Die Nerven liegen blank bei vielen Kurden in der Türkei. Am Dienstag macht die Nachricht die Runde, die türkische Luftwaffe habe Bomben auf Stellungen der verbotenen PKK abgeworfen. Es sei, berichtet die «Hürriyet», der erste Angriff dieser Art seit dem Waffenstillstand zwischen der PKK und dem türkischen Staat Ende 2012. Seit 2005 schon führen beide Seiten im Hintergrund Friedensverhandlungen.
Turkish jets bomb targets in southeast Turkey where outlawed Kurdistan Workers' Party (PKK) is based, security sources say
— BBC Breaking News (@BBCBreaking) 14. Oktober 2014
Das Bemühen um Frieden, das wichtigste politische Projekt der Regierung seit Jahren, dürfte mit den Bombardements gescheitert sein. Aus Reihen von PKK-Vertretern ist zu hören, es sei jetzt an der Zeit zu handeln und sich zu wehren. Schon am Wochenende hatte der PKK-Vize Cemil Bayik gedroht, die Friedensgespräche abzubrechen und zum bewaffneten Kampf zurückzukehren. Er ist faktisch der Chef der Organisation und hat sein Hauptquartier in den Kandilbergen im irakischen Kurdistan aufgeschlagen.
Als Grund nannte Bayik die Untätigkeit der Türkei im Kampf um die von Kurden bewohnte syrische Grenzstadt Kobane. Sie wird seit Wochen von Terroristen des Islamischen Staates (IS) belagert, immer wieder versuchen sie, die Stadt zu erobern. Sollte ihnen das gelingen, droht den dort verbliebenen Zivilisten sowie den kurdischen Kämpfern ein Massaker. Die internationale Anti-IS-Koalition versucht die Einnahme mit Luftschlägen zu verhindern und die IS-Milizen zurückzudrängen, bislang vergeblich.
Die Türkei hat derweil Panzereinheiten an der Grenze stationiert, greift aber nicht ins Geschehen ein – nach Erkenntnis westlicher Geheimdienste aus Furcht vor Terror, den der IS angedroht hat. Die Kurden erwarten keine militärische Hilfe von der Türkei, sie kritisieren aber,
Bei Demonstrationen gegen diese Politik von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und Premierminister Ahmet Davutoglu gab es in mehreren Städten im Südosten der Türkei gewaltsame Auseinandersetzungen. Zum einen zwischen Polizei und Kurden, zum anderen aber auch zwischen PKK-Anhängern und der türkischen radikalislamischen Hisbollah. In sechs Provinzen wurden Ausgangssperren verhängt, mindestens 41 Menschen kamen bisher ums Leben. Autos und Häuser brannten, Läden wurden geplündert, auf den Strassen fuhren gepanzerte Fahrzeuge, wurde geschossen und gekämpft.
Sollten die Schlächter des IS Kobane am Ende einnehmen, wäre dies nicht nur ein weltweit sichtbarer Propagandaerfolg für sie. Es dürfte auch eine Eskalation der Gewalt in der Türkei zur Folge haben – einerseits zwischen Kurden und staatlichen Kräften, andererseits zwischen Kurden und Islamisten.
Derzeit ist es Abdullah Öcalan, der seine Anhänger immer wieder ermahnt, nicht zu den Waffen zu greifen und den Friedensprozess nicht zu gefährden. Ausgerechnet jener Mann also, der ab 1984 Krieg gegen die Türkei führte – mit dem Ziel eines eigenen Kurdenstaates. Der zu lebenslanger Haft verurteilte Chef der PKK agiert aus seiner Gefängniszelle heraus. Erst in Einzelhaft gab er seine früheren Pläne auf, formte die einst marxistisch-leninistische PKK in eine basisdemokratische Organisation um und fordert nun grössere Autonomie für die Kurden.
Erdogan trieb den Friedensprozess trotz erheblicher Widerstände von Nationalisten voran. Er sorgte dafür, dass auch die kurdischen Gebiete im Südosten vom wirtschaftlichen Boom profitierten, dass dort neue Strassen, Gebäude, Strom-, Wasser- und Gasnetze gebaut wurden. Zum Dank wählten viele Kurden Erdogan und seine AKP, die damit der HDP, dem politischen Arm der PKK, in kurdischem Gebiet Konkurrenz machte.
Doch die Sympathien für die AKP unter den Kurden dürften verflogen sein. Auch Erdogans Bemühungen um Annäherung sind vorerst beendet. Kürzlich erst erklärte er, er sehe «keinen Unterschied zwischen PKK und IS» – eine Ansicht, die viele Türken teilen. In Internetforen und in sozialen Medien wird seit Wochen ein erbitterter Wortkrieg geführt und der PKK vorgehalten, immer noch eine Terrororganisation und verantwortlich für den Tod von mehr als 45.000 Menschen zu sein.
Kurden wiederum werfen der türkischen Regierung vor, mit IS gemeinsame Sache zu machen – nicht nur, um Syriens Präsidenten Baschar al-Assad zu stürzen, sondern auch um die Kurden zu vernichten.