Ivan Krastev gehört zu den führenden Kennern Osteuropas. In einem Gastbeitrag in der «Financial Times» schildert er folgende Anekdote: «Es geht das Gerücht um, dass ein Mitglied des inneren Kreml-Kreises, gefragt, wer Wladimir Putins engste Vertraute seien, trocken zur Antwort gab: ‹Iwan der Schreckliche, Katharina die Grosse und Peter der Grosse›.»
Die Nato-Osterweiterung wird von Putin und seinen Verstehern immer wieder als Grund für die Invasion genannt. «In der Realität erleben wir jedoch das perverse Ende des letzten Imperiums von Europa», so Krastev. «Das sogenannte ‹rusky mir›, die russische Welt gilt – kulturell betrachtet – als etwas, das über die Russische Föderation hinausgeht. Diese Welt wird nun auf dem Altar einer Autokratie und der russischen Ethnizität geopfert.»
Putins Grossmachts-Phantasien haben dazu geführt, dass die reale Macht Russlands schrumpft. Die sogenannte Softpower, die Möglichkeit, anderen Ländern als Vorbild zu dienen und damit Einfluss zu gewinnen, hat Putin bereits verzockt. «Mit dem Überfall auf die Ukraine hat er die Verbindung zu Europa gekappt und Russland zu einem verachteten Land gemacht», so Krastev.
Der Besuch von Emmanuel Macron, Olaf Scholz und Mario Draghi in Kiew haben diesen Tatbestand deutlich gemacht. Im Vorfeld des Besuches der drei wichtigsten Staatsoberhäupter der EU waren Befürchtungen laut geworden, es handle sich um einen Versuch, Wolodymyr Selenskyj zu einem faulen Kompromiss mit Russland zu überreden.
Das Gegenteil ist eingetreten. Der Besuch wurde zu einer Demonstration von Solidarität mit der Ukraine. «Heute ist auf dem Boden der Ukraine klar geworden, dass die Sicherheit des gesamten europäischen Kontinents auf dem Spiel steht», erklärte Macron. «Europa steht an eurer Seite und wird es bleiben, solange es nötig sein wird.»
Dies ist umso bemerkenswerter als dass der französische Präsident noch vor Kurzem Aussagen gemacht hatte, die darauf hingedeutet haben, er wolle Selenskyj zu einem Kompromiss drängen. Ebenso hatte er sich skeptisch zu einem raschen EU-Beitritt der Ukraine geäussert.
In Kiew wischte er dies vom Tisch, versprach ein beschleunigtes Verfahren und stellte klar, die russische Invasion sei «vorsätzlich, absichtlich, ungerechtfertigt und nicht zu rechtfertigen» gewesen. Zudem versprach Macron, sechs weitere Caesar-Haubitzen in die Ukraine zu liefern.
Auch der deutsche Bundeskanzler gab sich für seine Verhältnisse ausgesprochen emotional. «Meine Damen und Herren, die Ukraine muss leben», rief Olaf Scholz aus und fügte ein «Slava Ukraini» hinzu, ein ukrainischer Begriff für einen Sieg der Ukraine. Auch Scholz versprach, die Lieferschwierigkeiten deutscher Waffen möglichst rasch zu beheben.
Die Ukrainer ihrerseits haben sich definitiv von Russland abgewendet. Petro Obukhov, ein Mitglied der Stadtregierung von Odessa, erklärte gegenüber der «New York Times»: «In den letzten zwei Jahrzehnten haben wir uns gegensätzlich entwickelt, die Ukraine hin zum Westen, Russland hin zu seiner Vergangenheit, der sowjetischen Vergangenheit. Unsere Wege haben sich getrennt.»
«Imperien werden oft auf dem Schlachtfeld geboren, aber sie sterben in Buchhandlungen», stellt Krastev fest. Dies trifft derzeit in Kiew und anderen Städten der Ukraine zu. Einst waren die Gestelle der Buchhandlungen gefüllt mit den Klassikern der russischen Literatur. «Nach dem Krieg wird es höchstwahrscheinlich keine Sektion mehr mit russischen Büchern geben», so Krastev. Auch die Anzahl der Menschen, welche die russische Sprache erlernen wollen, wird drastisch zurückgehen.
Vor der Invasion hat sich das städtische Bildungsbürgertum Russlands stark am westlichen Lebensstil orientiert. Das wird künftig kaum mehr möglich sein. Hunderttausende haben daher ihre Heimat verlassen.
Auch die Mitglieder der Elite werden umdenken müssen. Die «New York Times» hat die Destinationen der Privatjets der Oligarchen in den letzten Wochen analysiert. Dabei hat sich herausgestellt, dass Paris, Mailand und Genf nicht mehr angeflogen werden. Bevorzugte Destination der Privatjets ist Dubai geworden. Deshalb wird die Metropole in der Wüste neuerdings «Dubaisk» genannt.
Ob es die „Eroberungen“ halten kann ist unklar, klar ist hingegen, dass es schon jetzt auf lange Zeit viel verloren hat.
Im Eishockey waren sie eine Topnation. Russische Spieler waren hoch angesehen. Ausgerechnet der berühmteste in der Schweiz, vergöttert in Fribourg und bewundert in allen Stadien schwafelt etwas von Russophobie in der Schweiz.
In der Raumfahrt hat die Sowjetunion und später Russland grossartiges Vollbracht. Der jetzige Chef lässt Zeugs raus, das man lieber nicht wiederholt.
Dank solchen Aktionen werden es die Russen in Zukunft viel schwerer haben.
Geist und Zivilisation.