Gesellschaft & Politik
Zürich

Die neue Wunderwaffe der Polizei sagt Verbrechen voraus

Einbrecher haben es immer schwerer.
Einbrecher haben es immer schwerer.Bild: Shutterstock
In Zürich, Aargau und Basel-Land im Einsatz

Die neue Wunderwaffe der Polizei sagt Verbrechen voraus

Die Behörden in Zürich, Aargau und Basel-Land rüsten auf: Dank der Software Precobs können sie die Zahl der Einbrüche deutlich reduzieren.
01.03.2015, 13:5801.03.2015, 14:30
Yannick Nock / Schweiz am Sonntag
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Ein Artikel von Schweiz am Sonntag
Schweiz am Sonntag

Es klingt wie Science-Fiction: Eine Software sagt Verbrechen voraus, bevor sie begangen werden. Was sonst nur in Hollywoodfilmen vorkommt, ist in Zürich, Baselland und im Aargau seit kurzem Realität. Polizisten jagen Einbrecher, die ihre Tat erst noch begehen werden – mit erstaunlichem Erfolg. Dort, wo das System zum Einsatz kommt, sinkt die Zahl der Einbrüche um durchschnittlich 30 Prozent. 

Möglich macht das die Software «Precobs», das Pre Crime Observation System. Es berechnet die Wahrscheinlichkeit von künftigen Straftaten, basierend auf Delikten der vergangenen fünf Jahre. Nach Analyse von Ort, Zeit, Tathergang und Beute spuckt das System innert weniger Minuten eine Prognose aus, wo in den nächsten Tagen mit hoher Wahrscheinlichkeit Einbrecher ihr Unwesen treiben. Die Polizei geht in diesen Gebieten dann vermehrt auf Streife. 

«Die bisherigen Erfahrungen sind durchweg positiv»
Meinrad Stöcklin, Polizei BL

Zürich war zuerst, die anderen ziehen nach

Die Stadtpolizei Zürich führte das System im vergangenen November weltweit als erstes Korps fix ein. Jetzt ziehen weitere Schweizer Polizeieinheiten nach. Baselland hat erst vor wenigen Tagen beschlossen, Precobs definitiv einzuführen, wie Polizeisprecher Meinrad Stöcklin bestätigt. Seit September wurde das System getestet. «Die bisherigen Erfahrungen sind durchweg positiv», sagt er. Künftig wird Precobs wichtiger Bestandteil der täglichen Polizeiarbeit in Baselland sein. Auch die Kantonspolizei Aargau testet die Software seit kurzer Zeit und kommt zu einem ähnlichen Schluss: «Das System hat mehrfach erstaunlich genaue Prognosen geliefert», sagt Mediensprecher Bernhard Graser. Precobs werde definitiv helfen, die Einbruchszahlen zu senken, ist er überzeugt. Die Evaluation endet im April. 

Weitere Kantone dürften die neue Wunderwaffe im Kampf gegen Einbrecher bald testen. Das Interesse sei gross, sagt Marco Bisa, Sprecher der Stadtpolizei Zürich. Den Kollegen aus Bern, Genf und dem Thurgau hätten sie das System bereits präsentiert. Weitere haben sich angekündigt: «Demnächst werden Polizisten aus Zug und dem Tessin zu uns kommen.» 

Rückgang von 30 Prozent

Zürich ist Pionier , wenn es um Predictive Policing geht, die Verbrechensvorhersage. Auch dank Precobs ist die Zahl der Einbrüche in der Stadt Zürich 2014 markant gesunken, auf 3265. Das ist der tiefste Stand seit sechs Jahren. Über die gesamte Stadt gesehen, beträgt der Rückgang 7 Prozent, in den von Precobs prognostizierten Gebieten sind es sogar 30 Prozent. Knapp 100'000 Franken hat die Einführung gekostet. 

«Unser Vorgehen hat nichts mit dem berühmten Blick in die Glaskugel zu tun», sagt Michael Schweer von der Precobs-Herstellerfirma im deutschen Oberhausen. «Das ist knallharte Statistik.» Menschen würden nach Mustern handeln, was sie berechenbar mache. Einbrecher kehren oft wenige Tage nach der Tat ins gleiche Quartier zurück. Schliesslich haben sie den Tatort um die gleiche Zeit schon einmal leer aufgefunden. Diese Muster sucht der Computer in grossen Datenmengen, den Big Data. 

In den von Precobs prognostizierten Gebieten beträgt der Rückgang der Einbrüche 30 Prozent.

Trotz allem umstritten

Das System ist trotz der Erfolge umstritten. Kriminologen warnen vor einem naiven Glauben an die Allmacht der Computer. Ausserdem fallen manche Anbieter der Predictive-Police-Software mit aggressivem Marketing auf. Das gilt besonders in den USA. Die privaten Firmen wollen ihr Programm an den Mann bringen – in diesem Fall an die Polizeibehörden. Umstritten bleiben auch die eingespeisten Polizeiinformationen. Datenschützer sind besorgt, dass zu viel gespeichert wird. Dieses Argument lässt Michael Schweer für Precobs nicht gelten, da ihre Firma keine personenbezogenen Daten verwendet. 

Doch wie gefährlich ist Precobs für die Nachbarstädte? Wandern Einbrecher einfach in nahe Gemeinden ab? Nein, sagt Schweer. Diesen möglichen Verdrängungseffekt hätten sie intensiv geprüft. Er lasse sich bisher nicht nachweisen. Geht es nach Schweer, erledigt sich diese Frage ohnehin von selbst. Er rechnet damit, dass in zehn Jahren alle Polizeibehörden mit einer solchen Vorhersagesoftware arbeiten. 

Mittlerweile interessieren sich auch Italien, die Türkei und einzelne Benelux-Staaten für Precobs. Und auch die Schweiz wird wohl weiter eher auf- als abrüsten. Am 26. März stellen die Erfinder und die Stadtpolizei Zürich das System am Schweizer Polizei-Informatik-Kongress in Bern vor. Das wird Precobs in der Schweiz noch bekannter machen. 

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