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«Audio-Folter» – dieser Ton treibt TikToker (angeblich) in den Wahnsinn

«Audio-Folter» – dieser Ton treibt TikToker (angeblich) in den Wahnsinn

12.03.2023, 07:3912.03.2023, 14:09
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Es gibt Töne, die zerren an den Nerven. Doch es geht noch schlimmer. Hör dir mal den folgenden Sound an.

«The Endless Ocean – Shepard Tone», anhören auf eigenes Risiko!

Bei TikTok ist in Zusammenhang mit dem oben verlinkten Sound von «Audio-Folter» die Rede. Und im Begleittext zum YouTube-Video wird gewarnt, dass das Anhören der Töne Angstzustände und Panik auslösen könne.

Tatsächlich ist das Phänomen alles andere als neu, wie die amerikanische Wissenschaftsjournalistin Beth Skwarecki in einem Beitrag für Lifehacker schreibt. Vielmehr lässt sich das Phänomen bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen.

Die Geräusche, die TikToker als Folter bezeichnen und versuchen, sie möglichst lange auszuhalten, seien verschiedene Versionen dessen, was als Shepard-Ton bekannt ist.

Dabei handelt es sich um «eine Audio-Illusion», ein Track, dessen Tonhöhe immer höher und höher zu werden scheint, selbst wenn man ihn in einer Schleife abspielt.

Wie ist das möglich?

Das erstmals 1964 vom Psychologen Roger Shepard dokumentierte Phänomen der scheinbar unendlich aufsteigenden Tonhöhe ist schon in Kompositionen im 16. Jahrhundert verwendet worden. In wissenschaftlichen Abhandlungen ist von der «Zirkularität der Tonhöhe» die Rede. Es handelt sich um eine akustische Täuschung.

Beth Skwarecki beschreibt die Grundidee wie folgt:

«Mehrere Töne werden gleichzeitig gespielt, typischerweise eine Oktave voneinander entfernt. Jeder dieser Töne wird höher und höher – stell dir jeden als Musiker in einem Orchester vor, und sie spielen alle zusammen Tonleitern, einige eine Oktave höher als andere.»

Offensichtlich kann die Tonhöhe nicht unendlich ansteigen, denn es gibt physische Grenzen, wie hoch ein Instrument klingen und was das menschliche Ohr hören kann.

Da aber mehrere Töne (das heisst Sinuswellen) parallel ansteigen, folgt das Ohr dem Anstieg von einer Oktave zur nächsten und immer weiter, obwohl jedes einzelne Instrument im Loop nur eine Oktave spielt und dann wieder auf den Anfang zurücksetzt.

Damit dies als Endlosschleife wahrgenommen wird, sei ein weiterer Trick erforderlich, erklärt Beth:

«Um zu verhindern, dass es unser Gehirn versteht, wird der höchste Ton subtil ausgeblendet, wenn er seinen Zenit erreicht, und der tiefste eingeblendet.

Während die höheren Töne ausgeblendet werden, beginnt dein Gehirn, den Tönen in der Mitte mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Der Effekt: ein anhaltender Ton, der scheinbar ewig ansteigt.»

Das funktioniert übrigens auch mit einem fallenden Ton, wie das Beispiel des Shepard-Risset-Glissando zeigt:

Bitte anschnallen! 😉

Das Video ist übrigens eine fraktale Version von MC Eschers Kunstwerk «Circle Limit III», heisst es im Beschrieb.

Aber was hat das mit TikTok zu tun?

TikTok-User fordern sich gegenseitig heraus, den Shepard-Ton möglichst lange anzuhören. Stundenlang, oder gar Tage.

@seandreww Reply to @devanator1000 Watch Shepards Tone defeat me.. how long could you last? #challenges #fyp ♬ original sound - Sean Andrew
Dieser TikToker sagt, dass ihn der Shepard-Ton nach rund vier Stunden «geknackt» habe.

In den Teaser-Texten zu ihren Kurzvideos übertreiben sie, wie man das auch von anderen Social-Media-Plattformen kennt, und so wird etwa behauptet, dass der Soundtrack «dich buchstäblich in den Wahnsinn treiben wird».

Mit wohligem Gruseln heisst es, dass niemand in der Lage sei, die Töne länger zu hören, ohne verrückt zu werden. Manchmal werden auch Symptome wie Übelkeit oder Panikattacken als mögliche Nebenwirkungen genannt.

Das mag unangenehm sein. Und vereinzelt sollen die Töne auch so etwas wie Albträume ausgelöst haben.

Tatsächlich hat das aber wenig mit echter Folter zu tun, wie Beth Skwarecki betont: So setzte etwa der US-Geheimdienst CIA «einige der beliebtesten und kultigsten Songs Amerikas als Folterinstrument ein» und versuchte, Häftlinge mit pausenlos abgespielter lauter Musik zu brechen.

Dabei kamen Death-Metal- und Country-Stücke zum Einsatz, aber auch Hits von Bruce Springsteen.

Menschenrechtsverletzungen, die nichts brachten:

«All dieser Schmerz, dieses Leiden und die vorsätzliche Folter waren wertlos. CIA-Beamte stellten regelmässig die Foltertechniken infrage, und eine Untersuchung des US-Senats ergab, dass Folter nicht zu verwertbaren Informationen führte.»
Fazit des US-Magazins «Vox».quelle: vox.com

Quellen

(dsc)

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17 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Skunk42
12.03.2023 10:21registriert Februar 2022
Wahrscheinlich wurde in Dauerschleife vorgespielt, dass sie sich einen richtigen Job suchen sollen.
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Ribosom
12.03.2023 08:30registriert März 2019
Die Welt hat so viel schönes zu bieten und dann gibt es Menschen, die stundenlang TikTok Videos aufnehmen. Noch schlimmer finde ich die Leute, die sich das ganze noch anschauen. Tutorials sind ja noch ganz praktisch, da lernt man was. Aber für alles andere habe ich wenig Verständnis...
Und natürlich: Jeder kann machen, schauen, sagen was er will. Jeder kann seine Meinung haben.🤷‍♀️
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