Václav Havel war nicht nur der gefeierte Held der demokratischen Revolution in der Tschechoslowakei, er war auch ein renommierter Schriftsteller. Bevor er Präsident seines Landes wurde, sass er mehrmals seiner demokratischen Überzeugung wegen im Gefängnis, denn immer wieder hat er gegen die sowjetische Besatzung und für mehr Freiheit gekämpft. In seinem Roman «Sommermeditationen» erklärt er auch, weshalb: «In einem Punkt werde ich niemals nachgeben: dass es bedeutungslos sei, sich für eine gute Sache einzusetzen.»
Mit dem Ende des Kalten Krieges keimte die Hoffnung auf, Havels Schicksal sei ein Ding der Vergangenheit. Der Begriff «dritte Welle» machte unter Politologen die Runde. Gemeint war damit, dass sich immer mehr Staaten zur Demokratie bekannten. Tatsächlich war dies zwischen dem Ende der Siebzigerjahre und der Jahrhundertwende auch der Fall. Die USA waren nicht nur die «Mutter der Demokratie», sie wurden auch das Vorbild für viele Schwellenländer.
Der Feldzug gegen den Irak, der hunderttausende Todesopfer gefordert hat, und die Vorstellung der Neokonservativen um Präsident George W. Bush, dass mittels einem «nation building» im Nahen Osten ein demokratischer Staat entstehen könnte, haben dieser Idee einen ersten Dämpfer verpasst. Kurz darauf zerstörte die Finanzkrise die Illusion, der Westen würde sich selbst die bittere Reform-Medizin verschreiben, die er den Schwellenländern nach der Asienkrise aufgenötigt hatte.
Die Begeisterung für Demokratie und Rechtsstaat im Sinne des westlichen Liberalismus nahm in der Folge merklich ab. «Gemäss der jährlichen Ermittlungen des Freedom House, befindet sich die Zustimmung zur Freiheit im Niedergang», stellt Larry Diamond im Magazin «Foreign Affairs» fest. Er ist Senior Fellow an der Hoover Institution und gilt als einer der führenden Demokratie-Experten.
Die Wiederwahl von Donald Trump hat diesen Niedergang der Demokratie-Zustimmung nicht nur beschleunigt, sie hat ihr möglicherweise den Todesstoss versetzt. «Trumps entscheidender Sieg macht den Bewunderern der langen demokratischen Reise der USA Angst vor dem, was auf dieses Land und den Rest der Welt zukommen wird», so Diamond.
Was die Demokratie auf globaler Ebene betrifft, wechselten sich in den letzten Jahren Licht und Schatten ab. Den beiden erklärten Feinden des Westens, Russland und China, gelang es, einige Staaten auf ihre Seite zu ziehen. Anderseits mussten autokratische Herrscher wie Narendra Modi in Indien unerwartete Rückschläge verkraften, und in Polen wurde gar die EU-feindliche konservative Regierung von einer liberalen abgelöst.
«Aber während des ganzen Jahres 2024 richteten sich alle Augen auf die Wahlen in den USA. Sie werden als wichtigster Indikator für die Zukunft der Demokratie auf globaler Ebene betrachtet», stellt Diamond fest. «Pro-Demokratie-Anwälte haben dabei mit Enttäuschung und wachsendem Entsetzen festgestellt, dass Trump immer stärker in die Tiefen von Bigotterie und Angst abgeglitten ist und Rache geschworen hat.»
Die Angst ist berechtigt. Trump hat bereits erklärt, er werde weder Mike Pompeo noch Nikki Haley in sein Kabinett berufen. Im Fall der ehemaligen UNO-Botschafterin war dies zu erwarten. Obwohl sie am Schluss ebenfalls einknickte, war sie die einzige Republikanerin, die so etwas wie Widerstand gegen ihn an den Tag gelegt hat. Die Absage an den ehemaligen Aussenminister und CIA-Direktor ist ein Zeichen dafür, dass die Fraktion um J.D. Vance, Don Jr. und Tucker Carlson an Einfluss gewinnt. Pompeo gilt als konservativ – auch als eingebildet und arrogant –, aber er hat sich bisher stets für eine harte Linie gegen Russland im Krieg in der Ukraine ausgesprochen.
Besorgniserregend ist auch die Tatsache, dass Trump bereits verkünden liess, er wolle die Mitglieder seiner Regierung nicht durch den Senat absegnen lassen und sie somit einer demokratischen Kontrolle entziehen. «Wir müssen diese Positionen SOFORT besetzen», liess er auf Truth Social, seiner sozialen Plattform, mitteilen. Gleichzeitig versuchen die gleichen Kräfte, die Pompeo verhinderten, zu erreichen, dass der neue Mehrheitsführer des Senats weder John Thune noch John Cornyn heisst. Beide gelten als Favoriten des abtretenden Mitch McConnell und des alten Establishments der Grand Old Party.
Die fast grenzenlose Begeisterung, die Trump und die MAGA-Welt für Elon Musk an den Tag legen, kann ebenfalls bei demokratisch gesinnten Menschen keine Freude auslösen. Musk soll bekanntlich die Aufgabe erhalten, die Verwaltung rigoros auszumisten und so dem Staat zwei Billionen Dollar einzusparen. Dem reichsten Mann mag es an nichts fehlen – ausser Empathie. Er sagt von sich selbst, er sei leicht autistisch, und nach der Übernahme von Twitter hat er 80 Prozent des Personals gefeuert. Gleiches hat er scheinbar mit der Bundesverwaltung vor.
Nach seinem überraschend deutlichen Sieg gab sich Trump versöhnlich. Er wolle ein Präsident für alle Amerikanerinnen und Amerikaner sein, von Rache und Vergeltung war nicht die Rede. Davon sollte man sich nicht täuschen lassen. Gwenda Blair, eine Biografin der Trump-Familie, stellt in der «New York Times» die rhetorische Frage: «Wird Trump zurückschlagen? Natürlich. Die einzige Frage ist, wie er dies tun und wen es treffen wird. (…) Er ist ein Auge-um-Auge-Typ, und er schäumt vor Wut ob dessen, was ihm in den letzten vier Jahren zugestossen ist.»
Aus dem MAGA-Umfeld sind bereits Töne zu hören wie diejenigen des konservativen Influencers Mike Davis. Dieser lässt via soziale Medien wissen: «Ich will die toten Leiber meiner politischen Gegner durch die Strassen schleifen, sie verbrennen und von der Mauer stürzen.»
Auf die Tatsache, dass Trump seine zweite Amtszeit weit besser gerüstet antreten wird als seine erste, ist bereits hinreichend hingewiesen worden, «Project 2025» hin oder her. Wie weit die amerikanische Demokratie dem, was auf sie zukommen wird, widerstehen kann, muss sich weisen. «Es wird Jahre dauern, bis wir die Antwort kennen», glaubt Larry Diamond.
Wird das nicht mehr verstanden, DANN ist die Demokratie in Gefahr.