Wundert man sich in Zeiten des hoch professionalisierten Rechtspopulismus noch über irgendetwas? Über die FPÖ, die die Wahlen in Österreich trotz grosser Skandale gewinnt? Über Donald Trump, der Grönland den USA einverleiben will? Über Alice Weidel, Chefin der in Teilen rechtsextremen AfD, die meint, Hitler war ein Linker, der Nationalsozialismus war links und linke Demonstrierende wiederum sind Nazis?
Natürlich sind letztere Aussagen in der AfD bei Weitem nichts Neues. Doch dass die – in ganz grossen Anführungszeichen – «gemässigte» Chefin und nun auch Kanzlerkandidatin der Partei so offen radikal geschichtsrevisionistisch ist, das überrascht dann schon.
Dennoch drohen ihre Lügen aus dem Interview mit dem rechten Milliardär und X-Besitzer Elon Musk sowie vom jüngsten Parteitag in Riesa bei vielen Wähler:innen zu verfangen.
Daher lohnt sich die Frage, was die Nazis und Hitler wirklich mit links und vor allem rechts am Hut hatten – und was Weidel mit ihrem Lügenkurs bezweckt.
Zunächst wäre da das «Interview» mit Tech-Milliardär Elon Musk. Die kostenlose Wahlwerbung in Form eines Kollegengesprächs zwischen zwei rechten Verschwörungstheoretiker:innen nutzte Weidel, um in feinstem Denglisch den entscheidendsten Teil der deutschen Geschichte zu verdrehen.
Sie sagte beim live auf X übertragenen Gespräch am Donnerstag, Adolf Hitler sei doch eigentlich ein Linker gewesen, ein Kommunist. Zudem nannte sie die «Nationalsozialisten, wie das Wort schon sagt, Sozialisten». Das muss man als Deutscher, der oder die in der Schule Geschichtsunterricht hatte, erstmal sacken lassen.
Ach ne, sacken lassen geht nicht – denn Weidel legte am Samstag beim AfD-Parteitag in Riesa, wo sie zur ersten Kanzlerkandidatin der Partei gekürt wurde, direkt nach. Linke Demonstrierende hatten versucht, den Parteitag zu verhindern oder zumindest zu behindern und erwirkten mit Blockaden gar eine Verspätung der Veranstaltung um zwei Stunden. Weidel nannte diese eindeutig linken Socken «rot lackierte Nazis».
Das Wort Nazis ist bekanntlich kurz für Nationalsozialisten. Letzterer Begriff kann schonmal verwirren. Stefanie Schüler-Springorum, Direktorin des Zentrums für Antisemitismusforschung, stellte gegenüber dem ZDF klar:
Weidels Verdrehung sei dementsprechend «sachlich falsch» und «schlicht Unsinn». Schon im Grundsatz leiten die politische Rechte und die politische Linke zwei entgegengesetzte Welt- und Menschenbilder, wie auch der Grazer Historiker Werner Suppanz in der «Tagesschau» nach dem Weidel-Talk mit Musk erklärte:
Das ist eine der klassischen Unterscheidungen zwischen links und rechts. Juden etwa wurden arischen Deutschen gegenüber als ungleich angesehen, wodurch ihre massenhafte und systematische Ermordung gerechtfertigt wurde.
Historiker Udo Grashoff vom Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung erklärte gegenüber dem ZDF zudem, warum Hitlers Partei, die NSDAP, auch aus wirtschaftlicher Sicht «weder links noch kommunistisch» war:
Und ganz generell, das betonen Schüler-Springorum als auch Grashoff, waren gerade Sozialist:innen und Kommunist:innen die ersten Opfer, die von den Nazis verhaftet und ermordet wurden.
AfD-Chefin und -Kanzlerkandidatin Alice Weidel bezweckt nach einhelliger Meinung von Expert:innen vor allem eines: sie will sich und ihre Verbündeten vom Vorwurf des Nazi-Gedankentums befreien. Die AfD, die Rechten, die sollen ohne Schuld dastehen.
«Die AfD-Vorsitzende versucht, den Rechtsextremismus von der Schuld der Shoah reinzuwaschen, indem sie Hitler als Kommunisten bezeichnet», schrieb etwa der Historiker und Direktor der KZ-Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Jens-Christian Wagner auf Bluesky. Auch Historiker Michael Wolffsohn analysierte in der «Bild»:
Doch ironischerweise nutzt Weidel genau mit dieser Verdrehung einen rhetorischen Kniff – oder auch: «PR-Trick» – der Nazis, wie Wolffsohn weiter erklärte:
In jedem Fall nähert sich Weidel mit diesen Aussagen dem Ton den Rechtsaussen ihrer Partei an. Von «gemässigt» kann bei dieser für Weidel in dieser Dimension neuen Geschichtsvergessenheit wohl keine Rede mehr sein. Beim Parteitag am Samstag öffnete sie sich auch gegenüber dem Deportations-Begriff «Remigration», kündigte zudem an, dass alle Windräder abgerissen und Gender Studies verboten werden sollten.
Eine #AfD Alice Weidel bezeichnet die Demonstranten als rotlackierte Nazis.
— . (@djcooky78) January 11, 2025
Hat der Kanzlerkandidat Lack gesoffen? #Riesa #rie1101 #fckAfD #Weidel pic.twitter.com/fnc6oQpIDn
Dann wären da noch die von Weidel als «rot lackierte Nazis» beschimpften Demonstrierenden. 12'000 Menschen machten sich nach Angaben eines Aktionsbündnisses auf den Weg, um gegen den AfD-Parteitag in Riesa zu protestieren.
Dass Weidel diese als versteckte Nazis verhöhnt, offenbart alleine schon, wie wenig die AfD-Chefin in ihrer wirren Erzählung auf Logik gibt: Linke werden seit Jahrzehnten schon mit der Farbe Rot assoziiert, sowohl von sich selbst als auch von politischen Gegnern.
#afd Weidel nennt die Blockierer auf den Straßen in #riesa1101 »rot lackierte Nazis«.
— Henry Bernhard (@henry_bernhard) January 11, 2025
Wenn aber die Nazis, wie Weidel ja behauptet, Kommunisten waren: Warum müssen dann Kommunisten rot lackiert werden?
Wenn Weidel nun also sagt, die Menschenmenge seien «rot lackierte Nazis», würde das bedeuten, dass die Demonstrierenden so tun, als wenn sie links sind, obwohl sie in echt Nazis sind. Doch genau diese Nazis sollen doch, wie wir in Weidels Talk mit Musk gelernt haben, in Wahrheit links (= rot) gewesen sein.
Man könnte meinen, dass in dieser Gleichung also irgendetwas nicht stimmen mag. Doch wer braucht die schon, wenn er oder sie stattdessen auf PR-Tricks der Nazis zurückgreifen kann?
Gefährlich wird es halt, wenn die Bürgerlichen zwecks Machterhalt gemeinsame Sache mit Ihnen machen.
Wie das rauskommt, sah man in den 30er Jahren in D und aktuell in den USA.
Aber ÖVP, CDU/CSU oder FDP/Mitte scheinen lieber mit den Braunen zu flirten als anständige Löhne zu zahlen.