So. Die Schweiz hat also einen neuen Film, der mal wieder richtig gute Chancen auf viel Publikum hat. Weil er Spannung, Unterhaltung, Action und eine grosse Erzählung vereinigt. Weil er die Schweiz in ein Szenarium versetzt, das sonst nur Hollywood wagt: In die Apokalypse. Das jüngste Gericht. Das schliesslich richtet über diejenigen, die sich in der Schweiz ganz selbstgerecht am wohlsten fühlen. Mit der grössten Berechtigung zuhause.
Also. Gefährliche Dämpfe kriechen eines Tages aus den Felsspalten imposanter Innerschweizer Berge. Das Paranormale oder auch einfach das Klimakatastrophale bricht aus. Eine riesige Strudelwolke rottet sich am Himmel zusammen. 1537 Quadratmeter gross ist sie am Morgen, neun Mal grösser am Nachmittag. Vögel fallen tot vom Himmel, der Strom fällt aus, das Wasser versiegt, ein kleines Ballettmädchen wird unheimlich, eine Polizistin sieht einen Toten, ein Hund rennt über die Zürcher Hardbrücke. Alle Zeichen zeigen in Richtung Untergang. Schweiz-Untergang.
Der Chef einer Versicherungsgesellschaft dreht durch, weil er weiss, wenn sich diese Wolke austobt, geht seine Firma ohne staatliche Unterstützung bankrott. Young-Boys-Fans spinnen noch mehr als sonst. Ein Volk muss in die Luftschutzkeller, der Bund öffnet alle alten Reduits, und auf den Strassen sieht es bald aus wie in Danny Boyles Zombie-Film «28 Days Later». Nur ein paar utopistische Party-People mit Guy-Fawkes-Masken feiern weiter. Eine Frau träumt von Sex, während sich die Wolke entladet. Aus der Innerschweiz wird scharf geschossen, die EU macht die Grenzen dicht. Das volle Boot Schweiz kann sich nicht leeren, bloss hilflos kentern.
Zwei Regisseurinnen und acht Regisseure haben den Film «Heimatland» gemeinsam gedreht, ihr Durchschnittsalter ist 33, sie haben genug. «Wir wollen die Schweiz herausfordern mit diesem Film. Wir wollen nicht einfach abends beim Bier sitzen und darüber reden, was schief gelaufen ist. Wir sind Teil des Problems», sagt Jan Gassmann, einer der zehn. Liefern, nicht über das Leiden an der Heimat lafern.
Als sie vor vier Jahren mit der Arbeit begannen, konnten sie viele kommende Ereignisse noch gar nicht vorhersehen. Damals war gerade die Minarett-Initiative aktuell, sowas wie das Ja zur Masseneinwanderungs-Initiative vom 9. Februar 2014 war für sie noch gar nicht denkbar. Schon damals fühlten sie, dass sich die Schweiz in eine selbstgewählte Isolationshaft begibt. Ihr Rezept dagegen? Das Gegenteil der Isolation. Die Gemeinschaft. Auch wenn die sehr oft sehr unbequem wird.
«Die Amerikaner», sagt Co-Regisseurin Carmen Jaquier, «sind sehr stark darin, nur einen einzigen Helden zu zeigen, der alle rettet. Aber das ist nicht die gesellschaftliche Realität: Es gibt keine Einzelhelden, es gibt nur ein Kollektiv an Helden. So muss man heute arbeiten.» So arbeiten auch die zehn. Inhaltlich und formal.
Dass es sich dabei nicht um zehn zusammengeschnittene Kurzfilme handelt, verdankt sich ebenfalls dem Kollektiv, das auch gemeinsam beschloss, sich nicht nur einer Geschichte, sondern auch einer Ästhetik unterzuordnen. Drei Kameramänner haben alles gefilmt, ein Schnittmeister hat schliesslich alles in Form gebracht, viele kleine Darlings seien ihm dabei zum Opfer gefallen, sagen die Regisseure. Und zehn Egos. Es hat sich gelohnt.
Luzz