Eine beliebte amerikanische Redensart lautet: «The chickens are coming home to roost.» Sie lässt sich nicht sinnvoll wörtlich übersetzen, aber salopp ausgedrückt bedeutet sie: Die Folgen einer Tat treten allmählich zutage.
Dieses Phänomen wird nun sichtbar im Hype um die Künstliche Intelligenz (KI), der in den letzten Jahren in den USA in einem gewaltigen Ausmass zu beobachten war. Dazu ein paar Zahlen:
Das «Wall Street Journal» hat kürzlich gemeldet, dass allein die «Glorreichen Sieben» – Meta, Alphabet, Microsoft, Amazon, Apple, Nvidia und Tesla – im laufenden Jahr mehr als 100 Milliarden Dollar in die Entwicklung der KI stecken.
Der «Economist» vermeldet derweil, dass diese Summe so gross sei, dass selbst diese Unternehmen sie nicht mehr aus dem laufenden Cashflow finanzieren können und gezwungen sind, Kredite aufzunehmen. Rechnet man die Investitionen in die Stromnetze und Patente hinzu, dann ist der KI-Hype für 40 Prozent des Wachstums des amerikanischen Bruttoinlandprodukts (BIP) verantwortlich. «Eine erstaunliche Zahl», so der «Economist». «Ist doch dieser Wirtschaftszweig bloss für ein paar Prozente des gesamten US-BIPs verantwortlich.»
Der KI-Hype wird begleitet von geradezu phantasmagorisch anmutenden Prophezeiungen der führenden Vertreter der Branche. Sam Altman, CEO von OpenAI, verkündete im vergangenen Juni, dass «Superintelligenz» in greifbare Nähe gerückt sei und dass deswegen «die 2030er-Jahre in massgebender Hinsicht extrem verschieden sein werden von all dem, was die Menschheit bisher gekannt hat».
Marc Andreessen, ein führender Venture Capitalist im Silicon Valley, retweetet auf X Posts wie: «Jedermann weiss, dass wir nur noch ein paar Jahre haben, bis der Arbeitsmarkt vollständig zusammenbrechen und sich der Wohlstand bei den Eigentümern anhäufen wird.»
Die Investoren haben diesen Prophezeiungen bisher blind geglaubt. Trotz Handelskrieg haben sich die Aktienkurse nach einem Dämpfer Anfang April – als Trump seinen «Befreiungstag» verkündete – rasch wieder erholt, vor allem dank eines ungebrochenen Booms bei den Tech-Aktien.
An der Techbörse Nasdaq sind in den letzten Tagen die Kurse der «glorreichen Sieben» jedoch ins Stocken geraten. Laura Cooper von der globalen Investmentfirma Nuveen begründet dies in der «Financial Times» wie folgt: «Die unerschöpfliche Nachfrage und Kapazitäts-Engpässe haben die Kurse der Tech-Aktien in Rekord-Höhen getrieben. Jetzt stellen die Investoren diesen Trend infrage.»
Sie haben gute Gründe. Meta hat soeben einen Anstellungstopp für KI-Spezialisten bekannt gegeben. Eine Firmensprecherin begründete diesen Schritt damit, dass es jetzt darum gehe, «eine solide Grundlage für die Bemühungen um die Superintelligenz zu schaffen». Dabei war gerade Mark Zuckerberg in der jüngsten Vergangenheit mit einer besonders aggressiven Anstellung von KI-Spezialisten aufgefallen.
Bad News auch aus dem Hause Nvidia. China will den Kauf der begehrten Chips einschränken. Grund dafür ist eine tölpelhafte Äusserung des amerikanischen Handelsministers Howard Lutnick. Dieser hat auf CNBC erklärt: «Wir verkaufen ihnen (den Chinesen) nicht unsere beste Ware, nicht einmal unsere zweit-, ja nicht einmal unsere drittbeste.» China ist ein bedeutender Markt für Nvidia. Das Unternehmen konnte Donald Trump erst kürzlich die Erlaubnis abringen, weiterhin dorthin exportieren zu dürfen, allerdings mit der Auflage, 15 Prozent des Gewinns dem Staat abzuliefern.
Am meisten schockiert hat jedoch die Investoren die Lancierung der neusten Version aus dem Hause OpenAI, GPT-5. Angekündigt war es von Altman wie folgt: «Bei GPT-4 konnte man sich mit einem Universitäts-Studenten unterhalten. Bei GPT-5 spricht man mit einem Experten auf dem Niveau eines Doktoranden.»
GPT-5 enttäuscht rundum. Auf die Frage, wie die 50 US-Bundesstaaten heissen, kamen Antworten wie Tonnessee, Mississipo und West Wigina, und als jemand die Namen der Gründungsväter erfahren wollte, musste er erstaunt zur Kenntnis nehmen, dass sie Gearge Washington, John Quincy Adama und Thomason Jefferson hiessen.
Alex Hanna, ein Tech-Kritiker und Co-Autor des Buches «The AI Con» (Der AI-Betrug) erklärte denn auch in der «Los Angeles Times»: «Wir haben geglaubt, dass auch die Entwicklung der KI exponentiell erfolgen werde. Stattdessen sind wir jetzt gegen eine Wand gefahren.»
Der MIT-Ökonom und Bestseller-Autor Daron Acemoglu stellt auch die gehypten Fortschritte der Produktivität infrage. Er geht davon aus, dass der durch KI verursachte Produktivitätszuwachs in den nächsten zehn Jahren bestenfalls ein BIP-Wachstum von einem Prozent bewirken werde. Sollte Acemoglu Recht erhalten, lassen sich die getätigten Investitionen in keiner Art und Weise rechtfertigen.
Schlimmer noch: Der «Economist» stellt gar fest, dass diese Investitionen volkswirtschaftlich schädlich sind, denn sie bringen alle anderen in Schwierigkeiten: Die Strompreise sind 2025 in den USA um durchschnittlich sieben Prozent angestiegen und Hypothekarkredite sind für den Mittelstand unerschwinglich geworden. «Wer nicht nur den KI-Sektor betrachtet, der stellt fest, dass die übrige Volkswirtschaft dahin dümpelt», so der «Economist».
Nicht nur wirtschaftlich wird der KI-Boom angezweifelt. Die negativen kulturellen Folgen sind teilweise verheerend. Grok, die KI von Elon Musk, gibt rassistische Statements von sich und bezeichnet sich selbst als «MechHitler». Auch mehr als fragwürdige Experimente werden vermehrt gemacht, so beispielsweise ein Interview mit einem verstorbenen Teenager.
Die Prophezeiungen von unermesslichem Reichtum und dem Verlust der meisten Arbeitsplätze verwirren und verunsichern die Menschen zunehmend. Im «Atlantic» spricht Charlie Warzel deshalb von einer massenhaften Täuschung und fragt sich besorgt: «Was, wenn wir zunehmend in eine Wartestellung geraten und unsere Energie nicht mehr auf die wichtigen Probleme richten? Es wäre eine Tragödie, das Resultat einer Massen-Täuschung. Und was mir am meisten Angst macht, ist die Tatsache, dass dieses Szenario gar nicht so verrückt tönt.»
Das Grundproblem daran ist relativ einfach: KI versteht nicht, was etwas ist. Sie weiss zB nicht was ein Brot ist. Alles was ein large language model macht, ist mittels (durchaus beeindruckender) Mathematik analysieren, was sonst noch zu Brot passt. Das ist aber am Schluss ein Produkt aus Wahrscheinlichkeitsrechnung und Vektorgeometrie und nicht aus "echtem" Verständnis, wofür ein Begriff wirklich steht.
Das ist spannend und eröffnet viele Möglichkeiten, hat aber halt Grenzen.
Die Euphorie wächst und wächst bis zum Punkt wo die grosse Desillusion kommt. Dann geht es langsam und gemächlich weiter und diffundiert klammheimlich überall rein und ist plötzlich grösser als man je gedacht hätte.