Elisabeta aus Donezk kann den Sinn hinter dem Kreuzchen auf ihrem Wahlzettel für die 19 Präsidentschaftskandidaten nicht erkennen. «Die Ukraine ist heute ein anderes Land, warum sollten wir also an dieser Wahl teilnehmen?», fragt die Frau aus der ostukrainischen Grossstadt. Am Sonntag geht es eigentlich darum, einen neuen Präsidenten zu bestimmen – allerdings ist das in dem von prorussischen Separatisten dominierten Osten vielerorts unmöglich. Die Präsidentschaftswahl interessiert Elisabeta ohnehin nicht: «Das Ergebnis ist egal, es betrifft uns heute nicht mehr.»
Wie Elisabeta denken viele in Donezk, einer Stadt, deren Einwohner sich grösstenteils wieder dem mächtigen Nachbarn Russland anschliessen würden. Und ihre Haltung passt zu einer Volksabstimmung, bei der die meisten Wahllokale gar nicht geöffnet haben. Denn in den beiden ostukrainischen Regionen Donezk und Lugansk sind die meisten örtlichen Wahlkommissionen fest in der Hand von Separatisten – und die spotten bloss über den Plan der Zentralregierung in Kiew, das gespaltene Land durch die Wahl eines neuen Staatsoberhaupts zu befrieden.
In Lugansk waren am Sonntag nach offiziellen Angaben bloss in zwei von zwölf Bezirken die Wahllokale geöffnet. Und auch in Donezk lagen die Strassen verwaist, von hektischer Betriebsamkeit keine Spur. Die Türen des menschenleeren Wahlbüros Nummer 7 etwa blieben an diesem Tag versperrt, an der Tür fehlte jeder Hinweis auf eine Wahl. Vor zwei Wochen hatte sich hier noch eine Menschenmenge versammelt, um in einem Referendum für die Unabhängigkeit der Region zu stimmen.
VOTES IN UKRAINE: separatists in #Donetsk #Ukraine seized ballot boxes and turned it into trash bins. pic.twitter.com/InDE7tixIZ
— Jerry Liet (@jerryliet) 25. Mai 2014
Українські дівчата не тільки найкрасивіші, а й найсвідоміші! #вибори2014 #выборы2014 #UkraineVotes #Украина #Україна pic.twitter.com/0EqnsYZH6v
— Телеканал «Україна» (@kanalukraine) 25. Mai 2014
Die prorussischen Rebellen, die weite Teile der Ostukraine kontrollieren und sich seit Wochen blutige Kämpfe mit der Regierungsarmee liefern, liessen im Vorfeld keinen Zweifel daran, dass sie die aufgestellten Präsidentschaftskandidaten für unwählbar halten – und den gestürzten Staatschef Viktor Janukowitsch weiterhin für ihren legitimen Präsidenten. Nicht nach Brüssel, sondern nach Moskau sollte sich die Ukraine ihrer Meinung nach orientieren. Oder gleich der Russischen Föderation beitreten.
Viktor Podkoiko hat trotzdem «für die Zukunft der Ukraine und für Europa gestimmt». In seiner Heimatstadt Dobropillja in der Region Donezk ist er damit in der Minderheit. «Wir brauchen die Russen nicht», sagt er. Von den Drohungen der Separatisten, die Wahl notfalls «mit Gewalt» zu sabotieren, liess er sich nicht abschrecken. Genauso wenig wie Tetjana Schapowalowa, die Leiterin des Wahlzentrums in Dobropillja. «Dass wir heute alle hier sind, zeigt doch, dass wir keine Angst haben», sagt sie, während nebenan vorwiegend Rentner ihr Kreuzchen machen. Natalja Filatowa hat dem haushohen Favoriten Petro Poroschenko ihre Stimme geschenkt – «weil er die besten Chancen hat, schon im ersten Wahlgang zu gewinnen». Sie habe sich zur Stimmabgabe «verpflichtet gefühlt, wo wir so etwas in unserem Ort organisiert bekommen».
Weniger Glück hatte eine Hausfrau namens Raissa aus Kalininska, die dort vor den verschlossenen Türen einer Schule stand, in der sie eigentlich ihre Stimme abgeben wollte. «Wir sind dann zum Flughafen gefahren, weil es hiess, dort könnten wir wählen», erzählt Raissa. Das entpuppte sich aber als Fehlinformation, ihre Enttäuschung sei nun schier grenzenlos. «Wir können nicht wählen, da möchte man heulen.» Dabei habe sie doch nur einen Wunsch: «Ich möchte für den Wandel stimmen, weil ich die Ukraine liebe.» (dhr/sda/afp)