Vor beinahe einem Jahr hatte Huawei mit den Freebuds 3 einen Kopfhörer abgeliefert, der zwar klanglich überzeugte, bei der Geräuschunterdrückung aber patzte. Nun haben die Chinesen mit den Freebuds Pro einen Kopfhörer vorgestellt, der vieles anders macht – vor allem beim Active Noise Cancelling (ANC).
In-Ear-Kopfhörer haben in den letzten Monaten die unterschiedlichsten Formen hervorgebracht. Immer öfter sehen wir auch Modelle, die ihre «Fortsätze» verloren haben, was bei kabellosen Kopfhörern durchaus Sinn ergibt.
Huawei orientiert sich bei den Freebuds Pro am klassischen Design, geht dafür aber einen kantigeren Weg. Das ist erfrischende Abwechslung zur Konkurrenz und sieht in der Realität wirklich sehr gut aus. Wer auf das kantige Design des iPhone 12 steht, findet mit den Freebuds Pro – zumindest optisch – die passenden Kopfhörer.
Bei der Bedienung setzt Huawei auf einen Mechanismus, der sehr gewöhnungsbedürftig ist: Es ist eine Mischung aus Streichen und Drücken. Damit man sich nun aber beim Drücken den Kopfhörer nicht unangenehm in den Gehörgang drückt, ist die berührungsempfindliche Fläche hier angebracht:
Im Wesentlichen gibt es zwei Bedienungsarten:
Eines voraus: Die Bedienung funktioniert präzise und zuverlässig. Aber es ist vor allem zu Beginn äusserst gewöhnungsbedürftig, wenn man auf dem Kopfhörer «rumklicken» muss. Vor allem muss man die Kopfhörerfortsätze immer zwischen beide Finger klemmen, um drücken zu können.
Anfangs passiert es dann, dass sich der Ohrstöpsel immer mal wieder lockert. Es ist hier vor allem Geduld gefragt, spätestens nach ein paar Tagen hat man die Bedienung besser im Griff. Trotzdem hätte mir eine Touchsteuerung à la Galaxy Buds+ besser gefallen, wo ein Antippen reicht.
Ja, was hat denn Huawei da bitte fabriziert? Bisher war ich von Active Noise Cancelling bei kleinen Kopfhörern nie überzeugt. Am besten waren da noch die Sennheiser Momentum True Wireless 2 – aber mit einem Preisschild von fast 300 Franken auch sehr teuer. Auch Apples Airpods Pro sind sehr gut, wie Daniel Schurter in seinem Bericht bezeugt. (Testen konnte ich sie leider bisher nie). Aber auch die Airpods sind mit 279 Franken im Apple Store kein Schnäppchen.
Nun kommt Huawei daher und bringt Kopfhörer für knapp 180 Franken, mit einem ANC, das im Bereich In-Ear seinesgleichen sucht. Was die kleinen Dinger hier leisten, überzeugt. Selbst neben einer dicht befahrenen Hauptstrasse mitten in Luzern rückt der Geräuschpegel stark in den Hintergrund und verkommt zu einem leisen Rauschen.
Nur wenn ein LKW vorbeidonnert oder jemand das Gaspedal etwas gar enthusiastisch bedient, müssen sich die Kopfhörer geschlagen geben. Stellenweise erschrickt man fast ob der lauten Geräuschkulisse, sobald man die Stöpsel wieder aus den Ohren nimmt. Dies gilt allerdings nur, wenn das Active Noise Cancelling auf der höchsten Stufe ist.
Erfreulich ist auch, dass die Freebuds Pro Windgeräusche zuverlässig «herausfiltern» und man von Pfeifgeräuschen verschont bleibt. Huawei hat dafür eine ausführliche Erklärung, mit marketingwirksamen Formulierungen wie «fliessend geometrisches Design, das Windgeräusche eliminiert». Egal, wie es funktioniert, wichtig ist: Es funktioniert sehr zuverlässig. Aber klar: Bei stürmischen Verhältnissen haben auch die Freebuds Pro gegen den Wind keine Chance.
Trotz dieser starken Geräuschunterdrückung soll man Stimmen trotzdem noch gut verstehen – sagt Huawei. Das ist von Fall zu Fall anders. Steht jemand direkt vor einem und redet laut und deutlich, versteht man die Person tatsächlich trotz aktivem ANC ziemlich gut. Doch schon wenn sich jemand ein, zwei Meter entfernt, wird es schwer, mehr als nur Gemurmel zu verstehen. Hier muss man dann oft das ANC ausschalten. (Oder man nimmt die Stöpsel einfach aus den Ohren 😉).
Etwas weniger nützlich erschien mir das ANC im Awareness Mode. Die Kopfhörer versuchen hier anhand der Umgebungsgeräusche die Stärke der Geräuschunterdrückung anzupassen. Hier gibt es zwei grosse Probleme, durch die der Awareness Mode für mich nicht infrage kommt:
Immerhin hat man die Möglichkeit, wenn man ANC voll aktiviert hat, in der App manuell zwischen drei Empfindlichkeitsstufen zu wählen:
Wer gerne seine Ruhe hat, wird aber sowieso immer den Ultramodus aktiviert haben. Vor allem wenn man zu Fuss im Strassenverkehr unterwegs ist, sollte man da aufpassen. Der Grund liegt auf der Hand: Die Kopfhörer schirmen Geräusche teilweise so gut ab, dass man Gefahr läuft, andere Verkehrsteilnehmer nicht wahrzunehmen.
Beim Sound hat Huawei wirklich Fortschritte gemacht. Vor allem der räumliche Klang leistet hier grossartige Arbeit. In Kombination mit ANC entsteht eine Soundkulisse, die einen völlig in die jeweiligen Stücke eintauchen lässt.
Der Bass ist ordentlich, allerdings sind die Freebuds Pro nicht so basslastig wie beispielsweise die Galaxy Live von Samsung. Huawei scheint eher auf ein ausgewogenes Klangbild Wert gelegt zu haben, wodurch beispielsweise auch das Musikstück «The Shire» aus «Herr der Ringe» mit seinen klassischen Elementen wundervoll klingt.
Da gibt es eigentlich nicht viel zu sagen. Telefonieren klappt einwandfrei. Der Ton ist klar und verzögerungsfrei, Sätze wie «Kannst du etwas lauter sprechen, ich versteh dich nicht so gut» kriegte ich mit den Freebuds Pro nie zu hören.
Selbst wenn man am Bahnhof am Perron steht und der Zug einfährt, hörte mich die Person am Telefon problemlos. Anrufe entgegennehmen klappt mit der Kontrolle am Kopfhörer tipptopp.
Die Freebuds Pro sind mit jedem aktuellen Handy kompatibel, unabhängig ob Android oder iOS. Wegen des US-Banns und der fehlenden 5G-Chips sind tragbare Geräte für Huawei aktuell umso wichtiger. Daher gibt es die App AI Life, mit der man die Kopfhörer noch für jedes Handy personalisieren kann. Doch genau hier patzt Huawei: Bei Google Play war bis zum Testende (3. November) keine aktuelle Version von AI Life verfügbar. Für User von Huawei-Smartphones ist das kein Problem. Sie finden die aktuelle Version in der AppGallery. Wer allerdings ein Samsung, Oppo oder Nokia hat, muss die aktuellste Version der App über Umwege besorgen: Die APK-Datei kann man sich auf der offiziellen Website von Huawei herunterladen.
Auf Anfrage von watson sagt Huawei, dass es keinesfalls die Absicht sei, Nutzer von anderen Marken aussen vor zu lassen. Demnach ist damit zu rechnen, dass auch im Play Store bald die neueste Version von AI Life verfügbar sein wird.
Natürlich kann man die Freebuds Pro auch komplett ohne AI Life nutzen. Die Kopfhörer haben sich im Test auf Anhieb mit Samsung-, Oppo- und Nokiageräten verbunden. Dabei ist es möglich, bis zu zwei Geräte gleichzeitig mit den Freebuds Pro zu verbinden. Die Software-Plattform ist dabei egal.
Die Hersteller überbieten sich regelmässig mit neuen Höchstlaufzeiten bei Kopfhörern. Zuletzt versprach Samsung für die Galaxy Lives eine Akkulaufzeit von sieben Stunden ohne ANC. Huawei gibt für die Freebuds Pro nun dieselbe Akkulaufzeit an. Mit dem Ladeetui, das eine stattliche Grösse hat, verlängert man diese Zeit auf bis zu 30 Stunden. Wer Noise Cancelling permanent eingeschaltet hat, reduziert die Laufzeit auf 4,5 Stunden respektive 20 Stunden pro Ladung.
In meinem Test haben die Kopfhörer diese Zeit mehr oder weniger eingehalten. Zumindest hielten sie mit aktiviertem Noise Cancelling garantiert immer etwas länger als vier Stunden durch. Im Langzeittest lud ich die Kopfhörer samt Case am Montagmorgen komplett auf. Danach hörte ich jeden Tag mindestens drei Stunden Musik mit ANC. Das Resultat: Erst am Freitag wechselte die Akkustandanzeige des Cases auf Orange, um mir zu sagen, dass es langsam an der Zeit wäre, wieder eine Steckdose aufzusuchen.
Huawei hat mit den Freebuds Pro Kopfhörer abgeliefert, die im Bereich Noise Cancelling tatsächlich überzeugen. Aktuell dürfte man wohl in der Preiskategorie von 180 Franken kaum einen In-Ear-Kopfhörer mit besserem ANC finden. Einzig der Awareness Mode ist mit seinem Hintergrundrauschen ein No-Go.
Klanglich gibt es an den Kopfhörern nichts auszusetzen. Höchstens wer einen Hang zu basslastigen Kopfhörern hat, dürfte an den Freebuds Pro ein bisschen herummeckern. Ebenfalls gibt es in der zugehörigen App keine Equalizer-Option, auch wenn dies den Durchschnitts-Nutzer wohl nicht sonderlich stören dürfte.
Die Verbindung klappt jedes Mal, egal ob mit Windows, iOS oder Android, problemlos und das sogar mit zwei Geräten gleichzeitig. Die Kopfhörer sitzen fest im Gehörgang und lockern sich höchstens mal, wenn man wegen der Steuerung an ihnen rumfummelt. Die Klickbedienung reagiert zuverlässig, dürfte die User wohl aber in zwei Lager spalten.
Bei der Akkulaufzeit können die Freebuds Pro die von Huawei angegebenen Zeiten (7 Stunden ohne ANC, 4,5 Stunden mit ANC) fast immer erreichen. Damit müssen die Kopfhörer, auch dank des Cases, oft nur einmal pro Woche an die Steckdose. Unter dem Strich erhält man für 180 Franken richtig gute Kopfhörer, die sich vor allem durch das richtig gute Noise Cancelling empfehlen.
ThatScout