Jahrelang hat sich Huawei vor allem auf Smartphones konzentriert. Zwar veröffentlichte der Konzern auch Smartwatches, Tablets und sogar Laptops, doch das Kerngeschäft blieben Smartphones. Seit dem US-Bann sieht das nun anders aus. Huawei muss neue Wege gehen. Einer davon ist der Ausbau der Zubehörsparte, denn diese ist nicht von fehlenden 5G-Chips und Google-Software abhängig.
Wenig verwunderlich also, dass die Chinesen nach den In-Ear-Kopfhörern Freebuds Pro nun auch die Over-Ear-Sparte in Angriff nehmen. Das Resultat: die Freebuds Studio. Huawei hat uns die Kopfhörer für mehrere Wochen zur Verfügung gestellt, damit wir uns ein eigenes Bild des Over-Ear-Frischlings machen konnten.
Die Studios kommen relativ kompakt daher und wirken trotz des Kunststoffs nicht billig. Es ist jetzt aber auch nicht so, dass man das Gefühl hätte, einen besonders hochwertigen Kopfhörer in der Hand zu halten. In der Preisklasse von 200 bis 300 Franken müssen sich die Freebuds Studio aber nicht verstecken. Höchstens Bowers & Wilkins kann hier mit seinen PX5 noch etwas schönere Akzente setzen.
Beim Tragekomfort machen die Studios einen sehr guten Eindruck. Die Ohrmuscheln sitzen fest auf dem Kopf, drücken aber nicht so fest, dass man nach zwei, drei Stunden das Gefühl hat, der Kopf würde in einer Schraubzwinge stecken. Der Bügel ist genug dick gepolstert und drückt auch dann nicht, wenn der Kopfhörer etwas enger anliegt.
Natürlich ist der Tragekomfort sehr subjektiv und kann je nach Form und Grösse des Kopfes variieren. Deshalb habe ich den Kopfhörer an drei weitere Personen weitergegeben, um diese ein Weilchen zu tragen. Fazit: Niemand hat mir wegen des Tragekomforts eine negative Rückmeldung gegeben. Besonders hervorgehoben wurde jeweils, dass sich die Freebuds Studios sehr leicht anfühlen.
Die Huawei Freebuds Studios kann man mit zwei Geräten gleichzeitig verbinden. Die Kopplung verlief in meinen Tests immer schnell und zuverlässig. In meinem Fall waren dies Android-Handys diverser Marken als auch Windows-Laptops. Selbst das Koppeln mit einem Smart TV und einem Kurzdistanzprojektor klappte auf Anhieb.
Überrascht hat mich, dass die Verbindung selbst durch mehrere Wände hindurch noch stabil blieb. Lasse ich das Handy in meiner verwinkelten Wohnung im Büro, geben Bluetooth-Kopfhörer spätestens dann auf, wenn ich die Küche betrete. Die Freebuds Studios haben aber selbst da ihren Dienst zuverlässig verrichtet. Huawei sagt, dass dies dem Doppelantennen-Design zuzuschreiben sei. Damit werde selbst dann die Verbindung noch sichergestellt, wenn sich das Smartphone an einem empfangsschwachen Ort befinde.
Die Freebuds Studios sind mit Active Noise Cancelling ausgerüstet. Gesteuert werden kann das über eine separate Taste, die sich am linken Gehäuse befindet. Mit einem Tastendruck wechselt man zwischen «Noise Cancelling», «Awarness» und «Off».
Die Unterschiede zwischen vollem Active Noise Cancelling und dem Awarness Mode sind frappierend. Während der erste Modus Aussengeräusche zuverlässig und richtig gut reduziert, war ich vom Awarness Mode kein Fan. Vor allem in lauten Umgebungen eierte die Software oft herum. Stellenweise hatte ich sogar den Eindruck, die Geräuschkulisse würde verstärkt. Das kam aber wohl eher daher, dass der Awarness Mode gewisse Geräusche, wie beispielsweise dasjenige eines Luftdruckhammers, wohl als Stimmen interpretiert und durchlässt.
Bei voll aktiviertem ANC-Modus kann man übrigens noch zwischen vier verschiedenen Modi wählen. Dazu braucht man allerdings die dazugehörige App AI Life. Warum das ein Problem sein kann, lest ihr weiter unten.
Die Sensoren funktionierten im Test immer zuverlässig. Nimmt man den Kopfhörer ab, pausiert die Musik, setzt man ihn wieder auf, geht es zuverlässig weiter. Zwischendurch ist die Sensorik aber auch etwas übereifrig und pausiert die Musik schon, wenn man die Ohrmuschel etwas zurechtrückt. Etwas schade ist, dass der Kopfhörer kein akustisches Feedback gibt, wenn er sich mit einem Gerät verbindet.
Der Freebuds Studio liefert guten Klang, der in Kombination mit dem sehr guten ANC für ungestörtes Musikhören sorgt. Trotzdem muss ich sagen: Umgehauen hat mich der Sound der Freebuds Studios nicht. Ja, der Kopfhörer klingt gut, aber um in der gleichen Liga wie Sony mit ihren xm4 zu spielen, reicht es noch nicht ganz. Beim Bass klingen die Kopfhörer ab einer Tiefe von 60 Hertz nicht mehr ganz so sauber. Spätestens bei 30 Hertz kommen die Studios dann an ihre Grenzen. Auch bei den Höhen haben die Freebuds Studios noch ein klein wenig Luft nach oben. Das ist natürlich kein schlechter Wert, aber hier merkt man doch den Unterschied zu etablierten Herstellern mit langjähriger Erfahrung. Dafür sind die Freebuds Studios dann auch etwa mindestens 50 Franken günstiger als die meisten Modelle der Konkurrenz in dieser Klasse.
Gut aufeinander abgestimmt sind dafür die Treiber. Das Klangbild ist top, was vor allem bei binauralem Sound gut zu hören ist. Der Sound wandert zuverlässig und ohne Störungen von links nach rechts und positioniert sich schön mittig, wenn er aus beiden Treibern gleichmässig gespielt wird.
Der gute Sound der Freebuds Studio wird durch ein grosses ABER getrübt: Ein Bauteil im inneren der Ohrmuscheln klopft in gewissen Situationen gegen das Gehäuse. Das kann passieren, wenn man im Bus sitzt und dieser über eine etwas unebene Strasse fährt. Aber manchmal auch schon, wenn man nur etwas zügig die Treppe heruntergeht oder im Stechschritt auf den Zug stresst. Dann klopft es teilweise im Sekundentakt abwechselnd in der rechten und linken Ohrmuschel gegen das Gehäuse. Das trübt das Hörerlebnis merklich, ja nervt sogar ziemlich. Oft war es mir dann so unangenehm, dass ich den Kopfhörer abgenommen habe. Bei günstigeren Kopfhörern, die um die 100 Franken gekostet haben, habe ich das schon erlebt, aber nicht in der Preisklasse, in der sich die Freebuds Studio bewegen.
Das Problem ist, dass sich dieses «Klopfgeräusch» nicht zuverlässig reproduzieren lässt. Obwohl ich jeden Morgen den gleichen weg zum Bahnhof laufe, war das Klopfen nicht jedes Mal gleich, manchmal sogar gar nicht vorhanden. Auch beim Test mit meinen Kollegen konnten mir nur zwei von dreien das Klopfgeräusch bestätigen.
Wer die Kopfhörer zum Telefonieren nutzen möchte, wird damit keinerlei Probleme haben. Selbst bei lauten Umgebungsgeräuschen versteht einen die Person, mit der man telefoniert, einwandfrei. In meinem Test habe ich sie am Bahnhof Luzern auf dem Perron als auch neben der Hauptstrasse (Pilatusstrasse) ausprobiert – in beiden Fällen verliefen die Testanrufe ohne Verständigungsprobleme.
Huawei hat in seinem neuen Kopfhörer die hauseigene Quick-Charge-Technologie verbaut, die man schon aus den Smartphones kennt. Damit lässt sich der Kopfhörer sehr schnell laden. In 10 Minuten hat man genug Strom, um zwei Stunden Musik hören zu können. Das ist schnell, aber jetzt auch nicht so viel schneller als die Konkurrenz. Beispielsweise braucht der vor einem Jahr erschienene PX7 von Bowers & Wilkins 15 Minuten, um genug Strom für zwei Stunden Musikwiedergabe zu haben.
Dennoch ist die Ladegeschwindigkeit ein positiver Punkt, auch wenn man das Kleingedruckte berücksichtigen sollte: Die Schnellladung ist nur anwendbar, wenn der Akkustand gering ist. Wo genau Huawei die Grenze zieht, bleibt leider unklar.
Ebenfalls nicht verstecken müssen sich die Freebuds Studio bei der Akkulaufzeit. 24 Stunden halten die Over-Ear laut Huawei durch. Wie so oft, bei solch beachtlichen Laufzeiten, ist das aber nur ohne ANC möglich und bei einer Lautstärke von 50 Prozent. Aber selbst mit eingeschaltetem ANC (auf höchster Stufe) halten die Kopfhörer lange durch. Wer jeden Tag zwei bis drei Stunden Musik hört, kommt locker durch eine Arbeitswoche, ohne die Kopfhörer laden zu müssen.
Die Freebuds Studio können mit jedem Smartphone ohne App genutzt werden. Wer die Studios etwas anpassen möchte, kann das via Huaweis AI App tun. Hier liegt aber ein ziemlich grosser Hund begraben: Wer kein Huawei-Handy mit App Gallery benutzt, muss natürlich auf den Play Store zurückgreifen. Dort ist die neuste Version der AI-Life-App nicht verfügbar. Genau diese braucht man aber, um die Freebuds Studios mit der App zu verbinden.
Dieses Problem habe ich bereits beim Test mit den Freebuds Pros beanstandet. Warum Huawei die Anwendung im Play Store nicht aktualisiert, ist mir schleierhaft. Ich kann mir nur vorstellen, dass die Apps im Play Store für Huawei im Zuge der Trennung von Android keine Priorität mehr haben.
Auf Nachfrage verweist Huawei auf ihre eigene Website, wo man die aktuelle APK-Datei der AI-Life-App herunterladen kann. Installiert man diese, lassen sich die Freebuds Studio ohne Probleme auch auf Nicht-Huawei-Handys mit der App nutzen.
Da die meisten Käufer*innen dies aber nicht wissen dürften, hagelt es in der Review-Sektion des Play Stores entsprechend schlechte Bewertungen:
Hat man es dann geschafft, die App zu installieren, kann man diverse Einstellungen vornehmen. Diese bewegen sich im normalen Bereich und fallen nicht durch aussergewöhnliche Features auf. Hauptsächlich beschränken sich die Optionen auf die Geräuschunterdrückung. Am nützlichsten ist hier der Modus, bei dem man zwischen vier verschiedenen Optionen wählen kann:
Die Möglichkeit, verschiedene Modi einzustellen, ist durchaus nützlich. Vor allem in lauten Umgebungen, war ich sehr froh, den Ultramodus zu haben, da der dynamische Modus mir einfach zu wenig gefiltert hat. Auf diesen Modus kann man allerdings nur wechseln, wenn man die Kopfhörer mit der AI-Life-App verbunden hat. Wer also kein Huawei-Handy hat und nicht weiss, dass man die aktuelle App auf Huaweis Website herunterladen kann, wird um diese Funktion beraubt. Ebenfalls ist es nicht möglich, die Kopfhörer zu aktualisieren. Das ist zwar vernachlässigbar, allerdings weiss man ja nie, was Hersteller noch für Verbesserungen via Update nachliefern.
Wer übrigens gehofft hat, dass die App einen Equalizer integriert hat, wie das bei gewissen anderen Herstellern der Fall ist, wird enttäuscht. Glücklicherweise kann man hier aber auf Drittapps zurückgreifen. Dennoch wäre es natürlich interessant, wenn man sein Equalizerprofil auf dem Kopfhörer speichern könnte und auch beim Gerätewechsel immer zur Hand hätte.
Die Freebuds Studio sind ein solides Over-Ear-Debüt von Huawei. Vieles an den Kopfhörern gefällt richtig gut, ein, zwei Dinge muss Huawei aber noch besser machen. Das gilt vor allem für die Schläge gegen das Gehäuse, die manchmal nur schon zu hören sind, wenn man an einem Hügel etwas zackig die Strasse hinunterläuft.
Beim Sound liefern die Huawei Freebuds Studio gute Ergebnisse. Zwar kommt er noch nicht ganz an die Platzhirsche heran, lauert aber bereits im Windschatten. Dafür hat man mit den Freebuds Studio via Bluetooth eine stabile Verbindung, die selbst durch mehrere Wände hindurch hält. Hier hat Huawei die Messlatte definitiv etwas höher gelegt.
Unter dem Strich sind die Freebuds Studio solide Kopfhörer, die ich allerdings nicht ohne Vorbehalt empfehlen kann. Das liegt vor allem an dem mechanischen Problem mit dem «Gegen die Gehäusewand schlagen». Meine Empfehlung: Probiert den Kopfhörer, wenn möglich, zuvor in einem Laden aus, hüpft ein bisschen auf und ab, neigt den Kopf hin und her, um zu schauen, ob euch das stört oder nicht.