Das Linksbündnis Syriza hat bei der Parlamentswahl in Griechenland Prognosen zufolge mit gewaltigem Vorsprung gesiegt. Die Partei von Alexis Tsipras erreicht womöglich sogar die absolute Mehrheit. Die bislang regierenden Konservativen von Regierungschef Antonis Samaras belegen mit lediglich 23 bis 27 Prozent nur Platz zwei. (Einzelheiten zum Wahlergebnis finden Sie hier.) Was kommt nun auf Griechenland zu? Spiegel Online gibt die wichtigsten Antworten.
Alexis Tsipras will ausdrücklich keinen Austritt aus dem Euro. Er will jedoch das Sparprogramm lockern und bei den internationalen Gläubigern einen Schuldenerlass durchsetzen. Sollte es dabei zu keiner Einigung kommen, könnte Griechenland im äussersten Fall gezwungen werden, aus der Eurozone auszutreten («Grexit»). Die Euro-Finanzminister wollen bereits an diesem Montag über den weiteren Weg des Krisenlandes sprechen – auch wenn konkrete Beschlüsse noch nicht geplant sind.
Das ist noch nicht sicher. Wenn sich die Prognosen bestätigen, hat Tsipras zwar einen historischen Sieg für die Linke geholt. Genauere Ergebnisse wird es für Syriza und die anderen grossen Parteien aber erst gegen 21.30 Uhr geben. Welche kleineren Parteien es über die in Griechenland gültige Drei-Prozent-Hürde geschafft haben, wird sogar erst am frühen Montagmorgen bekannt. Je weniger Parteien es ins Parlament schaffen, umso weniger Stimmen bräuchte Syriza, um alleine zu regieren.
Ob Syriza die absolute Mehrheit der 300 Parlamentssitze erreicht, ist derzeit noch offen – obwohl die Partei als Sieger einen grosszügigen Bonus von 50 Sitzen erhält. Nun muss Tsipras Verbündete finden – was nicht einfach wird. Denn er selbst hat angekündigt, keine Koalition mit den bisherigen Regierungsparteien Neue Demokratie, Pasok sowie der Pasok-Abspaltung von Ex-Premier Giorgos Papandreou bilden zu wollen. Damit bleiben ihm nur die rechtspopulistischen Unabhängigen Griechen sowie die Kommunisten als Partner. Letztere wollen aber Syriza nicht unterstützen. Deshalb könnte Tsipras versucht sein, über Neuwahlen eine klarere Mehrheit zu bekommen.
Am Montag bekommt Tsipras als Parteichef mit den meisten Stimmen ein Mandat des Staatspräsidenten, um Koalitionspartner zu suchen. Falls ihm das innerhalb von drei Tagen gelingt, würde die neue Regierung schon am 28. Januar eingeschworen. Andernfalls bekommt Neue Demokratie als zweitstärkste Kraft ihre Chance, gefolgt vom Drittplatzierten – nach jetzigem Stand die rechtsextreme Goldene Morgenröte oder der Fluss.
Das Parlament muss sich bis zum 5. Februar konstituieren. Sollte es bis dahin keine Regierungsmehrheit geben, muss der Präsident es auflösen und Neuwahlen einberufen – wie zuletzt im Mai 2012. Zuvor dürfte das Parlament aber versuchen, einen neuen Staatspräsidenten zu wählen. Die gescheiterte Kür des konservativen Präsidentenkandidaten Stavros Dimas war der Grund für die vorgezogene Parlamentswahl an diesem Sonntag.
Unter bestimmten Umständen könnte Tsipras sogar mit lediglich 120 Stimmen eine neue Regierung bilden. Und zwar, wenn die übrigen Parteien aus Sorge um die Stabilität des Landes nochmalige Neuwahlen verhindern wollen. Sie müssten dafür bei der Wahl von Tsipras zum Regierungschef geschlossen den Parlamentssaal verlassen – ihre Stimmen würden nicht gezählt.
Das Linksbündnis hat bereits zwei Gesetze vorbereitet, die unmittelbar die «humanitäre Krise» des Landes lösen sollen: Zum einen sollen arme Familien wieder mehr finanzielle Unterstützung für Elektrizität und Wohnkosten erhalten. Zum anderen will Syriza verhindern, dass jemand aus Geldmangel sein Haus verliert. Zudem will Tsipras in seiner ersten Parlamentsansprache die Wiedereröffnung des Staatsrundfunks ERT verkünden, den Samaras in einer besonders umstrittenen Entscheidung schliessen liess.
Die erste Auslandsreise von Tsipras soll nicht nach Brüssel oder Berlin, sondern ins ebenfalls von der Krise getroffene Zypern führen. Ausserdem hat er angekündigt, die Troika der internationalen Geldgeber nach Hause zu schicken – nachdem er ihnen zum Abschied griechischen Kaffee servieren werde. Nach Tipras' Ansicht sollte Griechenland nicht mit Mittelsmännern verhandeln, sondern nur direkt mit seinen Gläubigern.
Das Wahlergebnis hätte deutlich anders aussehen können, wenn die Regierung nicht eine neue Grundstückssteuer eingeführt hätte. Wahlforschern zufolge verdankt Syriza seinen Vorsprung vor allem Wählern, die aus Wut über die Steuer von Nea Dimokratia zu dem Linksbündnis wechselten. Syriza will die Steuer ebenso wie viele andere Entscheidungen der Samaras-Regierung rückgängig machen.
Geschadet hat den Konservativen wohl auch eine Angstkampagne. Wenig hilfreich war zudem, dass Samaras vor der letzten Wahl – so wie jetzt Tsipras – ein Ende des Sparkurses angekündigt hatte, dieses Versprechen aber nicht einhielt. Neben all diesen Fehlern profitierte das noch junge Syriza-Bündnis aber auch davon, dass sich auch konservativere Wähler inzwischen an die Idee einer Linksregierung unter Tsipras gewöhnt haben.
Die gute Nachricht für die Konservativen ist, dass ihnen eine dramatische Niederlage erspart blieb. Dennoch kann sich Samaras seiner politischen Zukunft nicht mehr sicher sein. Gerüchten zufolge könnte er einen Parteitag einberufen, um sich als Chef der Neuen Demokratie bestätigen zu lassen. Sollte dies misslingen, wird nach Informationen von Spiegel Online der frühere Premier Kostas Karamanlis als Nachfolger gehandelt.
Karamanlis erfreut sich in seiner Partei noch immer grosser Popularität. Sein Name steht für eine legendäre Politikdynastie und die vorerst letzten goldenen Zeiten Griechenlands mit hohem Wachstum und niedriger Arbeitslosigkeit – und Siegen bei der Fussball-Europameisterschaft und dem Eurovision Song Contest.
Übersetzung aus dem Englischen und Mitarbeit: David Böcking (spiegel.de)