Wer bin ich? Was mache ich hier? Und wo zur Hölle befinde ich mich? Halb vergraben unter einer biomechanischen Masse erhebe ich mich und suche meinen Weg durch eine von Fleisch und Stahl übersäten Umgebung. Bin ich in einem Raumschiff? Wurde ich auf einen fremden Planeten verschleppt? Oder bin ich schlicht und einfach in der Hölle gelandet? Fragen über Fragen.
Nach dem ersten Anfall von Orientierungslosigkeit realisiere ich, dass es meinem geschundenen Körper gar nicht gut geht und er mittels fremder Technologie zu einer Art von Türöffner geworden ist.
So stöpsle ich an verschiedenen rostigen Konsolen fremde Schläuche in mich hinein und gleite meine Finger in unbekannte Öffnungen hinab, die ebenfalls einen Mechanismus zum Laufen bringen. Ja, bereits die ersten Spielminuten sind verwirrend und brauchen einen starken Magen.
«Scorn» vermittelt auf den ersten Blick eine etwas falsche Erwartungshaltung. Man möchte meinen, dass wir uns im Survival-Horror-Genre befinden und nun die bekannten Merkmale auf uns niederprasseln werden. Doch weit gefehlt.
Auch wenn die düstere Kulisse uns instinktiv darauf vorbereitet, dass gleich um die nächste Ecke eine Reihe von Höllenkreaturen auf uns losstürmen wird, sind wir lange Zeit einfach sehr alleine und machen uns mit der Umgebung vertraut.
Fremdartige, überdimensionierte Bauten, verlassene Foltermaschinen und labyrinthartige Gänge, wo verschlossene Türen nicht aufgehen wollen, bringen unser Gehirn zum Schwitzen.
Aus der Ego-Perspektive schleichen wir durch die mit Blut, Fleisch und Metall übersäten Areale und lösen ein Rätsel nach dem anderen, um nicht nur ins nächste Areal zu gelangen, sondern auch eine Reihe von Fragen zu beantworten.
Der Interpretationsraum von «Scorn» ist gewaltig. Auch nach dem Spielende rattert es im Kopf. Eine Mischung aus Faszination und Stirnrunzeln macht sich breit und lange denkt man noch darüber nach, was genau hier eigentlich passiert ist und wie ich das alles für mich deuten möchte.
Das ist die grosse Faszination dieses Spiels, das mit seiner kruden Optik direkt aus einem H.R. Giger-Gemälde entsprungen zu sein scheint. Die permanente Huldigung des serbischen Entwicklerteams Ebb Software für den Schweizer Alien-Schöpfer ist nicht von der Hand zu weisen. Der verstorbene Künstler hätte an diesem digitalen Albtraum seine wahre Freude gehabt.
Die Spielenden werden übrigens überhaupt nicht an der Hand genommen. Im Gegenteil: Wir werden ins kalte Wasser geworfen und müssen selber mit alldem klarkommen, was uns auf dem Bildschirm präsentiert wird.
Und haben wir vielleicht endlich den Dreh raus, wie diese Welt funktioniert und wie wir damit interagieren können, erhalten wir sogleich die nächste Verwirrung um die Ohren gehauen.
Die Schiebe- und Dreh-Rätsel sind zum Teil simpel, können sich aber auch gleich über mehrere Etagen erstrecken und fordern ganz schön viel Logik und ein räumliches Vorstellungsvermögen, um weiterzukommen. Das kann frustrieren, schenkt einem nach Vollendung aber auch eine Portion Glücksgefühle.
Ja, «Scorn» ist immer wieder für eine Überraschung gut. Dass es dann doch nicht ohne eine direkte Auseinandersetzung mit finsteren Kreaturen geht, erleben wir erst im späteren Spielverlauf. Da müssen wir uns dann mit ausgefallenen Waffen gegen fleischgewordene Albträume erwehren, die mehr faszinieren, als Angst machen.
Diese aufgesetzt wirkenden Shooter-Passagen wollen aber so gar nicht ins Bild passen und nehmen prompt die Intensität weg, die sich vorher behutsam aufgebaut und das Spiel dominiert hat.
Fazit: Die Atmosphäre von «Scorn» hat mich von Anfang an komplett gefesselt. Das abartig geniale Design bietet eine digitale H.R. Giger-Welt in der ich mich sehr gerne bewegt habe.
Auch wenn einige Rätsel am Nervenkostüm genagt haben, war ich stets gespannt, was die Designer als Nächstes auf mich loslassen werden. Es folgten viele grossartige WTF-Momente, unglaublich widerliche Begegnungen und immer wieder neue schaurig schöne Ideen, die zum Sinnieren einluden.
Hätte sich «Scorn» alleine auf diese atmosphärischen Komponenten fokussiert und nicht noch technisch halbgare Shooter-Momente, die wie Fremdkörper wirken, eingebaut, hätte es im Horror-Genre seine ganz grossen Spuren hinterlassen.
«Scorn» ist erhältlich für Xbox Series X/S, Xbox One und PC. Freigegeben ab 18 Jahren.