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Analyse

Hat Joe Biden bereits verloren?

In this combination of photos, President Joe Biden speaks on Aug. 10, 2023, in Salt Lake City, left, and former President Donald Trump speaks on July 8, 2023, in Las Vegas. Trump is spending the third ...
Bild: keystone
Analyse

Hat Joe Biden bereits verloren?

Die Angst vor einem Wahlsieg von Donald Trump wächst.
07.01.2024, 05:0607.01.2024, 12:44
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Beim altehrwürdigen «Economist» sind bereits erste Anzeichen von Panik auszumachen. Joe Biden und die Demokraten seien im Begriff, in eine fatale Wahlniederlage zu schlafwandeln, warnt das Magazin in seiner jüngsten Ausgabe und nennt dafür Gründe:

  • Persönliche Eitelkeit: «Sein (Bidens) Sinn für die Pflicht ist beschmutzt durch Eitelkeit», so der «Economist». «(…) Er ist überzeugt, dass das Land ihn braucht, weil er Trump schon einmal besiegt hat.»
  • Feigheit der Parteioberen: «Die Führer der Demokraten sind feige und selbstzufrieden geworden», hält der «Economist» fest. «Wie viele ängstliche Republikaner im Kongress [gegenüber Trump] haben sie keine Lust, Biden vor seiner eigenen Torheit zu schützen.»
  • Bidens Umfragewerte sind derzeit unterirdisch. Vor allem die Tatsache, dass Trump in den alles entscheidenden Swing States – Arizona, Nevada, Georgia, Wisconsin, Pennsylvania und Michigan – in Führung liegt, ist besorgniserregend.

Ferner bemängelt der «Economist», die Demokraten hätten keinen Plan B. Derzeit treten nur chancenlose Kandidaten gegen den Präsidenten an. Selbst ein Rücktritt Bidens wäre keine Lösung mehr. Er würde den Weg freimachen für Kamala Harris. Damit kämen die Demokraten vom Regen in die Traufe. Die Vize-Präsidentin ist noch unpopulärer als ihr Boss und hat sich vor vier Jahren als lausige Wahlkämpferin erwiesen.

Bidens Schwächen sind mittlerweile sattsam bekannt. Er ist zu alt und wirkt greisenhaft. Es ist ihm bisher nicht gelungen, die chaotische Situation an der Grenze zu Mexiko in den Griff zu bekommen. Seine Wirtschaftspolitik, die Bidenomics, ist noch nicht ins Bewusstsein der Menschen gedrungen. Johnny Sixpack starrt immer noch auf die Preise von Eiern und Benzin und findet diese zu hoch.

Derweil scheint Trump einmal mehr seinem Ruf als «Teflon-Präsident» gerecht zu werden. Obwohl nicht weniger als vier Strafprozesse mit insgesamt 91 Anklagepunkten gegen den Ex-Präsidenten hängig sind, schaden ihm diese bisher nicht. Im Gegenteil: In Umfragen legt er gerade deswegen sogar zu und steht als Präsidentschaftskandidat der Grand Old Party de facto fest.

Donald Trump photographed playing tennis at Mar-A-Lago while wearing an all-white outfit, February 13, 2000.

https://www.reddit.com/r/HistoryPorn/comments/18nnpqr/donald_trump_photographed_playing_te ...
Für einmal nicht Golf: Donald Trump auf dem Tennis-Court.Bild: reddit

Auch Trumps zunehmend faschistische Rhetorik hinterlässt keine negativen Spuren. Seine Anhänger finden es grossartig, wenn er seine Gegner als «Ungeziefer» beschimpft, den Einwanderern unterstellt, sie würden «das Blut des Landes verunreinigen», und damit prahlt, bei einem Wahlsieg werde er «Diktator für einen Tag». Die unabhängigen Wählerinnen und Wähler nehmen diese Ausfälle mit einem Achselzucken zur Kenntnis und legen sie mit einem «Trump ist halt so» ad acta.

Ist somit das Jahr 2024, kaum hat es begonnen, bereits auf bestem Weg, zu einem Annus horribilis zu werden, wie die verstorbene britische Queen Elizabeth II. sich ausgedrückt hätte? Befinden sich die USA unausweichlich auf einem Pfad in ein autoritäres System, und wird deswegen die liberale Weltordnung zusammenkrachen? Können Putin, Xi und die iranischen Ayatollahs bereits den Champagner kalt stellen?

So weit ist es zum Glück noch nicht. Es gibt auch gute Gründe, weshalb Biden die Kurve noch kriegen wird. Hier sind ein paar davon:

  • Nationale Umfragen haben zu diesem Zeitpunkt praktisch keinen Aussagewert. Für die Mehrheit der Amerikanerinnen sind die Wahlen noch kein Thema und im Wahlkampf wird ihnen erneut das Chaos der Trump-Jahre vor Augen geführt werden.
  • Wahlen werden durch Ereignisse entschieden, und bis zu den Präsidentschaftswahlen dauert es noch rund zehn Monate, politisch gesehen eine Ewigkeit. Vergessen wir nicht, 2020 schien Trump einem ungefährdeten Sieg entgegenzusteuern – dann kam Covid.
  • Auch Teflon-Trump ist nicht unangreifbar. Sollte zumindest einer der vier Strafprozesse noch vor den Wahlen über die Bühne gehen – und dafür spricht vieles –, dann könnte die Stimmung bei den unabhängigen Wählern kippen. Zu offensichtlich sind die Verbrechen des Ex-Präsidenten.
  • Die Abtreibungsfrage wird nebst der Angst um die Demokratie ein zentrales Thema des Wahlkampfes werden. Auf diesem Gebiet haben Trump und die Republikaner sehr schlechte Karten, vor allem bei den Frauen.
  • Irgendwann wird es auch Johnny Sixpack dämmern, dass die Bidenomics tatsächlich eine gute Sache sind. Derzeit steigen die Löhne – vor allem die niedrigsten – stärker als die Inflation, und Benzin und Eier werden ebenfalls billiger. Auch im Dezember sind 216'000 neue Jobs geschaffen worden, weit mehr, als die Ökonomen erwartet haben.
  • Die Wählerschaft ist eine andere als bei Trumps Sieg 2016. Viele alte Wähler, die tendenziell konservativ wählen, sind verstorben. Viele junge Wählerinnen, die eher progressiv eingestellt sind, können erstmals zur Urne schreiten. Davon sollten Biden und die Demokraten profitieren.

Ja, die Lage ist ernst, die Gefahr, dass die «Mutter aller Demokratien» sich Schritt für Schritt in ein christlich-nationalistisches Monster verwandelt, ist real. Doch vergessen wir nicht: Die USA stehen nicht zum ersten Mal am Rande eines Abgrundes. Sie haben einen äusserst blutigen Bürgerkrieg überstanden, den Ku-Klux-Klan überwunden, der faschistischen Versuchung in den Dreissigerjahren widerstanden, den absurden Anti-Kommunismus der McCarthy-Ära besiegt und das Chaos der Vietnamjahre überlebt.

Stets haben in Krisen die «better angels», wie sich Präsident Abraham Lincoln einst ausgedrückt hatte, die Oberhand behalten. Die Chancen, dass sich auch diesmal die besseren Engel durchsetzen werden, sind durchaus intakt.

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216 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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TRN
07.01.2024 07:32registriert Dezember 2021
Was ich nicht verstehe: In den USA gibt es viele eloquente Leute, die nicht nur in der Lage sind, zusammenhängende Sätze zu sprechen, sondern sogar kohärente Geschichten, Visionen, Vorstellungen von sich zu geben. Es gäbe auch viele Leute die fit genug sind, den Eindruck zu vermitteln, der Belastung eines Präsidentenamts tragen zu können. Und zur Wahl stehen eine freundliche Version von Statler und eine faschistische Version von Waldorf aus der Muppet-Show.
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Henry Enveloppe
07.01.2024 06:37registriert September 2022
Zum Donnerwetter USA, schickt endlich jüngere, fähige Leute ins Rennen. Ein so grosses Land muss doch eine grosse Auswahl an Präsidentschafts-Kandidaten haben. Wie wäre es z.B. mit dem derzeitigen Aussenminister Blinken?
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Glücklich
07.01.2024 06:30registriert August 2022
Ich will mir gar nicht vorstellen, was eine Wiederwahl von Herr Trump für Folgen hätte …

Die Demokraten hatten so lange Zeit einen geeigneten Kandidaten für die Wahlen aufzubauen aber haben dies leider nicht gemacht, ich verstehe das nicht.

Es könnte ein ‚Eigentor‘ für die Demokraten geben, was ich aber hoffe, dass dies nicht eintreffen wird …
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