Digital
Schweiz

5G könnte den Flugverkehr beeinträchtigen – der Bund nimmt Stellung

CORRECTS SPELLING OF FIRST NAME TO PETE, NOT PET - American Airlines pilot captain Pete Gamble, left, and first officer John Konstanzer conduct a pre-flight check in the cockpit of a Boeing 737 Max je ...
US-Piloten im Cockpit. «5G-Interferenzen könnten die Sicherheit des Flugbetriebs beeinträchtigen und enorme negative Auswirkungen auf die Luftfahrtindustrie haben», warnten die Konzernchefs von Airbus und Boeing. Bis heute sind keine Zwischenfälle bekannt.Bild: keystone

5G gefährdet angeblich den Flugverkehr – der Bund nimmt Stellung

Zwei grosse amerikanische Mobilfunk-Provider haben ihren 5G-Netz-Ausbau wegen Sicherheitsbedenken der US-Behörden verschoben. watson hat beim Bund nachgefragt.
06.01.2022, 14:1606.01.2022, 15:13
Mehr «Digital»

Das Wichtigste in Kürze:

  • Luftfahrt-Aufsichtsbehörden mehrerer Länder, darunter das Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) in der Schweiz, warnen Airlines und Piloten vor potenziellen Beeinträchtigungen der Flugzeugelektronik durch 5G-Signale.
  • Mit der Einführung der neuen Mobilfunktechnologie wurden in Ländern wie den USA auch Frequenzbereiche für das schnelle 5G-Internet freigegeben, die nahe bei jenem Frequenzbereich liegen, der von Radiohöhenmessern in Flugzeugen und Helikoptern verwendet wird.
  • In den USA haben zwei grosse Mobilfunk-Provider eine für Mittwoch geplante 5G-Netzerweiterung verschoben. Dies auf Drängen des US-Verkehrsministeriums und der Luftfahrtindustrie, die Sicherheitsbedenken hat.
  • Es sind bislang keine Störungen des Flugverkehrs in der Schweiz oder in Europa in Zusammenhang mit 5G-Signalen gemeldet worden, wie die zuständigen Schweizer Bundesbehörden auf Anfrage von watson erklären.
  • Derzeit läuft noch eine von den europäischen Ländern in Auftrag gegebene Studie zu potenziellen Störungen von Funkhöhenmessern in der Zivilluftfahrt.

Wo ist das Problem?

«Es besteht die Möglichkeit, dass 5G-Signale die Radiohöhenmesser in Flugzeugen und Helikoptern negativ beeinflussen.»
Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL)

Im Streit um mögliche Störungen des Flugverkehrs durch neue 5G-Frequenzen haben die beiden grossen US-amerikanischen Mobilfunkanbieter AT&T und Verizon eine für diese Woche geplante Erweiterung ihrer Netze gestoppt.

Zuvor hatten sie am Wochenende noch verlauten lassen, sie wollten an ihrem Vorhaben festhalten und am Mittwoch zusätzliche 5G-Frequenzbänder in Betrieb nehmen.

Vorläufig kann nicht ausgeschlossen werden, dass 5G-Verbindungen die empfindlichen Instrumente im Flugzeug-Cockpit stören. Darum sahen sich die Luftfahrt-Aufsichtsbehörden mehrerer Länder vor Kurzem veranlasst, eine offizielle Warnung zuhanden der Industrie zu veröffentlichen.

Dazu weiter unten mehr.

Ist das neu?

Dass 5G-Signale die in Flugzeugen verbauten Höhenmesser beeinträchtigen könnten, ist schon länger bekannt. Die französische Luftfahrtbehörde Direction générale de l’aviation civile warnte im Februar 2021, dass die Nutzung von 5G-Geräten an Bord von Passagiermaschinen zu technischen Störungen – sogenannten Interferenzen – führen könnte.

Gerade beim Starten und bei der Landung – in den kritischen Flugphasen also – könnten 5G-Geräte die Bordinstrumente beeinträchtigen, wie der «Tages-Anzeiger» berichtete.

US-Fluggesellschaften äusserten seit längerer Zeit Bedenken wegen des 5G-Ausbaus. Sie befürchten einen zusätzlichen Dämpfer bei der Erholung der Luftfahrtbranche nach der Pandemie wegen zusätzlicher Sicherheitsvorkehrungen.

Vertreter der Mobilfunkindustrie sprechen von unbegründeten Ängsten und versichern, es gebe keine Probleme. Dies zeige nicht zuletzt der 5G-Betrieb in Europa.

Tatsächlich mangelt es an verlässlichen Studienergebnissen zur Problematik, wie die hiesigen Aufsichtsbehörden bestätigen. In der Schweiz sind das Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) und das Bundesamt für Kommunikation (BAKOM) zuständig. Sie verweisen auf eine Studie, die derzeit noch in den zuständigen europäischen Gremien in Arbeit sei.

BAKOM-Sprecher Francis Meier:

«Die laufende Studie muss zunächst klären, ob ein nachweisliches Risiko von Störungen besteht oder nicht. Falls dies der Fall sein sollte, würden technische Massnahmen vorgeschlagen.»

Was war der Auslöser für den Streit in den USA?

Die Funkfrequenzen, die in den USA für 5G genutzt werden dürfen, liegen relativ nahe bei den Frequenzen, die für die empfindliche Flugzeugelektronik eingesetzt werden. Dabei handelt es sich um einen Bereich, der C-Band genannt wird, im Englischen auch «Midband»-Spektrum.

AT&T und Verizon wollten ihren Kundinnen und Kunden ab dem 5. Januar 5G über das C-Band bieten, nachdem sie die Lancierung schon einmal verschoben hatten. Dann baten der US-Verkehrsminister Pete Buttigieg und der Leiter der US-Luftsicherheitsbehörde FAA, Steve Dickson, am vergangenen Freitag medienwirksam um eine erneute Verschiebung.

Der Airline-Verband Airlines for America hatte die US-Telekommunikationsbehörde (FCC) aufgefordert, das C-Band rund um US-Flughäfen zu stoppen. Ansonsten könnten Tausende Flüge täglich gestört werden. Die Gruppe drohte, vor Gericht zu ziehen, sollte die FCC nicht aktiv werden.

Was ist aus Schweizer Perspektive wichtig?

Hierzulande finden 5G-Verbindungen von Smartphones und anderen Mobilgeräten in einem anderen Frequenzband statt, als dies nun AT&T und Verizon vorhaben.

«Der Einsatz und die Nutzung der Frequenzen wurde mit der Flugsicherung Skyguide abgeklärt und bewilligt», zitierte der «Tages-Anzeiger» den Schweizer Provider Sunrise.

In Europa und der Schweiz sei 5G auf das Frequenzband 3,4–3,8 Gigahertz beschränkt. Das bedeute, dass es mehr als 200 Megahertz zusätzliches «Schutzband» gebe, bevor die Frequenz der Flugzeug-Höhenmesser erreicht wäre.

«Bisher wurden keine Störungen in der Schweiz oder in Europa gemeldet. Das BAKOM und das BAZL stehen hierzu zur Analyse der Entwicklungen in engem Kontakt.»
Schweizer Aufsichtbehörden

Trotzdem warnten nun mehrere Aufsichtsbehörden weltweit Anfang 2022 «Airlines, Operators und Piloten vor potenziellen Beeinträchtigungen der Flugzeugelektronik». Laut BAKOM-Sprecher Francis Meier handelt es sich um:

  • die US-Behörde FAA (Federal Aviation Administration),
  • die französische DGAC (Direction générale de l'Aviation civile),
  • die australische CASA (Civil Aviation Safety Authority),
  • Transport Canada,
  • die UAE GACA (die «General Authority of Civil Aviation» der Vereinigten Arabischen Emirate),
  • sowie das BAZL.

Diese Aufsichtsbehörden haben die Verantwortlichen in der privaten Luftfahrtindustrie angewiesen, «operationelle Massnahmen zu definieren», wie im Falle von unerwarteten Störungen des Radiohöhenmessers vorzugehen sei.

Eine «negative Beeinflussung könnte sich durch eine inkorrekte Höhenanzeige oder durch einen Totalausfall des Radiohöhenmessers bemerkbar machen», heisst es in der «Safety Information Notice», die Anfang 2022 publiziert wurde.

Gemäss BAKOM-Sprecher wurden insgesamt neun Empfehlungen zuhanden der Luftfahrtindustrie definiert: Sie reichten vom Nicht-Gebrauch von 5G-Geräten an Bord, der technischen Überprüfung von sicherheitsrelevanten Bordsystemen bis hin zur Meldepflicht von allfälligen Anomalien im Zusammenhang mit 5G (dazu gleich mehr).

Was müssen Flugreisende wissen?

Das BAZL empfiehlt den Verantwortlichen in der Luftfahrtindustrie unter anderem folgende Sicherheits-Massnahmen, die Flugreisende und das Flugpersonal betreffen:

  • Passagiere und Flugbesatzungen seien daran zu erinnern, dass alle elektronischen Geräte in der Kabine, am Körper oder im Handgepäck mitgeführt werden sollten.
  • Wenn 5G-kompatible tragbare elektronische Geräte (Telefone, Tablets, Modems etc.) in der Kabine oder im Cockpit mitgeführt werden, sollten diese so eingestellt werden, dass sie nicht in Mobilfunknetzen senden (also im «Flugmodus» sind) oder ausgeschaltet werden.
  • Wenn solche Geräte in aufgegebenen Koffern etc. (Check-in-Gepäck) mitgeführt werden, sollten sie ausgeschaltet und vor versehentlicher Aktivierung geschützt sein.
  • Für die grundlegende Kommunikation, z.B. während des medizinischen Rettungsdienstes, sollten Besatzungen nur 3G- oder 4G-taugliche Geräte verwenden.
  • Fluglotsen und andere mit der Flugverkehrssicherheit betrauten Fachpersonen sollen allfällige Meldungen über potenzielle Störungen sofort weiterleiten.
  • Die Piloten, respektive die Cockpit-Besatzungen, sollen sich mit dem Worst-Case-Szenario befassen, dass es zu einer Verschlechterung der Höhenmesserfunktionen kommen könnte oder wichtige Sicherheitssysteme ausfallen.

Bis heute sind keine Zwischenfälle oder Störungen des Flugverkehrs in direktem Zusammenhang mit dem aktuellen Mobilfunk-Standard 5G und dessen Frequenzen bekannt.

Die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) untersucht schon länger, ob 5G die in der Luftfahrt genutzten Funkhöhenmesser zu stören vermag. Wie oben erwähnt, liegen die 5G-Frequenzbänder in Europa nicht so nah an dem von Flugzeugen genutzten Frequenzband wie in den USA.

Bisher seien in Europa keine Vorfälle bekannt oder aus vorliegenden technischen Daten von Flugzeug- und Ausrüstungsherstellern abzuleiten, erklärte eine EASA-Sprecherin. Gleichwohl werde die Situation weiter genau beobachtet. Und man tausche sich mit der FAA über deren Bedenken aus.

Wie geht es weiter?

In Europa gilt es die Ergebnisse der oben erwähnten Studie abzuwarten. Bis im Sommer 2022 soll der Bericht vorliegen. Beteiligt seien Funkkommunikationsexperten und Luftfahrtexperten, insbesondere Flugsicherheitsexperten.

Die US-Bundesluftfahrtbehörde FAA will Vorschläge der Mobilfunk-Provider zur Minimierung möglicher Interferenzen prüfen. Diese wollen sich an Frankreich orientieren, wo ein 5G-Spektrum genutzt wird, das weiter von den für Funkhöhenmesser genutzten Frequenzbändern entfernt ist.

Die zusätzlichen 5G-Frequenzbänder sollen in den USA frühestens in zwei Wochen genutzt werden, wie AT&T und Verizon am Montag in Dallas und New York mitteilten.

In dem Streit um die Sicherheit von 5G in der Luftfahrtindustrie hatten sich im Dezember 2021 die beiden grössten Flugzeughersteller zu Wort gemeldet. Hochrangige Vertreter von Boeing und Airbus zeigten sich von den 5G-Plänen der amerikanischen Mobilfunk-Provider nicht angetan.

Von der US-Pilotenvereinigung hiess es, dass die Diskussion in einer Sackgasse stecke. Das sei ein grosses Problem für Passagiere, Spediteure und die amerikanische Wirtschaft.

Quellen

Mit Material der Nachrichtenagenturen Keystone-SDA, DPA und Reuters.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
24 Flugzeug-Menus, die dir garantiert den Appetit verderben
1 / 26
24 Flugzeug-Menus, die dir garantiert den Appetit verderben
Airline: Iberia. Bild: imgur
Auf Facebook teilenAuf X teilen
So landet man ein Flugzeug ohne linkes Fahrwerk
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
41 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Hans Jürg
06.01.2022 15:23registriert Januar 2015
Der Titel stimmt so nicht ganz. Nicht 5G ist das Problem und gefährlich, sondern die in den USA dafür freigegebenen Frequenzen. Auch mit 1, 2, 3 oder 4G wäre das wohl gefährlich.
1134
Melden
Zum Kommentar
avatar
Likos
06.01.2022 15:28registriert Januar 2014
Wenn 5G die Chemtrails verhindert 😄
8610
Melden
Zum Kommentar
avatar
ch.vogel
06.01.2022 14:46registriert Mai 2014
Da scheint die FCC ja ihren Job nicht wirklich gemacht zu haben, wenn sie Frequenzen für die breitgefächerte Nutzung zuteilen, ohne entsprechende Tests bei ebenfalls breitgefächert eingesetzten Flugzeugen zu machen...

Sind nicht genau dafür die Behörden wie FCC und BAKOM da, um sicherzustellen, dass alle über längere Distanzen funkende Geräte einander nicht negativ beeinflussen?
625
Melden
Zum Kommentar
41
Bundesrat gibt Hilfszahlungen in den Nahen Osten frei – vertagt aber Entscheid zu UNRWA
Der Bund will 56 Millionen Franken für humanitäre Hilfe im Nahen Osten freigeben. Ob auch das in die Kritik geratene UNO-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge Geld erhält, will er erst später entscheiden.

Rund 20 Millionen Franken soll das UNO-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge 2024 von der Schweiz erhalten – wie jedes Jahr. So war es geplant. Doch wegen schwerer Vorwürfe gegen die UNRWA wurde das Geld bisher nicht überwiesen.

Zur Story