Es ist ihm alles zu eng, zu klein. Das weisse Hemd, das sich am Bauch wölbt und das er am Hals aufgerissen hat. Der Raum, in dem er vor Journalisten aus ganz Europa steht, ein stickiger Ort mit viel zu wenig Sauerstoff, er deutet auf seine Stirn, darauf sammeln sich die Schweisstropfen. Und wohl auch das Land, das er regiert, Italien.
Wie er dieses umkrempeln wolle, nachdem so viele seiner Vorgänger daran gescheitert seien, will ein Journalist von Italiens Premier Matteo Renzi wissen. Renzis Pressesprecher versucht, die Frage wegzudrücken, doch Renzi winkt ab. Diese Antwort müsse er geben, es handele sich nämlich keineswegs um eine nationale Frage, sondern eine internationale, eine weltweite sozusagen.
Und dann erzählt der Premier von «Galaxien», von Revolutionen und Umbrüchen, beileibe nicht allein in Italien, sondern rund um den Globus. Er türmt Satz auf Satz, er spricht wie zu einem riesigen Fussballstadion statt zu einer kleinen Besuchergruppe in Italien, das an diesem Tag die EU-Ratspräsidentschaft feierlich für sechs Monate übernimmt.
Die Mitglieder von Renzis Entourage hängen an dessen Lippen. Seht her, was Super-Matteo wieder anstellt, scheinen ihre Blicke zu sagen. Als der Wortschwall zu Ende ist und Renzi wie ein Star nach seinem besten Hit von der Bühne tänzelt, salutieren sie. «Ciao, Boss», sagt der italienische Finanzminister ehrfürchtig.
Derlei Charisma hat Matteo Renzi, 39 Jahre jung, binnen weniger Jahre ins Bürgermeisteramt in Florenz, dann an die Spitze seiner sozialdemokratischen Partei in Italien und schliesslich ins Premieramt gebracht – und viele sagen, sogar an die Spitze Europas.
Beim EU-Gipfel Ende Juni widersprach der Youngster in der Runde der Staats-und Regierungschefs Kanzlerin Angela Merkel am keckesten, wenn diese an Regeln des Euro-Stabilitätspaktes erinnern wollte. Bundesbankern, die vor italienischem Ruckeln an diesem Pakt warnten, rief Renzi zu: «Mischt Euch nicht ein in unsere Politik. Europa gehört den Bürgern, nicht irgendwelchen Bankern.» Als er vorige Woche vor dem EU-Parlament in Strassburg sprach, drängelten sich Zuhörer wie bei Barack Obamas frühen Auftritten.
Renzi gilt als wichtigste Stimme, sobald es um einen neuen Wirtschaftskurs in Europa geht: «Wenn wir nur über Sparen und nicht auch über Wachstum und Investitionen reden, zerstören wir Europa», sagt er. Darauf möchte er nicht nur Merkel verpflichten, sondern auch den mutmasslichen neuen Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker.
Ein Mann will nach ganz oben in Europa, dabei ist er nicht mal ein halbes Jahr im Amt. In Berlin und Brüssel heisst es, man setze dennoch auf Renzi, da er so viel energischer wirke als Frankreichs Präsident Hollande, der natürliche deutsche Verbündete.
Diese Begabung, diese Leidenschaft sind jedoch zugleich Renzis Problem. Denn er weckt, darin Obama ganz ähnlich, falsche Erwartungen. Schliesslich strahlt Renzis Land viel matter als sein Landeschef. Die Schuldenlast Italiens liegt nach wie vor gigantisch hoch. Gerade hat die italienische Wettbewerbsbehörde dem eigenen Land «Vetternwirtschaft» vorgehalten – mit öffentlichen Ausgaben würden Interessengruppen gezielt ruhiggestellt und Ex-Staatsbetriebe wie Post oder Telekom genössen nach wie vor absurde Vergünstigungen.
Italienisches Regieren scheint zudem auch unter Renzi nach dem Prinzip Hoffnung zu funktionieren. So beschloss die Regierung bereits einen Steuerbonus für Geringverdiener. Das dafür nötige Geld steht aber noch nicht bereit. Es soll dank eines Steuerabkommens mit der Schweiz fliessen, das erst verhandelt wird.
Und so sehr Renzi in Europa hofiert wird, er kann Merkel dort nicht Paroli bieten. Gerede über eine neue Interpretation des Stabilitätspaktes sei «übertrieben», sagte der EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso bei einem Termin mit Renzi in Rom. Den Stabilitätspakt gelte es einzuhalten: Pacta sunt servanda könne ja als römische Erfindung gelten, sprach Barroso. Renzi lächelte gequält.
Er weiss ohnehin: Die Debatte um den Euro-Stabilitätspakt ist ein Nebenschauplatz, Italien muss erst mal daheim aufräumen. Renzi hat zwar junge Experten um sich geschart, die ihm ähneln – mehrsprachige gut ausgebildete Vertreter des neuen Italiens.
Doch die wahren Machthaber sitzen in Italien in den Ministerien, und dort ist der Widerstand gegen Strukturreformen enorm. «Italien zu reformieren, ist ein Höllenakt», sagt ein Experte aus Renzis Umfeld. Selbst kleine Erneuerungen wie die Beschränkung des Einflusses der Senatoren kosteten extrem viel Kraft.
Der Wundermann hat daher bereits zurückgeschaltet. Zu Beginn seiner Amtszeit versprach Renzi eine grosse Reform pro Monat. Nun beschwört er nur noch sein 1000 Tage langes Reformprogramm. Ausserdem wiegelt er Gerüchte über eine Führungsrolle in Europa ab. Renzi: «Derzeit gegen Deutschland zu kämpfen, wäre völlig falsch. Deutschland ist nicht unser Problem. Italien ist unser Problem.»
Und vor allem sein eigenes.