Der Nationalrat will die Heiratsstrafe abschaffen. Er lehnt zwar die Initiative der CVP ab, hat sich gestern aber für einen Gegenentwurf ausgesprochen. Dieser unterscheidet sich von der Initiative in zwei Punkten: Erstens verzichtet er darauf, die Ehe als «auf Dauer angelegte und gesetzlich geregelte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau» in der Verfassung zu definieren. Zweitens lässt er die Option offen, dass Ehepartner individuell besteuert werden können.
Die CVP-Initiative verlangt zwingend, dass Ehepaare steuerlich als wirtschaftliche Gemeinschaft betrachtet werden. Sprich, dass sie auch weiterhin nur eine Steuererklärung pro Jahr ausfüllen müssen. «Eine Steuererklärung macht schon genügend Kopfschmerzen», sagte CVP-Präsident Christophe Darbellay im Rat.
Stimmt auch der Ständerat dem Gegenvorschlag zu, kommt es zur speziellen Situation, dass das Volk über eine Volksinitiative sowie einen Gegenvorschlag befinden muss, die beide dasselbe Ziel haben: die Abschaffung der Heiratsstrafe. Die Befürworter des Gegenentwurfs setzen aber auf die Individualbesteuerung, weil sie unabhängig vom Zivilstand erfolgt. Die Heiratsstrafe wäre mit einem Federstrich beseitigt, sagte Kommissionssprecher Andrea Caroni (FDP/AR). Mit allen anderen Modellen werde es immer eine Diskriminierung geben: für oder gegen die Ehe, für oder gegen das Konkubinat.
In der Debatte waren denn auch kritische Töne nicht zu überhöhen, die das Problem der Heiratsstrafe eher als klein taxieren. Kathrin Bertschy (GLP) meinte gar, der Begriff «Konkubinatsstrafe» wäre zutreffender. Nur hat das Bundesgericht eben noch nie festgestellt, wo die verfassungswidrige Mehrbelastung von Konkubinatspaaren liegt – im Gegensatz zu den Ehepaaren.
Dieser Entscheid des Bundesgerichts datiert aus dem Jahr 1984. Die Befürworter der CVP-Initiative beklagten gestern, dass das Problem 30 Jahre später noch immer nicht gelöst ist.
Das Grundproblem ist tatsächlich immer noch dasselbe: Werden die Einkommen der Ehepartner zusammengerechnet, zahlen sie wegen der Steuerprogression mehr als Konkubinatspaare mit dem gleichen Einkommen. Allerdings haben Bund und Kantone in den letzten Jahren einiges unternommen, um den Effekt der Heiratsstrafe zu mildern.
So haben alle Kantone ein Korrektiv für Ehepaare eingeführt. In den meisten Kantonen ist daraus ein eigentlicher Ehebonus entstanden. Zu diesem Schluss kommt eine Publikation der eidgenössischen Steuerverwaltung. Demnach kann nur sehr punktuell von einer Heiratsstrafe gesprochen werden. Etwa in den Kantonen Zürich und Luzern bei hohen sowie Waadt und Obwalden bei niedrigen Einkommen.
Allerdings liegt der Teufel im Detail. Die Auswertung zeigt, dass die Frage der Benachteiligung nicht alleine von der Höhe der Einkommen abhängig ist, sondern vor allem in welchem Umfang die beiden Ehepartner zum Gesamteinkommen beitragen. Fast in sämtlichen Kantonen sind jene Ehepaare von der Heiratsstrafe betroffen, in denen beide Partner gleich viel verdienen. Paare mit einer klassischen Rollenteilung kommen im Vergleich mit den Konkubinatspaaren besser weg.
Der Bund hat mit den Abzügen für Verheiratete und Doppelverdiener das Problem entschärft. Gemäss dem Bundesrat sind noch rund 80' 000 Ehepaare gegenüber Konkubinatspaaren schlechtergestellt, das sind weniger als fünf Prozent. Allerdings zeigt sich auch hier: Weitaus am stärksten benachteiligt sind Doppelverdiener mit gleich hohen Einkommen. Trägt ein Partner 90 Prozent zum Familieneinkommen bei, setzt die Benachteiligung gegenüber Konkubinatspaaren erst bei 330'000 Franken ein. Die Erklärung dafür ist simpel: Der Zweiverdienerabzug sorgt in dieser Konstellation dafür, dass das zweite Einkommen steuerlich irrelevant ist.
Kurzum: Die Heiratsstrafe existiert, aber in weit geringerem Ausmass, als die öffentliche und jahrelange Polemik vermuten lässt. Und, wie es Kathrin Bertschy zusammenfasste: «Es ist nicht die Heirat, die benachteiligt, sondern die egalitäre Aufteilung der Erwerbsarbeit zwischen den Partnern.»