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Rassismus

Volksverhetzung: Neonazis verbreiten Hass-Musik auf Spotify und Deezer

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Bild: keystone/spotify/mlu

Soundtrack zur Volksverhetzung: Wie Neonazis Hass-Musik auf Spotify und Deezer verbreiten

16.05.2019, 19:54
Felix Huesmann / watson.de
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Ihre Musik läuft auf rechtsextremen Demonstrationen und Festivals. Doch der Soundtrack zu Volksverhetzung und rechter Gewalt ist mittlerweile auch auf Plattformen wie Spotify und Deezer erhältlich. Neonazi-Labels nutzen die Streamingdienste, um ihre Hassgesänge zu verbreiten und Geld zu verdienen.

Dortmund ist eine der Hochburgen der Neonazi-Szene in Westdeutschland. Rechtsextreme der Kleinstpartei «Die Rechte» treten dort zu Wahlen an, haben einen Sitz im Stadtrat. Vor allem aber gehen sie regelmässig auf die Strasse. In den vergangenen Jahren demonstrierten die Neonazis manchmal sogar im Wochentakt. Sie halten Reden, die mal unter, mal weit über der Schwelle zur strafbaren Volksverhetzung liegen.

Und zwischen diesen Reden spielen sie Musik. Unbeteiligte Passanten begeistern sie damit kaum. Es geht viel mehr um die Beschallung der eigenen Klientel. «Wir sind immer noch da», grölt etwa die Band «Confident of Victory» in einem Lied, das zum Standardrepertoire der Szene gehört und auf kaum einer Demo fehlt. Der Song ist eine Durchhalteparole gegen den Staat. «Sie verbieten uns das Reden, wollen uns die Freiheit nehmen. Doch wie sie es auch drehen und wenden, wir werden uns nicht ändern», singt der Sänger, ein langjähriger Neonazi, darin.

Teilnehmer eines Aufmarsches von Rechtsextremen gehen am 03.06.2017 durch Karlsruhe-Durlach (Baden-Württemberg). Die rechtsextreme Kleinstpartei Die Rechte hat zum «Tag der deutschen Zukunft» aufgeruf ...
Neonazi-Bands liefern den Soundtrack zu Demonstrationen wie dieser im deutschen Karlsruhe 2018.Bild: keystone/dpa

Lange Zeit wurde solche Musik vor allem auf kleinen, im Geheimen organisierten Konzerten und rechten Demos gespielt. Mittlerweile veranstaltet die Szene regelmässig grössere Festivals und verbreitet ihre Musik auch auf Streamingdiensten wie Spotify und Deezer.

«Da muss klar widersprochen werden»

Flemming Ipsen ist kürzlich aufgefallen, dass gleich mehrere Bands des rechtsextremen Labels «Opos Records» auf den beiden Streaming-Plattformen vertreten sind. Ipsen ist Referent für Rechtsextremismus bei jugendschutz.net. Er beobachtet die Szene und ihre Musik.

«Es hat mich etwas verwundert, zu sehen, dass diese Musik nun bei Spotify und Deezer frei verfügbar ist», sagt Ipsen im Gespräch mit watson. Die Musik ist zwar nicht verboten und steht auch nicht auf dem Index. Von der deutschen Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indizierte Songs würden zumindest bei Spotify nicht auftauchen, erklärt er.

Er kritisiert dennoch, dass die Musik dieser Bands auf den Plattformen zu finden ist: «Nur weil die Songs legal sind, heisst das aber nicht, dass das unwidersprochen bleiben muss», sagt Ipsen. «Da sollte eine rote Linie gezogen werden, was akzeptabel ist, und was zu weit geht.»

Flemming Ipsen findet:

«Bei Bands wie ‹Blutzeugen›, ‹Blutlinie›, oder ‹Übermensch›, die aus der Neonazi-Szene kommen, [...] und sich zumindest implizit auf den Nationalsozialismus und auf Antisemitismus beziehen, muss klar widersprochen werden.»

Das Neonazi-Label mit Kampfsport-Verbindungen

Das Label «Opos Records», auf deren Veröffentlichungen auf den Streamingplattformen Ipsen aufmerksam gemacht hatte, gehört zu den wichtigsten Labels der rechtsextremen Szene. «Dort veröffentlichen nicht nur viele Bands, sondern über den Onlineshop werden auch Merchandise-Artikel und rechtsextreme Kleidung verkauft», erklärt der Rechtsextremismus-Experte.

Die hauseigene Mode-Marke nennt sich «Greifvogel Wear» und richtet sich unter anderem an rechtsextreme Kampfsportler. «Greifvogel» sponserte unter anderem ein Team beim Neonazi-Kampfsportevent «Kampf der Nibelungen». Musik- und Modelabel werden von dem Rechtsextremen Sebastian R. im brandenburgischen Lindenau betrieben.

Über die Bands, die bei «Opos» veröffentlichen, sagt Flemming Ipsen:

«Sie treten auch auf Grossveranstaltungen wie zum Beispiel in Themar auf, sind international vernetzt und spielen auch auf Konzerten im Ausland. Mehrere der Bands sind in Netzwerken wie ‹Blood & Honour› und bei den ‹Hammerskins› aktiv.»

Nazi-Verherrlichung und Antisemitismus

«Opos» ist zwar eines der grössten rechtsextremen Musik-Labels. Es ist aber nicht das einzige, das seine Musik auch über Plattformen wie Spotify und Deezer verbreitet. Ein kurzer Abgleich mit dem Katalog eines rechtsextremen Onlineshops fördert bei den beiden Streamingdiensten mehr als 15 Bands zutage, die bei rechtsextremen Labels veröffentlichen und auch inhaltlich der Neonazi-Szene zuzuordnen sind.

Sie tragen Namen wie «Übermensch», «Anthrazit», «Ahnenblut» «Feindnah», oder «Thrima». Sogar Szenegrössen wie die Bands «Frontalkraft» und «Stahlgewitter», die ihren rassistischen Hass schon seit den 90er Jahren in Musikform giessen, sind dort vertreten.

Neonazi-Band Anthrazit
Die Neonazi-Band «Anthrazit» auf Spotify.screenshot: spotify

Im Lied «Geschichtenschreiber» der Band «Anthrazit» wird der Nationalsozialismus verherrlicht. «Ein Staat im Herzen von Europa beschritt die Wege neu» heisst es darin. «Er löste sich vom Wucher und der Zinsensklaverei», geht es weiter.

In dem Lied wird ein Bild des nationalsozialistischen Deutschlands gezeichnet, das sich tapfer gegen die «Hochfinanz» auflehnte. Hinter Begriffen wie «Hochfinanz» und «Zinssklaverei» verbirgt sich das antisemitische Weltbild der Nationalsozialisten, in dem Juden angeblich die Finanzmärkte und damit die Welt beherrschen. Die «Schreckensberichte» über die Nazizeit besingt «Anthrazit» als blosse Geschichtsschreibung der Siegermächte.

Neonazis verbreiten so nicht nur Propaganda, sondern verdienen auch Geld

Rechtsextreme Musik dient der Szene nicht nur zur Verbreitung ihrer Propaganda. Durch eigene Bands, eigene Konzerte und eigenen Merch werde eine neonazistische «Erlebniswelt» geschaffen, erklärt Flemming Ipsen.

Dabei passt sich die Szene auch an Trends an. Längst gibt es nicht mehr nur Rechtsrock, sondern auch Nazi-Rap. «Das knüpft an die Hörgewohnheiten insbesondere auch junger Menschen an und lässt die rechte Szene als attraktiver erscheinen», sagt Ipsen.

Songs auch dort anzubieten, wo besonders viele junge Menschen täglich Musik hören, passt da nur allzu gut hinein. Früher verteilten Rechtsextreme wie die NPD sogenannte «Schulhof-CDs». Heute nutzen Neonazi-Labels Plattformen wie YouTube und Streamingdienste wie Spotify und Deezer. Hier können sie nicht junge Menschen erreichen, sondern auch noch Geld verdienen.

So reagieren Deezer und Spotify

Aber ist das auch im Sinne der Plattformen? Deezer reagierte bereits am Dienstag auf Ipsens Tweet und erklärte, die beiden von ihm genannten Bands schnellstmöglich zu entfernen. Auch weitere Bands des Labels «Opos Records» wurden seitdem von Deezer entfernt.

Einige weitere Bands, darunter auch die Band «Anthrazit», die umverblümt den Nationalsozialismus verherrlicht, waren dort am Mittwoch jedoch weiterhin verfügbar.

Auf watson-Anfrage erklärt Deezer:

«Bereits 2016 haben wir – in Zusammenarbeit mit dem FC St. Pauli – eine Kampagne gegen rechte Musik gestartet: ‹Musik ist bunt›.»

Bei einem Katalog von über 53 Millionen Titeln sei es jedoch trotz vertraglicher Vereinbarungen, zahlreichen Titelfiltern und regelmässigen Stichproben kaum möglich, alle neuen Inhalte zu prüfen. Nutzer könnten diskriminierende Titel aber über die Mailadresse musikistbunt@deezer.de melden.

Auch Spotify antwortete auf eine watson-Anfrage. Grundsätzlich seien die jeweiligen Rechteinhaber verantwortlich für die Musik, die sie über Spotify bereitstellen, schreibt das Unternehmen.

Songs und Alben die von der deutschen Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert sind, würden auf Spotify nicht toleriert. Das gleiche gelte auch für andere Inhalte, «die geeignet sind, in irgendeiner Weise Feindseligkeit zu erzeugen – sei es aus rassistischen, religiösen oder anderen Gründen.» Sobald solche Inhalte entdeckt würden, würden sie umgehend entfernt.

So beschreibt Spotify diesen Prozess:

«Unsere Label- und Artist-Services-Teams, unser Kundenservice sowie unsere Community-Manager leiten sofort interne Schritte ein, die anstössigen Inhalte zu prüfen und die verbotenen Produkte zu löschen, sobald wir die problematischen Inhalte auf unserem Service entdecken. In dem Moment, in dem wir problematische Inhalte identifizieren, informieren wir unseren Distributionspartner. Wenn diese auf unsere Anfragen nicht reagieren, werden die Inhalte gesperrt und mitunter der Partner geblockt.»

Ob die Lieder der «Opos»-Bands nun von Spotify entfernt würden, erklärte das Unternehmen jedoch nicht. Am Donnerstagmorgen waren sie zunächst alle weiterhin verfügbar.

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38 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Ohniznachtisbett
16.05.2019 23:27registriert August 2016
Schaut euch das Ganze mal von einem anderen Standpunkt aus an: Beide Plattformen halten sich an den Index. Watson als eher linkes Medium schreibt ständig pro Staat (als Leistungserbringer) und gegen Privatisierung. Wenns aber um Zensur geht, dann sollens die Privaten übernehmen und die staatliche (Index) ist zu wenig. Solche Musik mag grusig sein, Zensur ist es aber auch. Als Liberaler bin ich klar gegen private Zensur.
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aglio e olio
16.05.2019 20:05registriert Juli 2017
Solange es nicht in irgendeiner Weise ungesetzlich ist, müssen wir es einfach ertragen. Isso.
Solchen Ideologien kann man nur den Nährboden entziehen, z.B. durch Bildung, soziale Gerechtigkeit, einer solidarischen Gesellschaft etc.
Aber solange der share holder value über allem steht, wird das nichts.
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Reudiger
16.05.2019 20:35registriert März 2019
Naja solange es legal ist, sehe ich nicht warum Spotify verpflichtet wäre, diese Musik zu sperren. Wahrscheinlich wäre es in ihrem Interesse, PR-technisch.

Mal abgesehen davon:
Die Lieder haben um die 3000 Streams wie ich sehe. Das heisst die Musik wird nur gezielt von Hörern gesucht und gehört.
Spotify verbreitet die Musiktitel also nicht wie gewöhnliche Titel.

Diese Hörer werden auch so zu dieser Musik kommen.
Ausserdem ist eine Ideen basierte Zensur kritisch, wobei das Fehlerrisiko in diesem spezifischen Fall wohl sehr klein ist.
Trotzdem sollte das nicht zu weiteren Schritten verführen.
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