Nach zwanzig Minuten voll mit verstörenden Wahrheiten rauft sich der Youtuber «MattsWhatItIs» mit hochrotem Kopf die Haare. «Ich wollte nicht emotional werden», sagt er zu sich selbst und den Zuschauern seines Videos: «Aber ich kann nicht glauben, dass diese Postings existieren.» Der junge US-Amerikaner hat gerade einen Weg auf YouTube gefunden, der ihn tief in eine Welt der Pädophilie führt.
Dabei spült der YouTube-Algorithmus Matts Video-Empfehlungen voll mit kinderpornografischen Inhalten. Und offenbart ein System, das innerhalb von Minuten für alle funktioniert, die ihr persönliches YouTube in eine Art «Soft-Kinder-Porno»-Plattform verwandeln wollen.
Matt liefert damit einen weiteren Beweis dafür, dass die Google-Tochter es offenbar nicht schafft, die Jüngsten unter ihren Usern vor Missbrauch zu schützen. Oder wie Matt es ausdrückt: «Wie kann es sein, dass so etwas in der Öffentlichkeit bereits seit zwei Jahren stattfindet und trotzdem nichts passiert? Ich will nichts mehr mit dieser Plattform zu tun haben.»
Wir bei watson haben Matts Recherche-Weg rekonstruiert und sind zu sehr ähnlichen Ergebnissen gelangt. Wir erstellten dazu nur einen neuen unbeschriebenen Google-Account und meldeten uns damit bei YouTube an.
Als nächsten suchten wir nach aktuellen Trend-Suchbegriffen wie etwa der «Bikini Haul». Dabei handelt es sich um Influencer-Videos, bei denen YouTuberinnen ihre neuen Bikinis für den Sommer vorstellen. Auch deutsche Video-Stars machen mit, ihre Videos sammeln zum Teil hunderttausende Klicks.
Nun lässt sich allein schon über dieses Format streiten – das wirkliche Problem taucht aber erst auf, wenn man sich über die «Empfohlenes Video»-Funktion weiterklickt. In zwei Schritten kamen wir bei der Recherche auf eine erste Seite, auf der ein offensichtlich minderjähriges Kind seinen Bikini zeigt. Noch einen Klick weiter ging es dann gar nicht länger um Badeanzüge, sondern um Kinder in verschiedensten Posen. Sämtliche vorgeschlagenen Videos zeigten auf einmal mehr oder weniger leicht bekleidete Kinder und Jugendliche etwa bei Gymnastik oder im Kinderzimmer.
Die Account-Namen der Uploader tragen dabei oft kryptische Namen, laufen in vielen Fällern auch in russischer Sprache. Es handelt sich eindeutig nicht um die Urheber der Videos selbst, sondern um sogenanntes «Republishing», bei dem fremde Inhalte durch anonyme Accounts einfach neu hochgeladen werden.
Wir haben diesen Vorgang auch mit der so genannten «Popsicle-Challenge» ausprobiert, bei der vor allem Jugendliche und Kinder in einer Mutprobe ein Wassereis vor laufender Kamera mit den Zähnen abbeissen. Auch hier sind wir in nur wenigen Klicks in jenem Bereich gelandet, in dem sich offenkundig pädophile User abreagieren.
Bereits Ende 2017 sorgte der YouTube-Algorithmus für Negativschlagzeilen. Damals hatte unter anderem der Blogger James Bridle auf ein Problem hingewiesen, das für heftige Kritik an der Video-Plattform sorgte.
Damals tauchten tausendfach und automatisch generierte Kinder-Videos mit verstörenden Inhalten auf YouTube auf. Sie hatten das Ziel, ohne viel Aufwand eine möglichst grosse Reichweite zu erzeugen, um mit der geschalteten Werbung Geld zu verdienen. Sie liefen unter Schlagwörtern, die Kinder bei der Suche nach ihren Lieblings-Cartoons wie «Spider Man» oder «Peppa Wutz» in die Suchmaske eingaben.
Das Problem: In den wahllos zusammengeschnittenen Videos tauchten auch immer wieder gewalttätige und sexuell anstössige Inhalte auf. Löschte YouTube einen Clip, uploadeten neue Accounts an anderer Stelle sofort neue Videos. Menschliche Mitarbeiter kommen da nicht mehr hinterher, selbst wenn User ein schlimmes Video melden.
Kritiker damals betonten, dass das Werbe-Konzept für die Klickzahlen von YouTube-Videos begünstigen würde, dass Kinder den Gewalt-Inhalten ausgesetzt würden.
Grundsätzlich ist der Besitz von Kinderpornographie in der Schweiz nach Art. 197 Ziff. 1 StGB strafbar.
Nun mögen die Online-Videos vieler der gezeigten Kinder auf YouTube keinen pornografischen Usprung haben. Ihre bewusste Wiedergabe durch völlig fremde Uploader, ihre Inszenierung in einem sexuellen Kontext und die beschriebenen «Time Stamps» auf bestimmte Posen sowie die Kommentare darunter lassen allerdings einen sexualisierten Kontext entstehen.
Dass der YouTube-Algorithmus einem bei Nachfrage dann Massen dieser Videos ausspuckt, ist mehr als problematisch.
Auch die aktuellen Kinder-Videos klicken teilweise hunderttausendfach. Wie schon im Fall der verstörenden Videos von 2017 verdienen auch hier Accounts Geld mit der von YouTube geschalteten Werbung.
Videomacher wie Matt versuchen schon seit einer Weile mit dem Hashtag #YouTubeWakeUp Aufmerksamkeit auf dieses offensichtliche Problem zu lenken.
YouTube selbst schreibt zwar auf seiner Website: «Wir verbieten streng und ausdrücklich Inhalte, die Minderjährige sexuell ausnutzen» und spricht vom Löschen der Accounts und Inhalte von Involvierten. Bei unserer Recherche fiel uns aber auf, dass YouTube bei einigen Videos lediglich die Kommentar-Funktion abgeschaltet hat. Einige Klicks weiter aber konnten wir ohne Probleme in die verstörenden Kommentare, Videos und «Time Stamps» hineinklicken.
In einer Stellungnahme gegenüber watson ging Google nicht direkt auf den Fall ein.
Man setze diese Richtlinien «mit Nachdruck» um: Dazu gehöre, Inhalte den zuständigen Behörden zu melden, sie von der Plattform zu entfernen und betroffene Accounts zu löschen. Google investiere viel, um das Problem anzugehen.
Paradoxerweise hat sich das Unternehmen gerade bei den bekannten YouTubern Mystic7, Trainer Tips und Marksman wegen dieses Engagements entschuldigen müssen. Deren Accounts hatte Google wegen angeblicher möglichen pädophilen Inhalten gelöscht. (BBC) Die YouTuber mit insgesamt rund 3.5 Millionen Followern hatten sich allerdigns lediglich beim »Pokémon Go"-Spielen gefilmt.
Dabei verwendeten sie das Wort «CP» – bei Pokémon bedeutet es «Combat Points», ausserhalb des Spiels kann es als Abkürzung für «Child Pornography» stehen. In diesem Fall reichten also zwei Buchstaben für Google aus, um die Accounts zu löschen.
Google könnte im Bereich von Kommentaren bessere Filter entwickeln. Warum Google dies nicht hinkriegt ist eine andere Frage.
Zuletzt aber:
Youtube hat zum allergrösseten Teil positive Inhalte, die Unterhalten, Ideen weitergeben, Erinnerungen erhalten und zu guten Diskussionen anregt!