Leoparden haben mich schon immer fasziniert. Diese scheuen Individualisten sind in freier Natur äusserst schwierig zu beobachten. In den Nationalparks Südafrikas und Namibias sind vier der «Big Five» – Löwe, Büffel, Elefant und Nashorn – verhältnismässig einfach zu finden. Aber der Leopard als Nummer fünf ist nur sehr selten zu sehen.
Er verbirgt sich manchmal sogar auf Bäumen und ist dort selbst mit einem Fernglas kaum auszumachen. Anders als Löwen, die in Gruppen leben und jagen, sind Leoparden durch und durch Einzelgänger in der Freizeit und auf der Jagd. Sie wollen ihr Revier partout nicht mit Artgenossen teilen.
Je nach Angebot an Beutetieren beanspruchen Männchen ein Territorium von bis zu 100 Quadratkilometern und die Weibchen eines bis zu 30 Quadratkilometern. In sehr kargen, beutearmen Regionen wie in den Halbwüsten Namibias können die Streifgebiete auch um einiges grösser sein.
Logisch also, dass der Leopard das grosse Thema war, als wir mit einem Farmer in Namibia am Abend am Lagerfeuer sassen. Ich hatte vor Jahren einmal in der Berner Tageszeitung «Bund» über ein Leoparden-Drama im Tierpark Dählhölzli gelesen [der «Bund»-Artikel ist online nicht verfügbar, aber die NZZ schrieb auch drüber]. Ich erzählte unserem Gastgeber diese Geschichte. Er hörte aufmerksam zu und gab uns eine interessante Antwort.
Die Leoparden sind die Plage der Rinder-Farmer in Namibia. Die Rinderfarmen umfassen, weil die Vegetation so karg ist, riesige Flächen von mehr als 100 Quadratkilometern. Die Tiere leben übers ganze Jahr im Freien und werden, wenn sie schlachtreif sind, zusammengetrieben. Die Mutterkühe kalben unbeaufsichtigt draussen im dürren Steppengras.
Darauf lauert der Leopard und holt sich oft neugeborene, noch hilflose Kälbchen. «Das war ein grosses Problem. Wir haben deswegen lange Zeit die Leoparden intensiv gejagt» erzählt der Farmer. «Aber es hat nicht geholfen. Wenn wir einen geschossen hatten, war kurz darauf wieder einer da.» Man habe sich dann intensiv mit der Lebensweise der Raubtiere befasst und schliesslich eine Lösung gefunden. «Die Leoparden besetzen ein grosses Territorium und verteidigen es gegen jeden Artgenossen oft bis auf den Tod.»
Weibchen werden vom Männchen im Revier nur zur Paarung geduldet. Die Weibchen verziehen sich anschliessend wieder in ihr Revier, um nicht in Gefahr zu geraten. Nach 90 Tagen kommen in der Regel drei oder vier Junge zur Welt. Sie bleiben zwei Jahre lang bei der Mutter, um alles zu erlernen, was es im Leben braucht. Dann verlassen sie die Mutter und die Geschwister und suchen ein eigenes Revier, das sie einem alternden Artgenossen oft im Kampf entreissen.
Dieses territoriale Verhalten sei der Grund, warum die Jagd nicht geholfen habe: «Wenn wir einen Leoparden geschossen haben, kam einfach ein anderer und besetzte sofort das Revier des getöteten Artgenossen.» Also verfolge man nun eine ganz andere Strategie:
So einfach ist das also. Der Farmer muss nicht mehr um seine Kälber und der Leopard nicht mehr um sein Leben fürchten.
Und nun löst mein Gesprächspartner auch den «Fall Dählhölzli» auf.
Ich habe zahlreiche Reisen im südlichen Afrika unternommen, um dem Eis zu entfliegen und die faszinierende Tierwelt zu beobachten. In unserem Sommer ist im südlichen Afrika Winter, die Vegetation liegt darnieder, die Tiere sind besser zu sehen. Aber ich bin nur Chronist und weder Zoologe noch Tierwärter und hüte mich deshalb, das damalige «Dählhölzli-Drama» zu beurteilen. Ich kann nur erzählen, welche Antwort ich in Afrika, in Namibia, bekommen habe.
Aber die Erklärung des Farmers hat mich als Laien überzeugt. Und als das Feuer erlöscht, bekommen wir noch eine Mahnung mit auf den Weg. «Verlassen Sie während der Nacht den Bungalow nicht. Manchmal sitzt ein Leopard auf dem Dach unserer Gebäude.» Und wir erfahren noch einmal eine Besonderheit über diese Raubtiere. Sie sind so anpassungsfähig, dass sie sich – wie bei uns die Füchse – auch in dichtbesiedelten Gebieten zurechtfinden können. Dort machen sie offenbar Jagd auf freilaufende Hunde und Katzen – und die sind in Afrikas Städten und Ortschaften wahrlich nicht selten.
Angst, dass ein Löwe oder ein Leopard in einen Bungalow oder ein Zelt eindringt, braucht der Chronist nicht zu haben. Ein Ranger hat uns einmal erklärt, Raubtiere würden es nicht wagen, in geschlossene Räume einzudringen, nicht einmal in ein Zelt. Anderslautende Erzählungen seien reine Schauermärchen. Wir könnten also ruhig schlafen.
Soweit die Theorie. Aber offenbar stimmt sie. Wir sind einmal nachts in Kalahari-Nationalpark aus dem Schlaf hochgeschreckt, weil Holz splitterte und Raubtiere kehlig knurrten als seien sie untereinander in Streit geraten. Ich öffnete den Reissverschluss des Zeltes vorsichtig ein kleines Stückchen und sah, wie draussen mehrere Hyänen unseren hölzernen Klappstuhl mit ihrer gewaltigen Beisskraft zerstückelten und unsere schöne Wolldecke zerfetzten, die wir draussen vergessen hatten. Aber sie kümmerten sich nicht um das Zelt und die Insassen. Der Schweiss ist mir trotzdem ausgebrochen.
Also: keine Angst vor Raubtieren. Aber trotzdem ein Tipp: wenn du einen Leoparden auf dem Hausdach siehst, lass den Hund und die Katze besser nicht mehr aus dem Haus.
B.M.
Caerulea
Zanzibar
Und keinerlei Quervergleiche zu den SCL Tigers, super!