Mit Verspätung müssen Google, Apple, Amazon und Facebook erkennen, was es auf sich hat mit dem berühmten Satz aus den Spiderman-Comics. «Mit grosser Macht kommt grosse Verantwortung», warnt Ben Parker seinen Superhelden-Neffen Peter. Die Internet-Giganten wollte viele Jahre lang niemand verantwortlich machen für ihr Tun. Nun wollen alle: Regierungen und Behörden rund um die Welt. Wenn Google & Co nicht Verantwortung übernehmen, wird ihnen ihre Macht genommen oder zumindest eingeschränkt.
Allein diese Woche wurden drei Angriffe auf die Internetgiganten bekannt. Eine davon ging aus vom Länderverein OECD und total 125 Staaten, die einen ehrgeizigen Plan veröffentlicht haben. In der alten, vor-digitalen Welt waren nämlich Gewinnsteuern noch mit physischer Präsenz verknüpft. Internationale Konzerne lieferten ihre Gewinnsteuern an jene Länder ab, wo sie ihren Hauptsitz hatten oder irgendeine Form von «Betriebsstätte». Zum Beispiel hatte ein Schuhhersteller wie Nike in Indien eine Fabrik, verkaufte dort Schuhe – und lieferte etwas Gewinnsteuer ab.
In einer digitalen Welt verliert die physische Präsenz an Bedeutung. Facebook muss keine Fabrik in Indien haben, um mit Nutzern dort Werbegelder zu verdienen. Also zahlt es keine Gewinnsteuer. Diesen Umstand nutzen die Internetgiganten aggressiv aus. Google, Apple und Facebook haben ihre Hauptsitze alle im steuergünstigen Irland, Amazon in Luxemburg.
Gegen diese Steueroptimierung wollte die OECD ursprünglich vorgehen. Doch die US-Regierung stellte sich schützend vor ihre digitalen Champions, mit unerwarteten Folgen. Nun wird für alle internationalen Konzerne das Steuersystem auf den Kopf gestellt. Facebook muss an Indien etwas abliefern. Und Nike ebenfalls, selbst ohne Fabrik. Quasi als Nebeneffekt wird das bisherige Erfolgsmodell der Schweiz geschwächt. Als beliebter Sitz von Grosskonzernen verdient sie heute gut. Künftig wollen gerade grosse Schwellenländer wie Indien mehr von den Steuern abhaben. Bereits klagt die Politik hierzulande wieder einmal über «Erpressung». Zuletzt hat sie sich immer mit neuen Regeln abgefunden. Auch dieses Mal heisst es schon, die Reform lasse sich nicht mehr aufhalten.
An den Angriffen sind die Internetgiganten nicht alleine schuld. Die Staatengemeinschaft hat es lange verschlafen, für die digitale Welt zentrale Fragen zu beantworten. Wie verhindert man, dass sich falsche Informationen oder Hassreden verbreiten? Wie verhindert man, dass Wahlen manipuliert werden? Wie schützt man die Daten von privaten Personen, und wem gehören diese? Wie besteuert man Unternehmen? Wie sichert man einen fairen Wettbewerb?
Nun sollen die Versäumnisse offenbar nachgeholt werden. Es ist, als wolle jeder seinen Auftritt haben in der grossen Show. Die Stimmung ist gekippt, selbst in der Elite der amerikanischen Wirtschaft. In einer Rede sagte der Chef des Unterhaltungsgiganten Walt Disney kürzlich: «Hitler hätte die sozialen Medien geliebt.» Es sei das mächtigste Marketingwerkzeug, das sich ein Extremist wünschen könne.
Die zweite Attacke von dieser Woche ging von US-Behörden aus. Justizministerium und «Federal Trade Commission» teilten unter sich auf, wer die Aufsicht hat über welchen Internetgigant. Dieser Schritt wird als Vorbereitung gedeutet, um Bussen zu verhängen oder die Regulierung zu verschärfen. Die «Financial Times» kommentierte trocken: «Die regulatorische Einkreisung des Silicon Valley ist im Gange.»
Zuvor hatte vor allem die Europäische Union (EU) den Internetgiganten gehörig auf die Finger geklopft. Im März zum Beispiel hatte die EU eine Busse von 1,5 Milliarden Euro ausgesprochen gegen die Google-Muttergesellschaft Alphabet. Es war bereits die dritte Busse in zwei Jahren, total sind es 8,2 Milliarden.
Beim Einkreisen hilft neu das US-Abgeordnetenhaus mit. Der mächtige Justizausschuss kündigte eine Untersuchung gegen die Internet-Giganten an. Es war in dieser Woche die dritte Attacke. Der demokratische Vorsitzende sagte, eine Handvoll von Akteuren kontrolliere heute die wichtigsten Internet-Arterien. Sein republikanischer Kollege fügte hinzu, die Tech-Unternehmen hätten ihre Marktanteile ausgebaut. Es stelle sich zunehmend die Frage, ob der Wettbewerb spiele.
In Australien laufen Untersuchungen schon länger. Der Chef der dortigen Wettbewerbsbehörde beschrieb kürzlich in einer Rede, was neue globale Regeln bezwecken sollen. So will der BehördenChef verhindern, dass die Internet-Giganten weiterhin mögliche Konkurrenten frühzeitig aufkaufen. Ehe sie ihnen gefährlich werden. Facebook habe in zwölf Jahren total 66 Unternehmen übernommen und 23 Milliarden Dollar dafür bezahlt. Instagram hätte Facebook gefährden können, so der Behördenchef. Doch der Onlinedienst wurde vom Soziale-Medien-Gigant aufgekauft.
Es ist offen, wie lange sich all die Untersuchungen hinziehen werden und wie die digitale Wirtschaft danach aussieht. Die US-Behörden benötigten zehn Jahren, als sie gegen den damaligen Tech-Primus Micro soft vorgingen. Die heutigen Internetgiganten könnten auf Jahre hinaus zu kämpfen haben mit unschöner Publizität. Kunden würden misstrauisch. Arbeiten für Google oder Facebook wäre längst nicht mehr so cool. Im Silicon Valley hat mancher die Regulierungswelle erwartet. Ein früherer Google-Manager war nur überrascht, dass sie nicht vor zehn Jahren kam.