International
Analyse

Warum Steve Bannon ausgerechnet Lenin bewundert

Bild
Analyse

Warum Steve Bannon ausgerechnet Lenin bewundert

Trumps ehemaliger Chefstratege ist der Drahtzieher hinter dem Chaos der Republikaner.
06.10.2023, 14:0906.10.2023, 17:38
Mehr «International»

Nein, Steve Bannon ist kein Kommunist. Er war einst Investmentbanker bei Goldman Sachs und soll dort sehr viel Geld verdient haben. Er verkehrt mit Milliardären und politisch steht er irgendwo rechts von Dschingis Khan. Und trotzdem soll Bannon eine grosse Bewunderung für Lenin hegen. Weshalb?

Wladimir Iljitsch Lenin war der Anführer der Revolution, welche die Kommunisten in Russland an die Macht gebracht hat. Er war ein brillanter Stratege und ein skrupelloser Machtmensch.

Zunächst gelang es ihm, die Wirren des Ersten Weltkrieges auszunützen. Ein schwacher Zar und unfähige Generale hatten die russische Armee von einer Niederlage gegen die Deutschen zur nächsten geführt. In einem ersten Streich wurde der Zar unter massgeblicher Beteiligung der Kommunisten gestürzt. Lenin bot den Deutschen die Kapitulation an.

Communists party supporters gather near a statue of Soviet Union founder Vladimir Lenin to mark Labor Day, also known as May Day in St. Petersburg, Russia, Monday, May 1, 2023. (AP Photo/Dmitri Lovets ...
Lenin-Statue mit Alt-Kommunisten in St.Petersburg.Bild: keystone

Nach dem Sturz des Zaren – er wurde später zusammen mit seiner Familie erschossen – nutzte Lenin geschickt die Widersprüche und Streitereien einer sozialistisch-liberalen Regierung aus. Obwohl die Bolschewiken, wie sich die russischen Kommunisten nannten, niemals eine Mehrheit der Bevölkerung hinter sich hatten, kamen sie auf diese Weise an die Macht, allerdings erst, nachdem ein jahrelanger, äusserst blutiger Bürgerkrieg rund zwölf Millionen Todesopfer gefordert hatte.

Vor der Revolution war Lenin ein Aussenseiter, der mit ein paar verschworenen Mitstreitern gegen das Zaren-Regime ankämpfte. Dabei versuchte er, so viel Chaos anzurichten wie nur möglich. Seit seiner Vertreibung aus dem Weissen Haus ist auch Steve Bannon ein solcher Aussenseiter. Anders als Lenin, der aus dem Ausland agieren musste – er wohnte bekanntlich eine Zeit lang in Zürich –, hat Bannon seinen «war room» in Washington aufgeschlagen, in einer alten Villa in der Nähe des Weissen Hauses.

In dieser Villa hat Bannon auch ein kleines Studio eingerichtet, aus dem er täglich während drei Stunden einen Podcast ausstrahlt. Dort empfängt er auch seine Mitstreiter, darunter Matt Gaetz, den Anführer der Rebellion gegen Kevin McCarthy, den gestürzten Speaker des Abgeordnetenhauses.

epa10610967 Steve Bannon, former chief strategist in the administration of US former President Donald Trump, appears on the screen as he delivers his video message during the second day session of the ...
Steve Bannon in seinem «war room».Bild: keystone

In der Öffentlichkeit war Bannon in den letzten Monaten kaum präsent. Das soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es ihm gelungen ist, ein potentes, rechtsextremes Netzwerk aufzubauen. Der erfolgreiche Aufstand gegen McCarthy ist ein Resultat davon. Oder wie die «New York Times» schreibt:

«Mr. Bannon repräsentiert eine klare Verbindung von der von Groll getriebenen MAGA-Basis zum Kongress. Und die Rolle, die er diese Woche bei der Kernschmelze im Abgeordnetenhaus gespielt hat, erklärt auch, weshalb sich die Republikaner derzeit gegenseitig zerfleischen. Er ist ein wichtiger Teil der Endlos-Schlaufe von aufrührerischem Inhalt in den sozialen Medien, dem Sammeln von Spenden und dem Predigen von Hass, eine Mixtur, die sich eine rechtsextreme Basis wünscht.»

Bannon will die bestehenden Institutionen zerschlagen, und er macht kein Hehl daraus: «Wir müssen einen Feuersturm entfachen, der alles ändert», sagt er. «Die Menschen glauben immer noch, die Regierung sei da, um ihnen zu helfen. Ich werde aufzeigen, dass die Regierungsausgaben verseucht sind.»

Mit dem Sturz von McCarthy ist Bannon ein Teilerfolg gelungen. Im US-Kongress herrscht derzeit Chaos, und ein Ende ist nicht absehbar. Der alte Speaker, der Anführer der Mehrheit im Abgeordnetenhaus, ist zwar gestürzt, doch wer ihn – und wann – ersetzen soll, steht in den Sternen. Zwei potenzielle Kandidaten sind im Gespräch: Jim Jordan und Steve Scalise. Beide politisieren am äussersten rechten Rand der Grand Old Party.

Scalise war Stellvertreter von McCarthy. Er ist eine Spur gemässigter als Jordan. Dieser spricht wie ein Maschinengewehr, trägt meist eine gelbe Krawatte und kein Jackett. Er steigt mit einem grossen Vorsprung ins Rennen, mit einer Empfehlung von Donald Trump. «Der Abgeordnete Jim Jordan war ein STAR lange vor seiner erfolgreichen Reise nach Washington», verkündete der Ex-Präsident auf seiner Plattform Truth Social. «Er wird ein grossartiger Speaker sein und hat meine volle Unterstützung.»

FILE - Rep. Jim Jordan, R-Ohio, center, is flanked by Rep. Steve Scalise, R-La., left, and House Republican Leader Kevin McCarthy, D-Calif., as they criticize Democrats for launching a formal impeachm ...
Von Donald Trump als Speaker empfohlen: Jim Jordan.Bild: keystone

Ob dies reicht, ist allerdings fraglich. Allmählich haben auch die moderaten Republikaner die Schnauze voll vom Schmierentheater des äusserst rechten Flügels. Angesichts der knappen Mehrheitsverhältnisse könnte der Kampf um die Speaker-Nachfolge daher lange dauern.

Steve Bannon kann dies nur recht sein. Er will einzig Chaos säen und hämmert seinen Anhängern ein: «Macht alles so empörend wie möglich.» Sein Ziel ist es zu demonstrieren, dass die Demokratie versagt und durch ein autoritäres System im Sinne von Putin und Orban ersetzt werden muss.

Um dieses Ziel zu erreichen, muss Bannon allerdings noch ein paar gewichtige Hürden überwinden. So wirr die politischen Verhältnisse derzeit in Washington sind, sie lassen sich nicht vergleichen mit der Situation Russlands im Ersten Weltkrieg.

Und der Möchtegern-Lenin hat auch ein kleines persönliches Problem: Er muss zwar nicht wie sein Vorbild einst ins Ausland flüchten. Aber er wandert wahrscheinlich demnächst für ein paar Monate in den Knast.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Lenin und Puschkin
1 / 7
Lenin und Puschkin
Puschkin wiederum wurden unzählige Denkmale gesetzt. Sie wetteifern mit denen von Lenin. Ich glaube aber, es gibt mehr Puschkins. Und die Blumen vor den Bildnissen des russischen Nationaldichters sind immer frisch. Auf dem Foto sehen wir Puschkin in Puschkin, einer Stadt 25 km südlich von Sankt Petersburg. bild: watson
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Brüste signieren und Pizza verteilen: Trump ist auf Wahlkampf
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
42 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
wintergrün
06.10.2023 14:36registriert Dezember 2017
🙄Geschichte scheint nicht Watsons Stärke zu sein.
Lenin wollte immerhin einen autokratischen Staat ablösen (der steht’s für Chaos berüchtigt war), keine vergleichsweise sehr gut laufende Demokratie.
Und Dschingis Khan rechts?
Bitte mal die Secret History of Mongolia lesen (also die Geschichte aus mongolischer Sicht). Irgendwie passen Links und Rechts nicht so recht auf die politischen Verhältnisse in der mongolischen Steppe des 13.Jahrhunderts. Die hatten ganz andere Probleme, z B das Fehlen jeglichen Rechtsstaats. Auch Dschingis Khan, der hat schließlich mal sehr klein angefangen.
376
Melden
Zum Kommentar
avatar
Massalia
06.10.2023 19:05registriert Juni 2021
Absurd, dass die weisse amerikanische Unterschicht einem ehemaligen Investmentbanker und einem Immobilienspekulant/Mafiosi hinterherdackelt.

Ist bei uns leider genau gleich.

Wieso wählen arme Menschen reiche Egoisten?
263
Melden
Zum Kommentar
42
Geisel-Familien: Unsere Kinder erleben einen Holocaust
Angehörige israelischer Geiseln im Gazastreifen haben sich hinter einer Stacheldrahtinstallation in Tel Aviv versammelt, um an das Schicksal ihrer Liebsten zu erinnern. «Unsere Kinder erleben einen Holocaust. Sie werden nicht mehr lange überleben», sagte Einav Zangauker, die Mutter eines am 7. Oktober von der islamistischen Hamas in den Gazastreifen entführten Mannes mit amerikanischer und israelischer Staatsangehörigkeit. Es sei an der Zeit, «das Einzige zu tun, was alle Geiseln zurückbringen kann – ein umfassendes Abkommen auf den Tisch zu legen, das den Krieg beendet.»
Zur Story