Das Internat in Kankara, im nördlichen Nigeria, war bis zum letzten Freitag ein ruhiger Lernort für Hunderte von Schuljungen. Dies änderte sich letzten Freitag, als die Schule gemäss Zeugen von etwa 150 Motorradfahrern überfallen wurde. Mit Maschinengewehren um sich schiessend, zwangen sie die Schuljungen in ihre Schlafsäle, um sie an der Flucht zu hindern. Im Chaos des darauffolgenden Schiessgefechts mit der ortsansässigen Polizei gelang einigen Schülern die Flucht in den nahegelegenen Wald.
Usama Aminu, a student who escaped Nigeria’s mass kidnapping recalls how he ran away from the gang. Hundreds of students are still missing in Nigeria's Katsina after a raid on their school pic.twitter.com/cOsefnqgBy
— Reuters (@Reuters) December 14, 2020
Einer von ihnen ist Usama Aminu. In diesem Video, welches der Nachrichtenagentur Reuters vorliegt, berichtet er über die verhängnisvolle Nacht:
Zurzeit kursieren unterschiedliche Informationen über die Anzahl entführter Kinder. Nach einem Treffen mit Sicherheitskräften am Sonntag sprach Aminu Masari, Gouverneur der Region Katsina von 333 vermissten Schuljungen. Nach eingehender Betrachtung des Schulregisters kam die nigerianische Zeitung «Daily Trust» hingegen auf 668 Vermisste.
Im Rahmen einer grossangelegten Suche sei das Gebiet, in dem die Kinder vermutlich festgehalten würden, von Regierungstruppen umzingelt worden, berichten diverse Medien. Wie viele Kinder sich tatsächlich dort befinden ist aber unklar.
Präsident Muhammadu Buhari verurteilte den Angriff, schloss die Schulen im Bundesstaat Katsani und verordnete eine erhöhte Sicherheitsstufe an allen Schulen an.
Wie der Gouverneur der Region Katsina gestern auf Twitter bekannt gab, hätten die Entführer Kontakt mit der Regierung aufgenommen und verhandelten über die Rückkehr der Kinder zu den Familien.
The abductors of our Children have made contacts with the Government and talks are ongoing to ensure their safety and return to their respective families.
— Aminu Bello Masari (@GovernorMasari) December 14, 2020
The security agencies deployed for rescue operations have also informed us that they have located their position.
Seit heute ist bekannt, wer für die Entführung verantwortlich ist. Obwohl Entführungen und Erpressungen durch verschiedene agierende nigerianische Banditen nicht unüblich sind, handelt es sich bei der Massenentführung wenig überraschend um die «Boko-Haram». Dies ist eine im Nordosten Nigerias aktive terrorristische islamistische Gruppierung, die sich für ein Verbot der westlichen Bildung einsetzt. Seit Jahren fordert sie die Einführung der Scharia in ganz Nigeria.
In den frühen Morgenstunden erhielt die nigerianische Zeitung «HumAngle» die 4:28 min lange Sprachnachricht der Boko Haram:
Die Tat begründet Abubakar Shekau wie folgt:
Der Name des islamistischen Anführers ist der nigerianischen Bevölkerung nicht unbekannt: Er war ebenfalls für die Massentführung nigerianischer Schülerinnen 2014 verantwortlich.
In der Nacht vom 14. auf den 15. April 2014 fuhren bewaffnete Männer in Lastwagen auf das Schulareal in Chibok, welches den 15-18-jährigen Mädchen auch zur Unterkunft diente. Die Angreifer zwangen die Schulmädchen in die Lastwagen und brachten sie an einen unbekannten Ort. Insgesamt wurden 276 Mädchen entführt, was weltweit für Schlagzeilen sorgte.
In einem 57 Minuten langen Video bekannte sich Abubakar Shekau wenige Wochen später zur Tat und kündigte an, die Mädchen auf dem Markt verkaufen zu wollen. Sowohl im Jahr 2016 als auch im Jahr 2017 liessen die Boko-Haram im Anschluss an Verhandlungen 21 respektive 82 Mädchen frei – mit bitterem Nachgeschmack: Im Austausch wurden inhaftierte Boko-Haram Mitglieder wieder auf freien Fuss gesetzt.
Bis heute gelten noch immer mehr als 100 der sogenannten «Chibok-Mädchen» als vermisst.
Der letzte Angriff der Boko Haram liegt kaum zwei Wochen zurück. Dabei wurden im Nordosten Nigerias mehr als 40 Landarbeitern auf Reisfeldern die Kehle durchgeschnitten. In zwei anderen Attacken im Oktober wurden etwa 22 Landarbeiter getötet. Sowohl Holzarbeiter, Viehhalter und Fischer sind im Visier der Boko-Haram, weil diese angeblich als Informanten für die Polizeibehörde arbeiteten.
Die Lage in Nigeria ist schon seit längerem angespannt. Nebst interreligiösen Konflikten, die seit 1999 immer weiter aufflammten, wurde im Oktober in blutigen Demonstrationen gegen Polizeigewalt protestiert. Auslöser war ein Video auf Twitter, welches zeigt wie die Polizeieinheit SARS einen nigerianischen Bürger erschoss. Trotz Auflösung der Sondereinheit bleiben viele zentrale Forderungen der Bevölkerung unbeantwortet, wie die New York Times berichtet.
Die Unzufriedenheit mit der Regierung wächst und die Wut auf die Armee, welche die Bevölkerung nicht vor Angriffen zu schützen vermag, wird immer grösser.
So was macht mich richtig wütend.
Elende verblendete Religioten!