Der Einmarsch Russlands in die Ukraine zeigt: Konventionelle Waffensysteme wie Artillerie sind für den Verlauf eines Krieges noch immer bestimmend. Die Waffe der Stunde aber sind Drohnen. Kein Tag vergeht, an dem nicht dutzende neue Videos im Netz auftauchen, die zeigen, wie die kleinen Flugkörper Panzer, Radarsysteme oder Menschen in die Luft jagen.
Noch werden sie von SoldatInnen gesteuert. So sicher wie das Amen in der Kirche ist: Diese Aufgabe wird eher früher als später von einer Künstlichen Intelligenz übernommen – und an die Stelle einzelner Drohnen werden Schwärme treten.
Kürzlich machte ein Video eines ukrainischen Drohnen-Herstellers die Runde, das zeigen soll, wie eine Drohne selbstständig einen Panzer als Ziel erkennt und zerstört. Mit dem Video sollen Investoren angelockt werden. Für den Bau weiterer KI-Drohnen.
Einen Schritt weiter ist Palmer Luckey. Der 31-jährige Kalifornier gründete 2017, damals gerade mal 24-jährig, im Silicon Valley das Rüstungsunternehmen Anduril, das sich auf «preiswerte» High-Tech-Waffensysteme spezialisiert. Heute beschäftigt das Unternehmen mehr als 2000 ArbeitnehmerInnen und wird auf einen Wert von 20 Milliarden US-Dollar geschätzt.
Gründer Luckey ist kein Nobody. Mit 17 Jahren begann er in der Garage seiner Eltern, an einer VR-Brille zu basteln. Den Prototypen präsentierte er 2012 auf Kickstarter, nahm damit 2,4 Millionen ein und verkaufte, keine zwei Jahre später, seine Erfindung für 2 Milliarden Dollar an Facebook: Palmer Luckey ist der Erfinder von Oculus Rift, der damals bekanntesten und vielversprechendsten VR-Brille. Wie viel der damals 21-Jährige beim Verkauf kassierte, ist nicht genau bekannt. Schätzungen gehen von rund 700 Millionen Dollar aus.
Doch damals in der Garage bastelte Luckey nicht nur an einer VR-Brille. Er versuchte, mit elektromagnetischen Spulen Waffen herzustellen. Dabei sprengte er sich einmal beinahe in die Luft – und bei einem Unfall beim Reinigen eines Lasers brannte er sich einen grauen Fleck in die Netzhaut. Kollateralschäden für einen Waffenbastler.
2016, jetzt bei Facebook angestellt, finanzierte Luckey mit einem Betrag von 10’000 Dollar ein Strassenschild mit der Aufschrift: «Too big to jail» – neben dem Gesicht von Hillary Clinton. Zu viel für ein paar Spielehersteller für die Oculus Rift. Sie drohten, die Entwicklung einiger Titel einzustellen, sollte Luckey weiter bei Facebook angestellt bleiben.
Vier Monate später verliess der streitbare Erfinder den Konzern unter ungeklärten Umständen. Interne Mails deuten darauf hin, dass er von Facebook gedrängt wurde, sich offiziell zum libertären und chancenlosen Präsidentschaftskandidaten Gary Johnson zu bekennen – und auf keinen Fall zu Donald Trump. Luckey ist aber Trump-Fan. In einem kürzlich erschienenen Porträt in der «Financial Times» gab er an, «hin und wieder mit ihm zu sprechen».
Weil Facebook gegen kalifornisches Recht verstossen haben könnte, willigte der Konzern nach Luckeys Abgang ein, ihn mit über 100 Millionen Dollar zu entschädigen. Geld, das dieser gut für sein neues Unternehmen nutzen konnte. Zusammen mit vier weiteren Silicon-Valley-Grössen gründete er wenige Monate nach seinem Ausscheiden bei Facebook den Rüstungskonzern Anduril: «Mit unseren Waffen wird es möglich sein, jeden Krieg locker zu gewinnen», prognostiziert er.
Mit solchen Sprüchen erntet man 2017 im Silicon Valley keinen Applaus. Im Gegenteil. In der ultraliberalen Denkfabrik sind Waffenhersteller verpönt. Noch schlimmer macht es Andurils erstes Produkt: ein autonomer Überwachungsturm, der illegale Einwanderer an der Grenze zu Mexiko aufspüren soll. Trumps Regierung klatscht in die Hände und kauft das Lager leer. Zu den Applaudierenden gehört auch Rüpelrepublikaner Matt Gaetz. Der Scharfmacher der GOP ist mit einer gewissen Ginger Luckey verheiratet – Palmers Schwester. Und schon hat auch Anduril einen Mann in Washington. Zwei Jahre nach der Gründung hat der junge Rüstungskonzern bereits diverse Verträge mit der US-Regierung und dem Grenzschutz in der Tasche.
Weniger gut läuft es im Silicon Valley. Die Rekrutierung von Entwickler-Talenten gestaltet sich im liberalen Umfeld schwierig. Bei Fundraising-Partys werden Anduril-Mitarbeiter beleidigt und gar angeschrien. Das Unternehmen entscheidet sich zur Flucht, zieht hunderte Kilometer in den Süden in einen Vorort von Los Angeles.
Und dann marschiert Russland in die Ukraine ein.
Die ganze Welt kann live zusehen, wie Billigdrohnen das Kriegsgeschehen mitbestimmen. Und plötzlich sind Luckeys Sprüche im Silicon Valley en vogue: «Unsere Produkte werden den Westen retten», sagt er, oder: «Unsere Produkte sind schneller gebaut, fortschrittlicher und billiger – und kosten keine Menschenleben.» Starinvestor Marc Andreessen kramt den Geldbeutel hervor. Auch Peter Thiel investiert 400 Millionen in den Konzern. Fast 3 Milliarden Dollar hat Anduril seit 2019 akquiriert. Und plötzlich schiessen im Silicon Valley die Rüstungs-Startups wie Patriot-Raketen aus dem Boden.
«Der Typ ist ein Genie», schwärmt der ehemalige Berater von John McCain, Chris Brose. Brose arbeitet nun selbst für Anduril. Begeistert erzählt er der «Financial Times», wie Luckey innerhalb nur einer Woche selbst einen Prototyp einer Drohnenabwehr-Drohne zusammenlötet. Die Produktpalette von Anduril wächst dementsprechend schnell und umfasst bereits Wasser- und Flugdrohnen, Luftabwehrsysteme – und einen unbemannten Kampfjet.
Gesteuert werden die Waffensysteme von der KI-Plattform Lattice (Gitter), die stetig erweitert werden kann. Auch die Drohnen des Typs Altius. Sie können sich je nach Ausführung 75 Minuten in der Luft halten, 160 Kilometer zurücklegen und mit 15 Kilogramm Sprengstoff bestückt werden. Drohnen des Typs Altius befinden sich in der Ukraine bereits im Einsatz und sind Teil des Milliarden-Hilfspakets der USA. Luckey und Selenskyj haben sich bereits zweimal getroffen.
Doch der Grat zwischen Genie und Wahnsinn – und Knallkopf – ist auch bei Palmer Luckey schmal. 2022 präsentiert er eine Konzeptstudie einer VR-Brille mit drei eingebauten Explosivkörpern, die den Träger sofort töten, sollte er im Videospiel ableben. Die Idee stammt aus einem Videospiel. Am Konzept störte Luckey nur, dass er für den finalen Effekt Sprengstoff verwenden musste – und nicht wie im Original ein Gerät mit starken Mikrowellen-Strahlungen: «Ich bin ein ziemlich kluger Typ, aber ich bekam es einfach nicht hin», bedauerte er den Makel seiner Killer-VR.
Mit Milliarden in der Tasche und Luckeys Geistesblitzen schickt sich Anduril nun an, die amerikanische Rüstungsindustrie umzukrempeln. 80 Prozent der jährlichen US-Rüstungsmilliarden wandern in die Taschen von zehn Firmen – den sogenannten «Primes». Doch die Mühlen bei diesen Rüstungsgiganten wie Lockheed Martin oder Raytheon mahlen langsam. In diversen «modernen» Waffensystemen steckt uralte Technologie, die heute von jedem Billigsmartphone übertroffen wird. Von diesen Unternehmen möchte sich Anduril unterscheiden. Mit Palmer Luckey gelingt das auch optisch.
Gerne empfängt er, der Waffenhersteller, Gäste in Hawaii-Hemd, Shorts und Flip-Flops – der absolute Gegensatz zu den alten Schlipsträgern der Industrie.
Als Antwort auf eine Flugdrohne des Konkurrenten Raytheon namens Coyote nannte Comic-Fan Luckey eines seiner Waffensysteme Roadrunner. Die Anspielung auf den beliebten Zeichentrickfilm soll die Überlegenheit seines Produktes auch namentlich festhalten. Anduril, der Rüstungskonzern mit den ironischen Produktnamen und einem jungen, verrückt-genialen Erfinder im Hawaii-Hemd.
Im Kern aber geht es um dasselbe.
Die viel beachtete Studie des Zentrums für AI-Sicherheit in San Francisco beschreibt die Gefahren von Künstlicher Intelligenz im Zusammenhang mit Waffensystemen folgendermassen: