Die Bedenken gegen Apples Vorhaben, iPhones und Computer von US-Kunden auf Bilder von sexuellem Kindesmissbrauch zu scannen, seien dermassen gross, dass nun die eigenen Mitarbeiter intern dagegen protestierten. Dies hat die Nachrichtenagentur Reuters in der Nacht auf Freitag enthüllt.
Apple-Mitarbeiter hätten einen unternehmensinternen Slack-Kanal mit mehr als 800 Nachrichten geflutet, will Reuters von anonym bleibenden Apple-Angestellten erfahren haben.
Viele Mitarbeitende würden die Befürchtung äussern, dass die neue Überwachungs-Funktion von repressiven Regierungen ausgenutzt werden könnte, um weiteres Material für Zensur oder Verhaftungen von Regimekritikern zu finden.
Dies sei eine bemerkenswerte Wendung in einem Unternehmen, das für seine Geheimniskrämerei bekannt sei, kommentiert Reuters und betont, es sei «eine Verschärfung der Proteste führender technologiepolitischer Gruppen».
Aus Sicht der Informanten überraschend seien der Umfang und die Dauer der neuen Debatte, schreibt Reuters. Einige Apple-Angestellte befürchteten, dass Apple seinen guten Ruf beim Schutz der Privatsphäre beschädige.
In dem Slack-Thread, der der für den Herbst geplanten Foto-Scan-Funktion gewidmet ist, wehrten sich einige Mitarbeiter gegen die Kritik, während andere sagten, Slack sei nicht das richtige Forum für solche Diskussionen.
Einige Angestellte hielten Apples Lösung für eine vernünftige Reaktion auf den Druck, gegen illegales Material vorzugehen. Andere Mitarbeiter sagten, sie hofften, dass das Scannen ein Schritt in Richtung einer vollständigen iCloud-Verschlüsselung sei – für diejenigen Kunden, die dies wünschen.
Der Instant-Messaging-Dienst Slack wurde vor einigen Jahren bei Apple eingeführt und wurde von den Teams bei Apple laut zwei Informanten während der Pandemie in grösserem Umfang auch für den persönlichen Austausch genutzt.
Am 5. August 2021 machte Apple über seine Website völlig überraschend die Ankündigung, dass neuartige Kinder- und Jugendschutz-Tools lanciert werden.
Diese Tools sollen in die nächste Generation der Betriebssystem-Software für iPhones, iPads und Mac-Computer integriert sein und mit Updates im Herbst eingeführt werden.
Die umstrittenste Neuerung: Apple will User-Fotos vor dem Upload in die iCloud nach bekannten Abbildungen scannen, die sexuellen Missbrauch von Kindern zeigen. Sollten die Algorithmen mehrere Missbrauchsbilder anhand eines sogenannten Hash-Wertes erkennen, würde Alarm geschlagen.
Nach ersten Medienberichten war der Aufschrei gross: Kritische Experten, darunter Persönlichkeiten wie Edward Snowden, warnten vor Risiken und Nebenwirkungen.
Mit dem ins Betriebssystem integrierten Durchleuchten von User-Inhalten auf den Geräten selbst («Client-Side Scanning») schaffe Apple eine gefährliche Hintertür. Die End-to-End-Verschlüsselung drohe damit untergraben zu werden.
Zudem will das Unternehmen neu Chat-Nachrichten von Kindern (unter 13 Jahren) vorsorglich auf «sexuell explizite Fotos» überprüfen und wenn nötig – beim Empfang und Versand – die Erziehungsberechtigten informieren.
Am 5. August veröffentlichten besorgte Fachleute einen offenen Brief im Internet und kritisieren Apple scharf. Eine Online-Petition wurde von renommierten Sicherheits- und Datenschutzexperten, Forscherinnen, Professoren und Juristinnen unterstützt. Tausende Internet-Nutzerinnen und -Nutzer rund um den Globus signalisierten Zustimmung.
Experten und normale Apple-User befürchten, der angekündigte, ins System integrierte Foto-Scan könnte einen Dammbruch auslösen. Etwa indem autoritäre Staaten wie China das Unternehmen zwingen, das System zu erweitern, um damit Regimekritiker und Aktivisten auszuspionieren.
Am 7. August publizierte Apple auf seiner Website ein PDF-Dokument mit Fragen und Antworten (FAQ) zu den Tools. Zudem sprachen Vertreter des Unternehmens mit US-Journalisten und liefern weiterführende Erklärungen.
Apple versucht, die geplanten Überwachungs-Massnahmen zu verteidigen, die im Kampf gegen Kindesmissbrauch und illegale Pornografie eingeführt werden. Die Privatsphäre der Kundinnen und Kunden bleibe geschützt, heisst es.
Der für den Datenschutz verantwortliche Apple-Manager Erik Neuenschwander betonte in Interviews, das geplante Vorgehen sei sicher und unbedenklich. Apple führe dies nun ein, weil die Technologie bereit sei. Er verpasste es allerdings, mit seinen Antworten für echte Transparenz zu sorgen.
Am 13. August äussert sich Apples Software-Chef Craig Federighi in einem Video-Interview mit dem «Wall Street Journal». Kernbotschaft: Apple habe die Lancierung schlecht kommuniziert und es kursierten Missverständnisse. Federighi verrät auch erstmals, dass bis zu 30 dem NCMEC (National Center for Missing & Exploited Children) bekannte Missbrauchs-Bilder erkannt werden müssten, bevor Apple aktiv werde.
Apple-Chef Tim Cook hat sich bislang nicht öffentlich zum Thema geäussert.
Es ist weiterhin unklar, warum Apple die umstrittenen neuen Tools ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt und gleichzeitig angekündigt hat und diesen Herbst lancieren will.
Einige Beobachter gehen davon aus, dass Apple eine Erweiterung der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung für die in der iCloud gespeicherten User-Fotos plant. Andere vermuten, dass die Einführung der neuen Tools mit geplanten gesetzlichen Verschärfungen in Europa und Übersee zusammenhängt.
Die Europäische Kommission will erreichen, dass alle privaten Chats, Nachrichten und E-Mails verdachtslos und flächendeckend auf verbotene Darstellungen Minderjähriger und sogenanntes Grooming (Kontaktaufnahme zu Minderjährigen) durchsucht werden. Die Plattform-Betreiber sollen gezwungen werden, jegliche Kommunikation auf verdächtiges Text- und Bildmaterial zu scannen. Und zwar vollautomatisiert, durch den Einsatz von sogenannter Künstlicher Intelligenz – ohne, dass ein Verdacht vorliegen muss.
Update: Laut Software-Chef Craig Federighi wurde auf Apple kein Druck ausgeübt, die umstrittene Technologie nun zu lancieren. Und er könne auch nicht verstehen, warum es Befürchtungen wegen einer «Hintertür» gebe.
In den USA ist kein Unternehmen gesetzlich gezwungen, User-Inhalte aktiv auf Kindesmissbrauchs-Material zu scannen. Solche Inhalte sind aber meldepflichtig. Praktisch alle grossen Techkonzerne scannen in die Rechenzentren hochgeladenen Inhalte freiwillig, darunter sind Facebook, Google und Microsoft. Im Vergleich mit Apple sind denn auch die entsprechenden Meldungen an die Behörden zu Verdachtsfällen massiv höher bei der Konkurrenz.
Niemand kann abschliessend sagen, zu welchem Zweck solche Infos sonst noch verwendet werden und die Gefahr ist gross, dass die Daten in die falschen Hände geraten. Die Absicht dahinter mag gut sein, die Methoden sind es nicht. Am Ende wird man auf einem Flughafen festgenommen, weil man regierungskritische Dokumente auf dem Rechner hat. 1984 lässt grüssen.