Es herrschte ordentlich Aufregung am letzten Sonntag im Hotel Holiday Inn in St. Petersburg, wenn man der «Moscow Times» glauben darf. Sicher ist das nicht, denn das Blatt arbeitet mit der US-amerikanischen «International Herald Tribune» zusammen, die jetzt «International New York Times» heisst und bekanntlich wie das ganze Unternehmen der US-Regierung nahe steht. Aber die Petersburger Geschichte ist wohl doch mehr als eine Anekdote aus dem amerikanischen Propaganda-Arsenal.
Es scheint, so die «Moscow Times», dass die Behörden von St. Petersburg – Wladimir Putins Geburtsstadt – keinen rechten Gefallen daran fanden, dass eine Ansprache von Michail Chodorkowski in das feine Hotel übertragen werden sollte, schreibt Ivan Nechepurenko in dem Blatt. Chodorkowski ist bekanntlich ein scharfer Kritiker von Wladimir Putin und mehr noch: Er arbeitet systematisch an Putins Ablösung als Staatspräsident.
Chodorkowski, der bekanntlich mit seiner Familie in der Schweiz lebt, hat das vor einigen Tagen wieder in einem Gespräch mit den «Sternstunden» des Schweizer Fernsehens SRF öffentlich erklärt. Am gleichen Tag, an dem das Schweizer Gespräch ausgestrahlt wurde (die «Sternstunden» werden einige Tage vor der Ausstrahlung aufgezeichnet), hielt der frühere Oligarch und heutige Oppositionelle seine Ansprache via Videolink nach St. Petersburg.
Schon während der technischen Vorbereitungen im amerikanischen Hotel in der russischen Zarenstadt kamen mehrere Polizisten in den Konferenzraum, um nach Drogen zu suchen, allerdings ohne fündig zu werden. Später meldeten sie eine Bombendrohung und forderten die Teilnehmer der Konferenz auf, den Saal zu verlassen. Da aber die Polizisten auf Nachfrage erklärten, sie würden den Saal nicht räumen, entschlossen sich Chodorkowskis Anhänger, trotz der angeblichen Gefahr im Hotel zu bleiben.
«Unser Ziel ist, zu zeigen, dass es eine Alternative gibt zum gegenwärtigen Regime», erklärte Chodorkowski, der wegen angeblicher Steuervergehen zehn Jahre in russischen Gefängnissen verbrachte und kurz vor den Olympischen Spielen in Sotschi freigelassen worden war. «Russland steckt bereits in einer Krise, und das Regime wird wegen dieser Krise zweifellos fallen. Das Ergebnis muss ein demokratisches Russland sein.»
Die Botschaft bekam den Applaus der Anhänger des neuen russischen Oppositionsführers, der sich mittlerweile bereit erklärt, auf einem friedlichen Weg zu demokratischen Wahlen eine Führungsrolle zu spielen. Die Botschaft kam durch, obwohl pünktlich zu Beginn der Veranstaltung im ganzen Holiday Inn der Strom ausfiel. Denn die Organisatoren hatten offenbar mit einem solchen Zwischenfall gerechnet und selber Batterien mitgebracht.
Die Ladung reichte aus für eine Ansprache mit anschliessender Diskussion, bei der sich laut «Moscow Times» bei den anwesenden Oppositionellen Einigkeit über das Ziel, aber deutliche Meinungsunterschiede über die Chancen einer friedlichen Revolution zeigten.
Die Konferenz dauerte rund anderthalb Stunden und ging zu Ende, als die Batterien leer waren. Leidtragende waren lediglich, so der Bericht, einige Touristengruppen, die während des mutmasslich staatlich verordneten Stromausfalls nicht einchecken konnten.
Themenbezogene Interessen (-bindung) der Autorin/des Autors: Keine