Was soll das alles? «In Sound Mind» ist eines dieser Horror-Spiele, das selbstbewusst das Genre-Einmaleins abspielt und uns in den ersten Stunden ziemlich ratlos zurücklässt. Aber je tiefer eingedrungen und je mehr Infos und Hintergründe von den psychisch gestressten Menschen, denen wir begegnen, an die Oberfläche geraten, desto spannender wird der Trip. Aber der Reihe nach ...
Um was geht es denn eigentlich genau? Wir befinden uns in der Stadt Milton Haven, wo irgendwas Gröberes passiert sein muss, da sich viele Menschen komisch verhalten und die Fassade sprichwörtlich bröckelt und in sich zusammenfällt. Wir starten in einem verlotterten Gebäudekomplex, in dem viele Türen verschlossen sind und Gänge mit Absperrbändern vorerst unpassierbar gemacht wurden.
Warum und vor allem wie wir gerade hier gelandet sind, bleibt zunächst unbekannt. In diesem Haus finden wir aber nach einigen Minuten unser altes Arbeitszimmer, wo uns nicht nur eine Katze begrüsst, sondern auch ein Tonbandgerät zum Dreh- und Angelpunkt unserer Reise wird.
Wir sind nämlich Psychotherapeut Desmond Wales, der jetzt in der Egoperspektive diverse Tonbänder von Patientinnen und Patienten suchen muss. Diese werden dann abgehört und geben uns Zugang zu Welten, in denen sich die Ängste der Patienten manifestiert haben und auf Erlösung warten. So oder ähnlich. Denn «In Sound Mind» ist ein Videospiel, das interpretiert werden darf. Vieles bleibt lange unklar und die Motivation der Hauptfigur lässt sich vorerst nur zwischen den Zeilen lesen.
Wie eine solche Gedächtnis-Welt genau aussieht, zeigt folgendes Beispiel: Eine junge Frau leidet unter starkem Selbstzweifel und entwickelt einen Selbsthass. Sie möchte nicht, dass jemand sie ansieht und reagiert gereizt, ja oft aggressiv auf ihre Umwelt. Dieses Gefühlschaos nistet sich in einem heruntergekommenen Einkaufszentrum ein, wo sie uns als Spukgestalt angreift und gleichzeitig nach Erlösung dürstet.
In dieser begrenzten Arena lösen wir nun simple Tür-Schlüssel-Rätsel, sammeln Gegenstände ein und setzen uns mit diversen Waffen zur Wehr. Warum genau wir jetzt in dieser Welt herumwuseln und wie genau wir da hingekommen sind, das ist auch so eine Interpretationssache.
Zugegeben, das klingt alles nicht so prickelnd und berauschend, aber die einzelnen Gedanken-Ausflüge wurden allesamt in ein gruseliges Kleid gepackt, das uns die psychischen Leiden der Menschen auf eine abstrakte Art und Weise näher bringt und uns wortwörtlich in den Gesundheitszustand eintauchen lässt. Bei solch originellen Schauplätzen und dichter Stimmung darf über simple Mechaniken gerne hinweggesehen werden.
Immer wieder klingeln Telefone, wo eine fremde und doch irgendwie vertraute Stimme uns belehren und auch auslachen möchte. Verwirrend. Verwirrend sind auch leuchtende Flüssigkeiten und damit gefüllte Fässer, die in den Levels verteilt sind und bei Berührung unsere Sinne betäuben. Selbstverständlich haben auch diese einen bestimmten Sinn in der Geschichte. Bevor sich der Vorhang aber lüftet, bleibt vieles undurchschaubar und mysteriös. So wie die leuchtenden Wesen, die uns manchmal aggressiv auflauern und eine Gruselgestalt, die uns immer wieder heimsucht und auch mal plötzlich neben uns steht.
Ansonsten gibt es den gewohnten Survival-Horror: Unsere Taschenlampe braucht ständig neue Batterien, Notizen wollen genau gelesen werden, um die üblichen Schalter- und Knöpfe-Rätsel zu lösen und der Soundtrack von «The Living Tombstone» schmeichelt nicht nur der Gruselatmosphäre, sondern sorgt auch am eigenen Körper für Gänsehaut.
Fazit: «In Sound Mind» ist Kurzfutter für zwischendurch. Der Ansatz, in die Psyche von Menschen einzutauchen und sich in den Gedankenwelten zur Wehr zu setzen, hört sich spannend an und ist es auch, sofern man sich für menschliche Ängste und Abgründe interessieren mag.
Leider ist das Horrorspiel von We Create Stuff dann doch zu schnell vorbei und kommt nicht ganz zum Zuge, um sein Potential vollends auszuschöpfen. Die Hintergrundstory bleibt zu vage und hinterlässt (zu) viele Fragezeichen, so dass gegen Ende eine bleierne Schwere einsetzt, die nicht weggehen möchte und ein unbefriedigendes Gefühl hinterlässt.
Für einen Horror-Kurztrip ohne allzu grosse Ansprüche und Erwartungen lohnt sich dieser Indie-Titel für ausgehungerte Genre-Fans aber auf jeden Fall. Und eben: Ihr dürft eine Katze streicheln.
«In Sound Mind» ist erhältlich für Playstation 5, Xbox Series X/S und PC. Die Nintendo-Switch-Version folgt zu einem späteren Zeitpunkt. Freigegeben ab 16 Jahren.