwar wurde sie von Gläubigen und dem Pastor immer wieder kontaktiert und zur Umkehr gemahnt, doch Olga Koch blieb standhaft. Und sie ist immer noch heilfroh, keine Satansbeschwörungen mehr über sich ergehen lassen zu müssen.

Blinder Glaube als Gegenleistung

Wie muss man TLM Frauenfeld einschätzen? Listet man die Eckpunkte von Olga Kochs Erfahrungen auf, stechen die sektenhaften Aspekte förmlich ins Auge. Da ist Gott, der zu Papa wird. Papa, der die Gläubigen tröstet und sie in die Arme nimmt, ihnen angeblich ein Auto schenkt und alle Krankheiten von ihnen nimmt. Die komplexe Realität auf einfache religiöse Muster reduziert.

Das kindlich-naive Gottesbild suggeriert, Gott begleite und beschütze die Rechtgläubigen und löse alle Probleme für sie. Als Gegenleistung wird blinder Glaube und Unterordnung verlangt. Der Alltag ist durchzogen mit Drohungen und Ängsten. Denn wer gegen die Dogmen und Anordnungen verstösst, versündigt sich gegen Gott und muss damit rechnen, von diesem fallengelassen zu werden.

Das ist klassische Indoktrination und führt zu Abhängigkeit und Unmündigkeit. Dazu trägt auch die aufgeheizte Gruppendynamik in den Gottesdiensten und bei den Exorzismen bei.

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Was in Freikirchen gern als der wahre Glaube gepredigt wird, endet oft im Aberglauben. Auch die Heilsversprechen bei den Heilungsgottesdiensten sind problematisch und fördern geschickt die Abhängigkeit. Kranke oder gebrechliche Menschen setzen viel Hoffnung auf die vermeintliche Wunderheilung und tun oft alles, um gesund zu werden. Dazu gehört auch, sich exorzieren zu lassen.

Wenn dann suggeriert wird, Gott heile nur Gläubige, die den «richtigen» Glauben verinnerlicht haben, müssen sie alles glauben und akzeptieren, was die Freikirche vermittelt. Allein schon Kritik kann als Sünde verstanden werden.

Satanslehre und Exorzismus können traumatisch sein

Die radikale Form der Satanslehre und des Exorzismus ist sehr problematisch und eine psychische Keule. Der Aberglaube, Satan wüte ungehindert in Körper und Seele, kann Ängste bis hin zu traumatischen oder psychotischen Störungen auslösen. Es ist ein gefährliches Spiel mit der psychischen Gesundheit – und im religiösen Kontext hochgradig sektenhaft.

Mit den Erfahrungen von Olga Koch konfrontiert, antwortete Pastor Olschewsky nur allgemein. Die seelsorgerische Schweigepflicht verbiete ihm, konkrete Fragen zu einzelnen Personen zu beantworten, schreibt er watson.

Er sei erstaunt, «dass wir die Freiheit von Menschen beschnitten und über ihren eigenen Willen hinweg agiert haben sollen», antwortete der Pastor. Sie würden die Freiheit der Gläubigen achten, sie in ihrer Würde erheben und nicht an sie binden. Sie würden auch nie einer Person gegen ihren Willen den Autoschlüssel wegnehmen. Es sei denn, die Person sei im Moment stark gefährdet, an ihrem Körper und Leben Schaden zu erleiden – wie zum Beispiel eine Person, die völlig alkoholisiert versucht, Auto zu fahren.

Es sei auch nicht ihre Art, das Wirken Satans hervorzuheben. Um den Menschen helfen zu können, würden sie mit Ärzten und Psychologen zusammenarbeiten. Sie hätten auch noch nie erlebt, dass jemand wegen eines Gebetes in Ohnmacht gefallen sei. Der Heilige Geist könne aber bewirken, dass Menschen zu Boden sinken würden. Deshalb stünden Personen bereit, diese aufzufangen.

Olga Koch brauchte viel Zeit, um die Erlebnisse in der Freikirche zu verarbeiten. Nach dem Ausstieg fehlte ihr die Kraft für eine Strafanzeige. Sie hatte Angst vor einer Konfrontation mit dem Pastor.

Nicht unbegründet, wie sich in den letzten Tagen gezeigt hat: Trotz wiederholter Aufforderung, keinen Kontakt mehr mit ihr aufzunehmen, wurde sie fast täglich mit Sprach- und Wortnachrichten bombardiert. Darin versuchte das Pastoren-Ehepaar, moralischen Druck aufzubauen und Olga Koch ein schlechtes Gewissen einzureden.

Charles Ndifon
Umstritten: Charles Ndifon.Bild: youtube.com/Dr Charles Ndifon
Die Auftritte des umstrittenen Heilers
Mehrmals lud Pastor Hartmut Olschewsky den umstrittenen Apostel Charles Ndifon ein, der um die Welt jettet, um Gläubige zu heilen. Der nigerianische Apostel behauptet, ganze Spitäler «leerheilen» zu können.

In einem Rundbrief an die Gläubigen hielt der Pastor von TLM Aussagen des nigerianischen Heilers fest. Darin beschreibt dieser eine königliche Mentalität, die auch Gläubige entwickeln können.

Wörtlich: «Ist dir bewusst, dass dir die ganze Erde gehört? Aber erst, wenn du in diese Reife hineinwächst, wenn du dein Amt als König annimmst, wirst du anfangen, ihre Wohltaten zu geniessen … Weisst du denn nicht, dass du gemäss Gottes Wort mit Christus auf dem Thron sitzt?»

Sie sollten deshalb aufhören, bei Gott um Geld oder eine Arbeitsstelle zu betteln, sondern es wie Könige machen: «Sie befehlen, und sie verkünden.» Sie müssten «aus der Bettler-Mentalität herauskommen und in die königliche Denkart hineintreten».
Hugo Stamm; Religionsblogger
Hugo Stamm
Glaube, Gott oder Gesundbeter – nichts ist ihm heilig: Religions-Blogger und Sekten-Kenner Hugo Stamm befasst sich seit den Siebzigerjahren mit neureligiösen Bewegungen, Sekten, Esoterik, Okkultismus und Scharlatanerie. Er hält Vorträge, schreibt Bücher und berät Betroffene.
Mit seinem Blog bedient Hugo Stamm seit Jahren eine treue Leserschaft mit seinen kritischen Gedanken zu Religion und Seelenfängerei.

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72 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Flunkie
22.06.2019 09:26registriert Juni 2019
Ist das, was Olschewskys mit dieser Frau getrieben haben, nicht ein Offizialdelikt? Leute zwei Wochen einsperren - braucht es da wirklich eine Anzeige? Das wird ja sicher nicht der einzige Fall sein. Weiss der Teu- ha! Nein, der wohl kaum, was die noch alles (aus)treiben hinter verschlossenen Türen. Unglaublich, was man in der Schweiz seinen Mitmenschen ungestraft antun kann, wenn man sich nur auf die Religion beruft. 😡
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-C-
22.06.2019 10:19registriert Februar 2016
Das ist keine Freikirche mit sektiererischen Zügen, dass ist eine Sekte im Freikirchenmänntelchen.

Wenn man das Neue Testament als Grundlage nimmt, ist klar, dass die Leiter einer Kirche letztlich die Diener der Gläubigen sein müssen.
Paulus, (der Apostel der Heiden) hat sich seinen Lebensunterhalt selbst verdient. Ebenso sagt er von sich, dass er nicht mit menschlicher Überredungskunst gepredigt hat.

Wenn jemand behauptet, dem gleichen Gott zu dienen wie Paulus, aber Menschen beherrscht und manipuliert - dann kann man sich ganz sicher sein, dass etwas faul ist.
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Randalf
22.06.2019 12:49registriert Dezember 2018
Der Teufel kann einem leid tun.

Was ihm so alles in die Schuhe geschoben wird. Immer ist er schuld. Der Teufel hat mich verführt oder er hat mich geritten usw.
Wann endlich merken die Menschen dass sie das sind, das sie so sind?
Ein bisschen mehr Selbstreflektion täte schon noch gut.
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Darf ich mein Kind gegen den Willen seines Vaters taufen lassen?
Ob und welche Religionszugehörigkeit ein minderjähriges Kind hat, entscheiden die sorgeberechtigten Eltern gemeinsam. Will die Mutter das Kind taufen lassen, der Vater aber nicht, ergibt dies eine Pattsituation ohne Stichentscheid. Ist das Kind bereits über 16 Jahre alt, zählt einzig und allein sein eigener Wille.

Egal ob verheiratet, geschieden oder ledig: Die gemeinsame elterliche Sorge ist seit einigen Jahren der Regelfall. Ebenso gilt unabhängig vom Zivilstand, dass die elterliche Sorge dem Wohl des Kindes dienen muss. Einigen müssen sich die Eltern unter anderem über die Religionszugehörigkeit des Kindes.

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