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Ukrainische Südfront unter Druck – Russlands Taktik geht auf

Russian President Vladimir Putin listens to Astrakhan Region Governor Igor Babushkin at the Kremlin in Moscow, Russia, Thursday, Nov. 13, 2025. (Gavriil Grigorov/Sputnik, Kremlin Pool Photo via AP)
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Der russische Präsident Wladimir Putin am 13. November 2025, im Kreml in Moskau.Bild: keystone
Analyse

Ukrainische Südfront unter Druck – Russlands Taktik geht auf

Die ukrainische Südfront gerät ins Wanken. Grund dafür ist eine erprobte Taktik, die Putins Truppen erneut anwenden. So gehen die russischen Soldaten konkret vor.
13.11.2025, 21:3413.11.2025, 21:34
Nilofar Breuer / t-online

Verkohlte, von Kugeln durchsiebte Fahrzeuge liegen umgestürzt auf den Strassen, hinter zerstörten Gebäudemauern ragen ramponierte Haushaltsgeräte hervor. In der ukrainischen Stadt Huljajpole im südlichen Gebiet Saporischschja zeugen Trümmer und Ruinen von der Zerstörung nach fast vier Jahren Krieg – und in jüngster Zeit sind die dortigen Kämpfe intensiver denn je.

Am Mittwoch erklärte der Oberbefehlshaber der ukrainischen Armee, Olexandr Syrskyj, die Lage bei Huljajpole habe sich erheblich verschlimmert. Auch die Heeresgruppe Süd teilte mit, an den Frontabschnitten Olexandriwka und Huljajpole würden «seit mehreren Tagen intensive Kämpfe toben».

epa12520750 The site of a Russian drone strike in Kharkiv, northeastern Ukraine, 12 November 2025, amid the ongoing Russian invasion. At least 3 people were injured after Russian drone strikes on the  ...
Der Ort eines russischen Drohnenangriffs in Charkiw, am 12. November 2025.Bild: keystone

Das südliche operative Kommando der Ukraine berichtete am Mittwoch, dass russische Streitkräfte alle vorhandenen Waffenarten einsetzen, um ukrainische Verteidigungsstellungen zu zerstören und die ukrainischen Truppen zurückzudrängen. Zudem nutzen sie offenbar die schlechten Wetterbedingungen aus, um zwischen den ukrainischen Stellungen vorzudringen – mit Erfolg: Nordöstlich der Kleinstadt Huljajpole zog sich die ukrainische Armee aus Nowouspeniwske und Nowe zurück. Schwer umkämpft seien ausserdem die Orte Jablukowe, Riwnopillja und Solodke.

Der Rückzugsbefehl sei nach der «faktischen Zerstörung aller Unterstände und Befestigungen» nach intensivem Artilleriebeschuss erfolgt, so die Heeresgruppe Süd. Dabei seien etwa 2'000 Geschosse auf ukrainische Stellungen niedergegangen. Den ukrainischen Angaben nach ist damit ein Rückzug um etwa zehn Kilometer erfolgt.

Putins Truppen folgen einem genauen Plan

Klares Ziel der russischen Angriffsbemühungen ist es, die Kleinstadt Huljajpole von Osten her zu erobern, so die Denkfabrik Institute for the Study of War (ISW). Dabei folgen Putins Truppen einer erprobten Taktik: Sie ermöglichen Vorstösse durch Infiltration. In einem aktuellen Lagebericht erklärt das ISW, wie die russische Armee genau vorgeht.

In einem ersten Schritt schwächen russische Truppen die ukrainische Armee durch langwierige Luftangriffe auf ukrainische Drohnenpiloten und lokale Nachschublinien. So wird die Angriffsfähigkeit geschwächt und Fronttruppen können nicht mehr ausreichend versorgt werden.

Anschliessend identifizieren Russlands Streitkräfte entstandene Schwachstellen und nutzen sie aus. Russische Massenangriffe, auf kleinere Gruppen verteilt, können die ukrainischen Truppen nicht mehr abwehren. So erzielt Russland wiederum schnelle Vorstösse und zwingt die ukrainischen Streitkräfte zum Rückzug. Dem ISW zufolge führen Putins Truppen seit Monaten Luftangriffe auf ukrainische Bodenverbindungen in Richtung Huljajpole durch – also auf Autobahnen, Strassen und Eisenbahnlinien.

An anti-FPV-drone net covers the street in the residential neighbourhood in the frontline city of Kherson, Southern Ukraine, Nov. 3, 2025. (AP Photo/Efrem Lukatsky)
Russia Ukraine War Kherson Annivers ...
Ein Netz gegen FPV-Drohnen bedeckt die Strasse in einem Wohnviertel der Frontstadt Cherson im Süden der Ukraine, 3. November 2025.Bild: keystone

In Pokrowsk zeigt die Taktik Wirkung

Dieses Vorgehen gleicht wiederum der Taktik, die russische Streitkräfte seit dem Frühjahr 2025 gegen die rund 100 Kilometer nordöstlich gelegene Stadt Pokrowsk anwenden. Damit bereiteten sie jene Angriffe vor, mit denen sie die weitgehend zerstörte Stadt erobern wollen. Und laut ISW steht Russlands Armee kurz davor, dass ihr das auch gelingt. Eine Einnahme von Pokrowsk entspräche dem grössten militärischen Erfolg russischer Truppen in der Ukraine seit Anfang 2024.

Da Pokrowsk ein wichtiger Knotenpunkt ist, ist ein dortiger Sieg für Russland strategisch bedeutsam, um die gesamte Region Donezk einzunehmen. Die Stadt würde als Ausgangspunkt dienen, um weiter in Richtung Norden auf Kramatorsk und Slowjansk, die beiden grössten verbliebenen ukrainisch kontrollierten Städte in Donezk, vorzustossen. Russische Medien sprechen deshalb auch von Pokrowsk als dem «Tor zu Donezk».

Gravierender Soldatenmangel schwächt die ukrainische Armee

Sowohl in Huljajpole als auch in Pokrowsk dürfte auch der gravierende Soldatenmangel auf ukrainischer Seite die Erfolge von Putins Truppen begünstigen. Im Oktober wurde mit über 20'000 bei der Staatsanwaltschaft registrierten Fällen ein neuer Rekordwert bei Fahnenflucht und unerlaubtem Fernbleiben von der Truppe festgestellt. Die Dunkelziffer soll um einiges höher liegen.

epa12518074 A handout photo made available by the press service of the 127th Separate Brigade of the Territorial Defence of Ukraine shows Ukrainian servicemen attending a military training near Kupian ...
Im Oktober verzeichnete die Ukraine einen neuen Rekordwert an Soldaten, die ihrer Truppe unerlaubt fernblieben.Bild: keystone

Gleichzeitig tauchen in sozialen Netzwerken täglich neue Aufnahmen von Zwangsrekrutierungen im ukrainischen Hinterland auf. Diese scheitern oft am Widerstand der Betroffenen und der Solidarisierung von zufälligen Passanten.

Die ukrainischen Streitkräfte haben früheren offiziellen Auskünften zufolge gut eine Million Mann unter Waffen. Nur etwas mehr als 200'000 sollen entlang der über 1'200 Kilometer langen Frontlinie im Einsatz sein. Auf russischer Seite sind hingegen nach Angaben aus Moskau und Kiew in der Ukraine zwischen 600'000 und 700'000 Soldaten eingesetzt. Wie viele unmittelbar an der Front kämpfen, ist dabei unbekannt. Der Kreml konnte bisher jedoch auch aufgrund hoher Geldzahlungen eine Generalmobilmachung ähnlich wie beim ukrainischen Kriegsgegner vermeiden.

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Die beliebtesten Kommentare
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Sebastianus
13.11.2025 22:24registriert Dezember 2023
Ein Sieg der Russen wäre grässlich. Er wird Mord, totschlag, Unterdrückung Tür und Tor öffnen. Zeigt aber auch, dass Europa nicht in der Lage ist die Freiheit zu verteidigen. Dies trotz der grösseren Ressourcen als die verfluchten, unfähigen Russen.
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Macca_the_Alpacca
13.11.2025 21:54registriert Oktober 2021
Und ich dachte die Russische Armee, die Wirtschaft, das Land, Putin selbst usw. stünden unmittelbar vor dem Kollaps.
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Eiche
13.11.2025 22:20registriert März 2023
Ich lese mittlerweile viele Analysen, um daraus meinen Kaffeesatz zu lesen… Das Beispiel Huljajpole kenne ich zu wenig. Zu Prokrowsk gäbe es zu sagen, dass die Russischen Verluste exorbitant hoch sind und die Stadt nicht mehr als strategisch wichtigen Knotenpunkt bezeichnet werden kann. Die Besetzung ist für UA ein Problem, weil Prokrowsk als Brückenkopf dienen kann, allerdings kommen dahinter die nächsten Verteidigungslinien. Diese Schlacht ist kaum kriegsentscheidend. Die Analyse hier finde ich unvollständig.
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