Zwischen zwei Wolkenkratzertürmen, zwischen zwei Felsnadeln, über tiefe Schluchten, über reissende Flüsse, zwischen zwei Bergbahngondeln oder einfach nur zwischen zwei Bäumen: Wo immer sich ein Seil spannen lässt, sind Slackliner häufig nicht weit.
Eine Slackline ist ein 2,5 bis 5 Zentimeter breites Gurt- oder Schlauchband. Mithilfe von Schlingen, Ratschen und Karabinern wird es zwischen zwei Fixpunkte gespannt, sodass man darauf balancieren kann. In der einfachen Variante «Slackline zwischen zwei Bäumen» ist der Aufwand gering, aber der Spass gross. Auch wenn man Anfänger zunächst nur fluchen hört, weil sie andauernd vom wackligen Band fliegen.
Der Ehrgeiz, nicht schon während des ersten zögerlichen Schritts gleich auf dem Boden zu landen, ist schnell geweckt. Gesellig ist der Sport auch, in der Gruppe will es dann bald jeder einmal probieren.
Für spektakuläre Bilder und Videos sorgen dagegen die zahlreichen Spielarten des Slacklining. Wie beispielsweise beim Highlining, wenn das Band Hunderte Meter über dem Boden gespannt ist und der Slackliner gänzlich ungesichert («free solo») darüber balanciert. Oder beim Longlining über Wasser: Alexander Schulz etwa, berühmter Slackliner aus Bayern, gelang es im vorigen Jahr, 271 Meter über die Helgoländer Binnenreede zu laufen.
Auch als Zusatzsportart wird Slacklining gern genutzt: Zum Klettern und Bouldern gehört es fast schon dazu. Aber auch Schneesportler nutzen den Sport, weil er zahlreiche Fähigkeiten schult: Koordination, Gleichgewicht, Reaktion, Körperbewusstsein, Konzentrationsvermögen und auch Muskelkraft. Der Österreicher Heinz Zak, einer der Pioniere der Slackline-Bewegung in Europa, hat es einmal so gesagt: «Dieses einfache Band bietet alles.»
Konzentrieren. Den nächsten Griff anvisieren. Rumpfmuskeln anspannen, Becken an die Wand drücken. Ist der Tritt stabil? Noch einmal tief ein- und ausatmen. Dann muss es zügig gehen, die Muskeln brennen schon: Hüfte eindrehen und nach oben schwingen, dabei kraftvoll mit dem Fuss abdrücken. Der Arm streckt sich, um Haaresbreite verfehlt die Hand den roten Griff. Fallen auf die weiche Matte. Pause. Nächster Versuch.
Bouldern ist Klettern in Absprunghöhe und deshalb ohne Seil und Sicherungsgeräte. Stattdessen fangen Weichbodenmatten einen Sturz auf. Das ist die knappe Erklärung für den Sport, der oft für grossen Andrang in den Kletterhallen sorgt. Höhenangst? Beim Bouldern weniger ein Problem: Die künstlichen Wände mit bunten Griffen und Tritten aus Kunstharz sind nur bis zu fünf Meter hoch.
«Bouldern ist eine Art physisches Schach», sagt Udo Neumann, der unter anderem die amtierende Weltmeisterin Juliane Wurm trainiert. Von «Synchronisation der mentalen und körperlichen Existenz» spricht Neumann. Tatsächlich trainiert das Bouldern viel mehr als Kraft. Es fordert ein gutes Körpergefühl, Koordinationsfähigkeit, Gleichgewichtssinn, Konzentration und Achtsamkeit.
Nicht nur in Kletterhallen, wo die Griffe und Tritte zu kniffligen Routen an die Wand geschraubt werden – auf der ganzen Welt findet man das, was in der Szene als «Boulderproblem» bezeichnet wird. Es kann Stunden, Tage oder Monate dauern, bis die Bewegungen eines geübten Boulderers so sitzen, dass er die Route durchsteigen kann.
Ob im Frankenjura, in der französischen Region um Fontainebleau oder im kalifornischen Yosemite-Nationalpark: Dort stehen Felsbrocken, auf Englisch «Boulder», deren natürliche Strukturen Routen vorzeichnen. Die meisten von ihnen tragen Namen, manche davon sind berühmt, zum Beispiel «Dreamtime», «Unendliche Geschichte» oder «Midnight Lightning». Die 14-jährige Ashima Shiraishi, die derzeit als Boulder-Wunder aus New York von sich reden macht, sagt: «Es ist ein Sport, bei dem man am Fels irgendwie tanzt.»
Bouldern ist aber auch ein hervorragender Breitensport für Jung wie Alt, der genetisch programmiert zu sein scheint: «Kaum ein Kind, das nicht klettern möchte», sagt Neumann. Wissenschaftler der Psychiatrischen Universitätsklinik Erlangen sind zudem überzeugt davon, dass Bouldern einen grossen Effekt auf die Stimmung hat und sogar bei der Therapie von Depressionen helfen kann.
Wie gut, versuchen die Forscher derzeit in einer Patientenstudie herauszufinden. Die ersten Ergebnisse sind vielversprechend: Die Ängstlichkeit der Probanden nimmt ab, die Patienten können sich besser als vorher konzentrieren, die depressiven Symptome werden schwächer.
Dass Bouldern die Stimmung heben kann und motiviert, erfährt man schon als Neuling: Wer sich zum ersten Mal an die Wand wagt, hat schnell erste Erfolgserlebnisse. Und doch bleibt Bouldern immer eine Herausforderung. «Wir können unsere Kletterkunst verfeinern, Perfektion werden wir nie erreichen», sagt Neumann. «Genau das ist der Zauber des Boulderns.»