Was für die Nazis Hitlers «Mein Kampf» war, ist der Roman «The Turner Diaries» für die amerikanischen Rechtsextremisten. Das Buch wurde 1978 von einem gewissen William Pierce geschrieben. Es schildert eine Revolution von Ariern, welche die herrschende Regierung stürzen. Diese Revolution beginnt mit Terrorakten und wird angeführt von einsamen Helden und Märtyrern.
Das Buch ist nicht mehr erhältlich. Trotzdem zeigen die «Turner Diaries» bis heute Wirkung. So hat etwa Timothy McVeigh, ein rechtsradikaler Terrorist, nach diesem Drehbuch 1995 in Oklahoma City ein Bombenattentat verübt, bei dem 168 Menschen starben. Er wurde zum Tode verurteilt und 2001 hingerichtet.
Aufrufe zu einem Bürgerkrieg zirkulieren in der rechtsextremen Szene seit Jahrzehnten. Lange wurde sie mit einem Schulterzucken abgetan. Wie soll dies möglich sein? Die USA sind nicht mehr in geografisch getrennte Lager geteilt, die sich gegenseitig bekriegen können. Die Amerikaner sind zwar polarisiert wie seit Menschengedenken nicht mehr. Doch die Fronten verlaufen quer durch die Gesellschaft und die Landschaft. In Texas beispielsweise vermischen sich eine konservative Bevölkerung auf dem Land mit Linksliberalen in der Hauptstadt Austin.
Donald Trump hat dies verändert. Der Bürgerkrieg ist heute mehr als nur ein feuchter Traum rechtsextremer Spinner. Er ist eine realistische Option geworden. Das sagt nicht irgendwer, sondern Barbara F. Walter in ihrem kürzlich erschienen Buch «How Civil Wars Start». Walter ist Geschichtsprofessorin an der University of California in San Diego. Sie ist auch Expertin für Bürgerkriege und hat für die CIA weltweit untersucht, unter welchen Bedingungen diese Kriege ausbrechen.
Walters Analyse der aktuellen Situation der USA ist erschreckend. Sie kommt zum Schluss, dass die ehemalige «Mutter der Demokratie» zu einer Anokratie geworden ist. Unter diesem exotisch klingenden Begriff versteht sie einen Bastard von Demokratie und autoritärem Staat.
Gemäss Walter sind gerade Anokratien anfällig für Bürgerkriege. «Fällt ein Land in die Anokratie-Zone, dann erreicht die Gefahr eines Gewaltausbruches ihren Höhepunkt», stellt sie fest. «Die Bürger sind verunsichert und zweifeln an der Macht und der Legitimität der Regierung. Verglichen mit Demokratien sind Anokratien mit mehr demokratischen Eigenschaften dreimal anfälliger für Instabilität und Bürgerkrieg.» Die USA haben gemäss Walter genau diesen Zustand erreicht.
Schon Karl Marx wusste, dass Revolutionen nicht vom Lumpenproletariat getragen werden. Es ist der Mittelstand, der um seinen Wohlstand und seinen Wert in der Gesellschaft bangt, der anfällig für einen Aufstand wird. «Denkt daran, es sind nicht die verzweifelten Armen, welche einen Bürgerkrieg vom Zaun reissen», warnt auch Walter in ihrem Buch. «Es sind diejenigen, die ihre Privilegien verlieren und ihren Status verlieren, den sie für sich in Anspruch nehmen.»
Die weisse Mittelschicht Amerikas musste wegen der Globalisierung einen massiven Einkommensverlust verkraften. Nun befürchtet sie, zusätzlich von einer nicht-weissen Bevölkerung überrumpelt zu werden. Diese Kombination macht sie anfällig für autoritäres Gedankengut.
In dem Bürgerkrieg, vor dem Walter warnt, werden sich nicht zwei verfeindete Armeen gegenüberstehen, die sich gegenseitig abschlachten. Vielmehr werden kleine militante Gruppen nach dem Vorbild der «Turner Diaries» Attentate verüben und versuchen, die Bevölkerung so zu verunsichern, dass sie sich nach einem starken Führer sehnt.
Die Voraussetzungen für einen solchen Kleinkrieg sind vorhanden. «Es gibt heute bereits hunderte von rechtsextremen Gruppierungen in Amerika, die überzeugt sind, dass das Land nur mit einem grossen Kampf wieder auf den richtigen Weg finden kann», stellt Walter fest. «(…) Die meisten von ihnen wollen, dass weisse Christen die Macht übernehmen. Alle sind überzeugt, dass sie ihr Ziel nur mit Gewalt erreichen werden.»
Womit wir bei Donald Trump angelangt sind. Der Ex-Präsident hat am vergangenen Wochenende eine seiner berüchtigten Rallys abgehalten. Dabei hat er nicht nur einmal mehr über die Big Lie gejammert. Er hat seine Anhänger offen zu neuen Gewalttaten aufgefordert. «Sollten diese radikalen, bösartigen und rassistischen Staatsanwälte (Trump spricht auf die Verfahren gegen ihn in Georgia und New York an, Anm. d. Verf.) etwas Korruptes unternehmen, dann werden wir die grössten Proteste durchführen, die dieses Land je erlebt hat», rief Trump aus.
Im gleichen Atemzug hat der Ex-Präsident die Chaoten vom 6. Januar als amerikanische Patrioten gelobt und versprochen, sie zu begnadigen, sollte er 2024 wieder ins Weisse Haus einziehen.
Neuerdings macht Trump auch keinen Hehl mehr daraus, dass er tatsächlich einen Staatsstreich versucht hat. In einer Mitteilung – von Twitter ist er ja verbannt – hält er fest: «Mike Pence hätte das Recht gehabt, den Ausgang der Wahlen zu ändern. Leider hat er diese Macht nicht ausgeübt.»
Diese Aussage ist absurd, etwa so absurd, wie wenn man behaupten würde, der Totomat könne das Resultat eines Fussballmatches bestimmen.
Schliesslich hat die «New York Times» nun enthüllt, dass Trump die Wahlcomputer durch das Militär beschlagnahmen wollte und seinen damaligen Justizminister William Barr anfragte, ob er dazu berechtigt sei. Er war es nicht, und Barr trat zurück.
Donald Trump fühlt sich in die Enge getrieben. Der Ausschuss zur Abklärung der Ereignisse rund um den 6. Januar bringt immer neue, und für ihn verheerende, Fakten zutage. Nun hat auch Marc Short, der Stabschef von Mike Pence, vor dem Ausschuss ausgesagt. Er war hautnah am Geschehen beteiligt.
Fani Willis, eine Staatsanwältin in Fulton County im Bundesstaat Georgia, führt eine Untersuchung durch, um abzuklären, ob es bei den Wahlen im vergangenen Herbst zu strafbaren Handlungen gekommen sei. Sie hat nun offiziell erklärt, dass sich diese Untersuchung auch gegen Trump richtet.
Willis weiss um die Gewaltbereitschaft der Trump-Anhänger. Sie hat deshalb Polizeischutz für sich und ihren Stab angefordert.
Eine weisse Mittelschicht, die anfällig ist für rechtsextremes Gedankengut. Ein bedrängter Ex-Präsident, der die Wut dieser Menschen schürt und sie offen zu Gewalt auffordert. All dies ist explosiv. Zu glauben, dass allein die viel gepriesenen Checks and Balances der amerikanischen Verfassung dazu ausreichen, diese Bedrohung abzuwenden, ist naiv.
Bürgerkriege kommen auf leisen Sohlen daher. «Niemand will glauben, dass die geliebte Demokratie in Gefahr ist», warnt Barbara Walter. «Der Niedergang erfolgt in so kleinen Schritten, dass er oft nicht erkannt wird, selbst wenn man ihn bereits spürt.»
Nach wie vor hoffe ich, dass sich sein künftiges Outfit seiner Haarfarbe anpasst.
Die Gefahr für unsere Welt kommt nicht von links oder rechts, sonder von ungebildeten Vollpfosten, denen wir mehr glauben als der Wissenschaft oder den Fakten. Interessanter Film dazu: Idiocrazy